VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 06.02.2006 - AN 1 K 05.30351 - asyl.net: M8233
https://www.asyl.net/rsdb/M8233
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Zustellung, öffentliche Zustellung, Widerruf, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Terrorismusvorbehalt, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Gefahr für die Allgemeinheit, Genfer Flüchtlingskonvention, Non-Refoulement, Wiederholungsgefahr, PKK, KONGRA-GEL, Mitglieder, Funktionäre, ENRK, Brandstiftung, Vorstandsmitglieder, KADEK, Anerkennungsrichtlinie, zwingende Gründe, Genfer Flüchtlingskonvention
Normen: AsylVfG § 10 Abs. 6 S. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; GFK Art. 1 C Nr. 5; GFK Art. 1 F; GFK Art. 33 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. c; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; VO Nr. 2580/20
Auszüge:

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2003 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter sowie der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lagen zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor.

Nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (bis 1.1.2005: des § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn die für die Anerkennungs- und Feststellungsentscheidung maßgebenden Voraussetzungen nachträglich entfallen sind, wenn also die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 1 AuslG a. F.) nunmehr ausgeschlossen ist. Zu diesen Voraussetzungen zählt nicht nur die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat, sondern u.a. auch, dass von dem Flüchtling nicht nach Maßgabe von § 60 Abs. 8 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 3 AuslG a. F.) eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit ausgeht. Dass § 60 Abs. 8 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 3 AuslG a. F.) nicht nur den Anspruch auf Abschiebungsschutz für politische Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 1 AuslG a. F. in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 AuslG a. F.) ausschließt, sondern zugleich den Asylanspruch nach Art. 16 a Abs. 1 GG beschränkt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerwG vom 30.3.1999 - 9 C 31.98, NVwZ 1999, 1346).

§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist deshalb auch dann anwendbar, wenn sich nach der bestandskräftigen Anerkennung in der Person des Ausländers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG a. F. bzw. § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt haben (vgl. OVG Münster vom 4.12.2003 - 8 A 3766/03, NVwZ 2004, 231; OVG Lüneburg vom 27.12.2004 - 8 LA 245/04, AuAS 2005, 44; BVerwG vom 1.11.2005, a.a.O.). Höchstrichterlich geklärt ist darüber hinaus die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (vgl. BVerwG vom 24.11.1992 - 9 C 3.92, Buchholz 402.25, § 73 AsylVfG Nr. 1).

Eine einschränkende Auslegung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch nicht unter Berücksichtigung der Genfer Flüchtlingskonvention geboten (vgl. OVG Münster vom 13.10.2005 - 13 A 3690/05.A). Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält keine allgemeine Bestimmung über den Widerruf eines förmlichen Flüchtlingsstatus. Sie schreibt weder vor, Flüchtlingen einen besonderen Status zu verleihen, noch trifft sie Regelungen über einen Widerruf oder eine Rücknahme eines derartigen Status (Hailbronner, a.a.O, § 73 AsylVfG RdNr. 4). Insbesondere enthalten die Vorschriften des Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK keine (abschließende) Regelung über den Widerruf oder die Rücknahme des Flüchtlingsstatus. Zwar sind die sog. Beendigungsgründe des Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK nach Auffassung des UNHCR abschließend und es gebe keine zusätzlichen Gründe, die die Annahme der Entbehrlichkeit internationalen Schutzes rechtfertigen könnten. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft nach diesen Vorschriften ist aber (auch) nach Auffassung des UNHCR von der Rücknahme oder dem Widerruf der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu unterscheiden; Art. 1 C GFK behandele gerade nicht den Widerruf der Rechtsstellung als Flüchtling (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, RdNr. 117; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in: NVwZ 2003, Beilage I, 57). Eine Rücknahme oder ein Widerruf der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach Auffassung des UNHCR z. B. in Betracht, wenn nach der Anerkennungsentscheidung Fakten bekannt werden, die einen Ausschluss der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 1 D, E oder F GFK rechtfertigen würden. Dies gilt etwa auch für den Fall, dass ein Flüchtling im nachhinein durch sein Verhalten den Tatbestand des Art. 1 F (a) oder 1 F (b) GFK erfüllt (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, RdNr. 141; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in: NVwZ 2003, Beilage I, 57). Auch Art. 1 F GFK enthält keine Widerrufsvorschriften, sondern (lediglich) Bestimmungen, wonach Personen, die an sich die für einen Flüchtling nach Art. 1 A GFK erforderlichen Kriterien erfüllen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, und zwar unabhängig davon, ob der Tatbestand des Art. 1 F GFK vor oder nach der Anerkennungsentscheidung erfüllt wird. Es ist daher Aufgabe des jeweiligen vertragsschließenden Staates, ein (Aufhebungs-)Verfahren zu schaffen, in dem nachträgliche Tatsachen Berücksichtigung finden können. Gleiches gilt für den Art. 33 Abs. 2 GFK, der vorsieht, dass sich auf die Vergünstigung des Refoulement-Verbots des Art. 33 Abs. 1 GFK ein Flüchtling nicht berufen kann, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.

Der Kläger hat sich zur Überzeugung des Einzelrichters nach der mit Bescheid vom 4. Juli 1994 ausgesprochenen Anerkennung als Asylberechtigter Handlungen zu schulden kommen lassen, die den oben bezeichneten Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

Bei der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisation KONGRA-GEL handelt es sich um Organisationen, die wegen Unterstützung des Terrorismus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Restriktionen unterliegen (Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifisch gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, ABl. Nr. L 344 v. 28.12.2001, S. 70 bis 75, i.V.m. dem Beschluss des Rates vom 2. Mai 2002 (2002/334/EG), - ABl. Nr. L 116 vom 3.5.2002 S. 33-45 und vom 17. Oktober 2005 (2005/722/EG) - ABl. L 272 vom 18.10.2005, S. 15-17). Gegen die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen besteht seit dem 22. November 1993 im Bundesgebiet ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot (vgl. im einzelnen BVerwG vom 15.3.2005 - 1 C 26/03, NVwZ 2005, 1091).

Unterliegt - wie vorliegend - eine Gruppierung nach EU-Recht wegen Unterstützung des Terrorismus Restriktionen, rechtfertigt allein dies die Annahme, dass ein exponiertes Mitglied dieser Organisation die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG a. F. bzw. des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG erfüllt. Eine lückenlose Aufklärung oder Gewissheit, ob terroristische Handlungen tatsächlich unterstützt oder gefördert wurden, ist nicht erforderlich (Hess. VGH vom 25.1.2005 - 3 ZU 234/05.A).

Nach den vom Bundeskriminalamt und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof durchgeführten Ermittlungen hat der Kläger zu den ranghöchsten Kadern der PKK gehört.

Für das erkennende Gericht steht somit mit hinreichender Gewissheit (vgl. HessVGH vom 25.1.2005, a.a.O.) fest, dass der Kläger nach seiner Anerkennung als Asylberechtigter als führender Kopf in einer terroristischen Vereinigung (PKK) tätig war, diese maßgeblich unterstützt und sich Handlungen hat zu schulden kommen lassen, die den oben bezeichneten Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Denn als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ist jede Tätigkeit anzusehen, die sich - für den Ausländer erkennbar - in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen Vereinigung auswirkt und damit ihr Gefährdungspotenzial stärkt (vgl. BVerwG vom 15.3.2005, a.a.O.). Bei einer Tätigkeit der Intensität, wie sie vorliegend vom Kläger nach seiner Asylanerkennung jedenfalls bis zum Jahre 2003 ausgeübt worden ist, ist für die Gewährung von staatlichem Verfolgungsschutz kein Raum (vgl. BVerwG vom 30.3.1999 - 9 C 31/99, NVwZ 1999, 1346).

Ob sich der Kläger tatsächlich ab dem Jahr 2003 von den militanten Zielen der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen abgewandt hat, spielt im Rahmen der hier zu prüfenden Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG keine Rolle (a. A. VG Bremen vom 30.6.2005 - 2 K 1611/04.A; OVG Koblenz vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02, NVwZ-RR 2003, 596). Wie die Beklagte im Schriftsatz vom 18. Januar 2006 überzeugend dargelegt hat, ist es im Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG nicht erforderlich, zu überprüfen, ob vom Kläger eine hinreichende Wiederholungsgefahr im Sinne einer fortbestehenden Gefahr ausgeht. Der Einzelrichter schließt sich diesen Ausführungen, auf die analog § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen wird, an.

Die Richtigkeit dieser Auslegung wird auch durch die Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG (ABl. 2004 L Nr. 304, S. 12) bestätigt. Nach deren Art. 12 Abs. 2 Nr. c reicht es für den Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung aus, dass sich ein Ausländer Handlungen zu Schulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen. Nach der Formulierung wird eindeutig an Handlungen in der Vergangenheit angeknüpft. Die genannte Richtlinie ist zwar noch nicht anwendbar, da die Umsetzungsfrist des Art. 38 Abs. 1 noch nicht abgelaufen ist. Dies hindert jedoch nicht, bereits jetzt unbestimmte Rechtsbegriffe des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen (vgl. VGH BW vom 12.5.2005 - A 3 S 358/05 und VG Stuttgart vom 30.5.2005 - 12 K 10786/05).