VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 18.01.2006 - 2 A 1277/02 - asyl.net: M8029
https://www.asyl.net/rsdb/M8029
Leitsatz:

Dialyse im Kosovo zwar grundsätzlich möglich, notwendige Begleitmedikamente häufig aber nicht erhältlich oder finanzierbar; keine Fluchtalternative im übrigen Serbien und Montenegro für Ashkali.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Nierenerkrankung, Anämie, Hypertonie, Knochenentkalkung, Schilddrüsenüberfunktion, multiple Erkrankungen, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Sozialhilfe, interne Fluchtalternative, Ashkali, Registrierung, Krankenversicherung, Kostenübernahme, Merkblatt für Kostenübernahmeerklärungen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Dialyse im Kosovo zwar grundsätzlich möglich, notwendige Begleitmedikamente häufig aber nicht erhältlich oder finanzierbar; keine Fluchtalternative im übrigen Serbien und Montenegro für Ashkali.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet, soweit die Klägerin zu 1 begehrt, die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten und die entgegenstehende Feststellung in dem angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Zur Gefährdung dialysepflichtiger Patienten hatte das erkennenden Gericht im Urteil vom Urteil vom 24. März 2005 (2 A 973/03) noch ausgeführt:

"Eine Dialysebehandlung hatte der Kläger vor seiner Ausreise im Kosovo bereits durchgeführt. Eine solche Behandlung ist nach der Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Pristina vom 5. September 2004 dort auch nach wie vor möglich."

An dieser Beurteilung ist auch nach der neueren Auskunft des Verbindungsbüros der Beklagten in Pristina vom 17. Oktober 2005 (AZ. 5173180-138, RK 516.80 E 332/05 2 S. SER27595001) und dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes der Beklagten vom 22. November 2005 grundsätzlich festzuhalten.

Hier ist allerdings zusätzlich zu berücksichtigen, daß die Klägerin zu 1 nicht nur dialysepflichtig ist, sondern an einer Reihe weiterer Krankheiten leidet, die das Nierenversagen begleiten, und zwar Blutarmut und Bluthochdruck, Knochenentkalkung und Nebenschilddrüsenüberfunktion. Blutarmut gehört - neben Herzversagen - zu den Begleiterkrankungen dialysepflichtigen Nierenversagens, die im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes der Beklagten ausdrücklich angeführt sind. Ersichtlich im Zusammenhang hiermit werden der Klägerin namentlich die Arzneimittel Ferrlecit und Erypo verabreicht. Nach dem bezeichneten Lagebericht vom 22. November 2005 ist davon auszugehen, daß Begleitmedikamente für Dialysepflichtige im Kosovo nicht zur Verfügung gestellt werden. Obwohl die Dialyse selbst gesichert ist, kommt es nach dem bezeichneten Lagebericht zu einer Todesquote von rund 15 %, da viele Patienten sich die Begleitmedikamente nicht leisten könnten.

Im Fall der Klägerin zu 1 ist abzusehen, daß für sie die erforderlichen Arzneimittel im Kosovo nicht verfügbar bzw. unerschwinglich sein werden.

Es ist nicht abzusehen, daß die Klägerin zu 1 im Kosovo über Mittel verfügen könnte, einen Betrag von etwa 100 Euro monatlich für Arzneimittel aufzubringen. Zwar erhalten bedürftige Personen im Kosovo Unterstützung durch Sozialhilfe. Die Leistungen betragen inzwischen 35 Euro monatlich für eine Einzelperson und bis zu 75 Euro monatlich für Familien (Lagebericht Serbien und Montenegro (Kosovo) des Auswärtigen Amtes der Beklagten vom 22. November 2005). In der Praxis ist jedoch Voraussetzung der Bedürftigkeit, daß keine Person im Haushalt ist, die eine Arbeitsstelle hat oder arbeitsfähig ist (vgl. z.B. Auskunft der SFH vom 13. August 2004 an VG Regensburg "Sorgerechtsregelungen und Rückkehrperspektive für alleinerziehende Mütter"). Ob die Klägerin zu 1 oder ihr Ehemann oder andere Familienmitglieder arbeitsfähig sind, kann insoweit dahinstehen. Selbst wenn der volle Betrag von 75 Euro gezahlt würde, reichte er offensichtlich nicht aus, allein die Kosten für Ferrlecit und Erypo zu decken. Da nicht erkennbar ist, daß die Klägerin zu 1 oder deren Familie über andere Mittel verfügt, wären diese Arzneimittel daher für sie jedenfalls unerschwinglich. Damit erübrigen sich die Fragen, ob die übrigen Arzneimittel im Kosovo verfügbar und erschwinglich sind.

Es ist der Klägerin zu 1 auch nicht möglich, in einen anderen Landesteil von Serbien und Montenegro auszuweichen, da sie Ashkali-Volkszugehörige ist.

Eine andere Bewertung ergibt sich nicht im Hinblick auf das jüngste "Merkblatt für Kostenübernahmeerklärungen" der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Oldenburg - Außenstelle Bramsche - (ohne Datum). Nach diesem ist das Land Niedersachsen grundsätzlich bereit, im Rahmen der Aufenthaltsbeendigung von ausländischen Staatsangehörigen Kosten zu übernehmen, die durch eine notwendige medizinische Behandlung im Herkunftsland entstehen. Aus dem Merkblatt ergibt sich ein entsprechender Anspruch der Klägerin zu 1 auf Kostenübernahme nicht, das Merkblatt gibt auch keinen Hinweis auf eine andere Anspruchsgrundlage für die Klägerin zu 1 gegen Stellen der Bundesrepublik Deutschland auf Leistungen in das Ausland.