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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 03.03.2006 - 1 B 126.05 - asyl.net: M8117
https://www.asyl.net/rsdb/M8117
Leitsatz:

Nach § 13 Abs. 1 AsylVfG ist derjenige Schutzsuchende, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das - alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende - Asylverfahren zu verweisen; hiermit ist ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu befassen. Ein "Wahlrecht" des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland besteht nicht.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Asylantrag, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Ausländerbehörde, Bundesamt, Zuständigkeit, traumatisierte Flüchtlinge, Krankheit, Abschiebungshindernis
Normen: AsylVfG § 13 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 14
Auszüge:

Die beklagte Stadt kann hier, was weder das Verwaltungsgericht noch der Verwaltungsgerichtshof beachtet haben, nicht zu der begehrten Duldung wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots (hier: in erster Linie nach § 60a Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) verpflichtet werden. Die dem Verfahren zugrunde liegenden Anträge auf Erteilung einer Duldung sind nämlich durch Erklärungen während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens der Sache nach als auch auf asylrechtlichen Schutz im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG gerichtet zu werten mit der Folge, dass nicht die Beklagte, sondern ausschließlich das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - für die Entscheidung über auslandsbezogenen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 2, 4 und 6 AuslG zuständig war bzw. nach § 60 Abs. 2, 5 und 7 AufenthG zuständig ist (vgl. insbesondere Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 <385 f.>:

"Die Erteilung einer Duldung wegen im Zielstaat drohender Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt hiernach eine positive Entscheidung nach dieser Bestimmung voraus. Sie kann zugunsten eines Asylsuchenden nur ergehen, wenn das Bundesamt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt und die Ausländerbehörde eine positive Ermessensentscheidung getroffen hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 - BVerwGE 104, 210). Dem Gesetzeszweck einer sachgemäßen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörden liefe es zuwider, würde man letzteren auch bei Asylsuchenden die Duldungsentscheidung wegen zielstaatsbezogener Gefahren zuweisen. Dies führte zur Kompetenz zweier Behörden und vermeidbaren Doppelprüfungen auch bei Asylsuchenden.

Wie der Senat durch Urteil vom 11. November 1997 a.a.O. (<sc. - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322>) entschieden hat, obliegt deshalb die Entscheidung über alle zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse, die ein Asylsuchender geltend macht, dem Bundesamt. Das bedeutet, dass erfolglose Asylsuchende Abschiebungsschutz wegen zielstaatsbezogener Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 1 bis 4, Abs. 6 Satz 1 AuslG nur im Verfahren beim Bundesamt geltend machen und erhalten können."

Die Beklagte ist danach, wenn und soweit die Kläger zugleich Schutz vor politischer Verfolgung suchen, auch in Anwendung des § 55 Abs. 2 AuslG bzw. § 60a Abs. 2 AufenthG nicht zur Entscheidung über zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz berufen. Zwar kann die Ausländerbehörde im Rahmen der Durchsetzung der Ausreisepflicht ggf. nach der Stellung eines (materiellen) Asylgesuchs und bis zur Stellung eines (formellen) Asylantrags beim Bundesamt nach § 14 AsylVfG über auslandsbezogenen Abschiebungsschutz befinden (vgl. Beschluss vom 3. Dezember 1997 - BVerwG 1 B 219.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 11 = NVwZ-RR 1998, 264), nicht jedoch - wie die Kläger wohl meinen - auch im Rahmen eines Duldungsantrags zur Erlangung eines humanitären Bleiberechts, dem in Wahrheit materiell ein Asylbegehren zugrunde liegt. Entgegen der Ansicht der Kläger in ihrer Stellungnahme vom 10. Februar 2006 kommt es insoweit nicht darauf an, ob sie "aus gutem Grund kein(en) Asylantrag gestellt" haben, d.h. wohl möglicherweise zur Vermeidung eines Asylverfahrens bewusst nicht stellen wollten, sondern den begehrten humanitären Schutz vor den Folgen des Bürgerkriegs und militärischen Aktionen der NATO in ihrer Heimat beschränkt auf ausländerrechtliche Bestimmungen von der Ausländerbehörde der Beklagten erhalten wollten. Das steht nicht zu ihrer freien Disposition. Vielmehr ist es gerade der Sinn des § 13 Abs. 1 AsylVfG, denjenigen Schutzsuchenden, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das - alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende (Urteil vom 18. Januar 1994 - BVerwG 9 C 48.92 - BVerwGE 95, 42 <53>) - Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen. Ein "Wahlrecht" des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland besteht danach nicht; § 13 Abs. 1 (ursprünglich § 7 Abs. 1) AsylVfG ist vielmehr zur Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens sowie auch zum Ausschluss von Verfahrensverzögerungen durch nachgeschaltete Asylanträge geschaffen worden. Ein materielles Asylbegehren lag hier - wie den Beteiligten erläutert und von den Klägern nicht substantiiert in Frage gestellt wurde - vor. Deshalb kann ihnen gegen die beklagte Ausländerbehörde der geltend gemachte Anspruch auf Duldung namentlich wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin zu 1 nicht zustehen.