VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 08.02.2006 - 23 K 6011/03 - asyl.net: M8248
https://www.asyl.net/rsdb/M8248
Leitsatz:

§ 25 Abs. 5 AufenthG für Roma aus Kosovo wegen guter Integration.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Zumutbarkeit, freiwillige Ausreise, Serbien und Montenegro, Kosovo, Roma, Erlasslage, Abschiebungsstopp, UNMIK, Verhältnismäßigkeit, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Integration, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, Visum nach Einreise, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2
Auszüge:

§ 25 Abs. 5 AufenthG für Roma aus Kosovo wegen guter Integration.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Der Rechtsanspruch ergibt sich aus § 25 Abs. 5 AufenthG.

Die Ausreise in sein Heimatland ist ihm indes aus rechtlichen Gründen, und zwar wegen des zu seinen Gunsten eingreifenden verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, unmöglich.

Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist dem Kläger eine Rückkehr in den Kosovo nicht zuzumuten (vgl. zur Zumutbarkeit auch Nr. 25.5.1.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz).

Der Kläger gehört dem Volk der Roma an. Bei der Abwägung der Interessen des Klägers einerseits und denen der Bundesrepublik Deutschland andererseits fällt wesentlich zugunsten des Klägers ins Gewicht, dass auch nach dem neuen Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 03.02.2006 über die Rückführung ethnischer Minderheiten in das Kosovo eine Rückführung des Klägers auf unabsehbare Zeit nicht in Betracht kommt. Dem Erlass ist ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 22.12.2005 beigefügt, in dem über die Expertengespräche in Pristina vom 14. und 15.12.2005 berichtet wird. In dem Schreiben heißt es u.a.:

"UNMIK ist nicht bereit, einer nach dem Ergebnis der April-Gespräche ebenfalls in Aussicht genommenen Ausweitung des Personenkreises sowie Steigerungen der Rückführungen der Roma-Ethnie zuzustimmen. Es bleibt somit bei einer Begrenzung auf Roma, die wegen einer/mehrerer Straftat(en) zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden sind. UNMIK begründete diese Weigerung mit der harschen Kritik, der man sich von verschiedenen Seiten ausgesetzt sah, als man im April den vorsichtigen Einstieg in die Rückführung dieser Ethnie zuließ. Zudem sei man an die Vorgaben des UNHCR gebunden, der Roma-Angehörige weiterhin als international schutzbedürftig einstuft und daher die zwangsweise Rückführung von Roma in das Kosovo in seinem Positionspapier von März 2005 weiterhin strikt ablehnt."

...

"Wie erwartet, sieht sich UNMIK im Ergebnis weder in der Lage, vollständig zum im Rahmen der April-Gespräche getroffenen Vereinbarungsstand zurückzukehren, noch uns eine Fortentwicklung des Rückführungsprozesses für Minderheiten zu ermöglichen. Dass UNMIK sich derzeit nicht in vollem Umfang an die schriftlich getroffenen Vereinbarungen halten könne, sei letztlich auf die fragile und komplexe Situation im Kosovo und die derzeit laufenden, allerhöchste Priorität genießenden Statusverhandlungen zurückzuführen."

Die Erlasslage gründet sich auf das Fortbestehen einer allgemeinen Gefahrensituation für Roma im Kosovo. Dies ist bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schwerwiegend zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Im Regelfall ist es für ihn nicht zumutbar, sich unter diesen Umständen auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise verweisen zu lassen.

Der in dem Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein Westfalen vom 12. April 2005 dargelegten Auffassung, unzumutbar sei eine Ausreise in den Kosovo nur, soweit im Einzelfall durch das Bundesamt bzw. bei fehlendem Asylverfahren durch die Ausländerbehörde nach Beteiligung des Bundesamtes oder das Verwaltungsgericht eine Entscheidung nach § 60 Abs. 7 AufenthG getroffen worden ist, kann dann nicht gefolgt werden, wenn eine Erlasslage wie die obige besteht und damit neben der asylrechtlichen Fragestellung auch eine ausländerrechtliche Regelung getroffen ist (vgl. zu dem Problem auch VG Karlsruhe, Urteil vom 17.05.2004 - 2 K 1002/03 -).

Bei dem Kläger kommt noch hinzu, dass er inzwischen weitgehend im Bundesgebiet integriert ist. Er und seine Eltern, mit denen er im Familienverband lebt, beziehen seit November 2000 keine öffentlichen Leistungen mehr.

Der Kläger, der nicht straffällig geworden ist, spricht im übrigen gut deutsch.

Er hat hier einen Hauptschulabschluss nach der Klasse 9 gemacht und danach die Berufsschule besucht.

Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG, weil seine Abschiebung seit mehr als 18 Monaten ausgesetzt ist. Danach soll ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Das Vorliegen eines Ausnahmefalles ist nicht ersichtlich.

Das Ermessen des Beklagten ist auch insoweit auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis reduziert, als allgemeine Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht erfüllt sind.

Was die Erfüllung der Passpflicht anbelangt, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass ihm vom Beklagten die für die Beantragung eines Passes beim Generalkonsulat in Düsseldorf erforderliche Bescheinigung nicht erteilt worden sei, weil die Frage des Bleiberechts ungeklärt sei. Der Vertreter des Beklagten hat dem nicht widersprochen. Damit kann ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung angenommen werden.

Das dem Beklagten eingeräumte Ermessen, von der Einholung des erforderlichen Visums abzusehen (§ 5 Abs. 2), ist im Falle des Klägers dahingehend reduziert, dass ihm die Aufenthaltserlaubnis ohne Visumseinholung zu erteilen ist. Angesichts der Situation der Roma im Kosovo ist es dem Kläger unzumutbar, dorthin zurückzukehren.