VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 20.03.2006 - 8 K 20295/05 We - asyl.net: M8336
https://www.asyl.net/rsdb/M8336
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG für allein stehende irakische Frau und ihre Kinder; § 60 Abs. 7 AufenthG wegen insulinpflichtigem Diabetes mellitus.

 

Schlagwörter: Irak, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Abschiebungshindernis, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, Existenzminimum, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr, Krankheit, Diabetes mellitus, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG für allein stehende irakische Frau und ihre Kinder; § 60 Abs. 7 AufenthG wegen insulinpflichtigem Diabetes mellitus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Die Klägerin wäre im Irak im Falle einer Rückkehr einer schweren Existenzbedrohung in diesem Sinne ausgesetzt, da sie als allein reisende Frau mit ihren minderjährigen Kindern nach Auffassung des Gerichts keine Möglichkeit hätte, dort ihren notwendigen Lebensunterhalt zu erlangen.

Nach der aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 24.11.2005) leidet die irakische Bevölkerung unter einer erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Not, soweit keine Möglichkeit besteht, reguläre Gehälter von der Regierung und den multinationalen Streitkräften zu beziehen. Diese Not wird durch die Verteilung von Nahrungsmitteln aus Programmen der Vereinten Nationen gelindert. 60 % der Bevölkerung sind hierauf angewiesen. Rückkehrer können dabei auf die Aufnahme und Versorgung durch die Familie oder die Sippe zählen. Diese Versorgung innerhalb von familiären Strukturen ist in besonderer Weise für rückkehrende Frauen von Bedeutung, da diese auf Grund der derzeitigen sozialen Strukturen im Irak nach Auffassung des Gericht nicht in der Lage sind, allein und ohne familiären Rückhalt Zugang zu den bestehenden Versorgungsmöglichkeiten der internationalen Gemeinschaft zu erhalten. So hat sich nach der genannten Auskunft des Auswärtigen Amtes ebenso wie nach der Auffassung des UNHCR in der Stellungnahme "zur gegenwärtigen Situation von Frauen im Irak" vom April 2005 die Stellung von Frauen gegenüber der Zeit des Regimes der Baath-Partei verschlechtert. Die Möglichkeiten zur Teilhabe am öffentlichen Leben sind eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund vertritt das Gericht die Auffassung, dass allein reisenden Frauen bei einer Rückkehr in den Irak dann eine Gefahr für Leib und Leben droht, wenn sie die dort nicht auf familiäre Strukturen treffen, die eine Versorgung sicher stellen, und eine Unterstützung im Kontakt zu dem öffentlichen Leben und damit zu den öffentlich zugänglichen Versorgungsmöglichkeiten gewähren. Gleiches gilt für mitreisende Kinder, die auf ihre Mutter angewiesen sind.

Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind aber auch auf Grund der von der Klägerin vorgetragenen und durch Vorlage eines ärztlichen Attests belegten Erkrankungen erfüllt. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bei der Klägerin - sogar - eine Extremgefahr gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - Irak - drohen der Klägerin schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sogar bis zum Tode führen könnten.

Ausweislich des von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Attests der Allgemeinmedizinerin ... vom 14.03.2006, leidet die Klägerin an Diabetes Mellitus Typ II und Bluthochdruck. Zur Behandlung der Diabetes ist die Klägerin auf Insulin angewiesen. Bei einer Rückkehr in den Irak könnte eine derartige Behandlung unter Umständen nicht mehr erbracht werden.