VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 07.03.2006 - 25 ZB 05.31119 - asyl.net: M8247
https://www.asyl.net/rsdb/M8247
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, rechtliches Gehör, Verfahrensmangel, Prozesskostenhilfe, Reisekosten, mündliche Verhandlung, Erfolgsaussichten, Rechtsschutzgarantie, Sozialstaatsprinzip, Darlegungserfordernis
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 166; ZPO § 114; VwGO § 162 Abs. 1; VwGO § 101 Abs. 2; VwGO § 78 Abs. 4 S. 4
Auszüge:

Die Berufung des Klägers wird zugelassen, weil die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO) objektiv vorliegt.

Es ist nahe liegend und bedarf keiner näheren Ermittlungen, dass weder die Fahrtkosten von Passau nach Regensburg noch erst recht die Vertretungskosten eines Rechtsanwalts aus den verfügbaren eigenen Barmitteln eines minderjährigen afrikanischen Asylbewerbers bestritten werden können. Weil der Prozesskostenhilfeantrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt worden war, war der Kläger deshalb auf die beantragte Übernahme der Reisekosten angewiesen, um an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu können. Diesem Antrag hätte das Verwaltungsgericht hier stattgeben müssen. Zwar wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über die Bewilligung von Reisekosten eines Beteiligten zum Verhandlungstermin in entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe durch das Gericht entschieden (BVerwG vom 19.2.1997 Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 37, im Anschluss an BGH vom 19.3.1975 BGHZ 64,139 = NJW 1975, 1124; im Grundsatz h.M., vgl. BayVGH vom 25.4.1985 BayVBl 1985, 438; SächsOVG vom 27.9.2000 Az. 1 E 104/00; Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 66 zu § 166; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 13 zu § 166; a.A. Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, RdNr. 214 zu § 166). Die entsprechende Anwendung von § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO bedarf aber hinsichtlich der Voraussetzung, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten muss (§ 114 Satz 1 ZPO), der Einschränkung. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.; ebenso SächsOVG a.a.O.), dass bei Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten auch für die Bewilligung von Reisekosten kein Raum ist, ist dahin einzuschränken, dass einem mittellosen Beteiligten die Anreise zur mündlichen Verhandlung dann zu ermöglichen ist, wenn auch für einen bemittelten Beteiligten die Aufwendungen für die Reise im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO notwendig wären (vgl. BayVGH vom 14.12.1984 a.a.O.; Neumann, a.a.O.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und das in ihm enthaltene Äußerungsrecht der Beteiligten gegenüber dem Gericht erfordert nämlich dann, wenn eine mündliche Verhandlung gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 101 Abs. 2 VwGO), den Beteiligten die Gelegenheit zu geben, den Verhandlungstermin zum Zwecke der Darlegung ihrer Standpunkte wahrzunehmen, weil die mündliche Verhandlung dann den Mittelpunkt des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bildet (vgl. BVerwG vom 18.10.1983 Buchholz 310, § 108 VwGO Nr. 140). Wenigstens einmal muss es auch der unbemittelten Person im Hinblick auf das Gebot effektiven und gleichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) effektiv möglich gewesen sein, selbst oder durch einen Bevollmächtigten den eigenen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung vor dem Richter zu vertreten, ohne dass das von einer vorherigen Prüfung der Erfolgsaussichten abhängig gemacht wird. Davon geht übrigens auch der Bundesgerichtshof in der zitierten Grundsatzentscheidung (a.a.O. NJW 1975, 1125) aus, wenn er für die Bewilligung der Reisekosten die Notwendigkeit der Reise ausreichen lässt, die er immer dann annimmt, wenn die Partei zu dem Termin geladen ist. Im vorliegenden Fall hätte somit dem Kläger, dessen Bevollmächtigter mangels Prozesskostenhilfe die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ablehnte, unabhängig von den Erfolgsaussichten die persönliche Wahrnehmung seiner Interessen in der mündlichen Verhandlung ermöglicht werden müssen.

Der Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör wurde im Zulassungsverfahren auch hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Zwar fehlt es an einem substantiierten Vortrag dazu, welche weiteren Tatsachen, Erklärungen und Beweismittel der Kläger zusätzlich zu seinem bisherigen Vorbringen geltend gemacht hätte, wenn ihm die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ermöglicht worden wäre, und inwieweit diese zusätzlichen Ausführungen geeignet gewesen wären, trotz der hilfsweisen Wahrunterstellung seines bisherigen Vortrags eine andere Entscheidung des Verwaltungsgerichts herbeizuführen. Die auf punktuelle Gehörsverletzungen bezogene Rechtsprechung zur Darlegungslast und Kausalität (vgl. z.B. BVerwG vom 2.4.1985 Buchholz 310 § 108 Nr. 165) ist auf den vollständigen faktischen Ausschluss von der mündlichen Verhandlung nicht übertragbar (vgl. BVerwG vom 18.10.1983 Buchholz 310 § 108 Nr. 140; vom 29.9.1994 BVerwGE 96, 368/309).