VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 16.05.2006 - 1 A 4374/05 - asyl.net: M8349
https://www.asyl.net/rsdb/M8349
Leitsatz:
Schlagwörter: Russland, Tschetschenen, Tschetschenien, Gruppenverfolgung, Separatisten, Männer, Alter, Sippenhaft, Flüchtlingsfrauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, Vergewaltigung, Inhaftierung, Glaubwürdigkeit, traumatisierte Flüchtlinge, alleinstehende Personen, soziale Bindungen, Kinder, Jugendliche
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Gemessen an diesen Grundsätzen besteht für die Klägerin zu 1) ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz.

In der Kammer werden die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung wegen der Herkunft aus dem Kaukasus bzw. der tschetschenischen Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation weiterhin als nicht gegeben erachtet (vgl. Urteil, vom 7. Dezember 2004, Az.: 1 A 4337/02). Auch für die Kläger besteht mithin eine entsprechende Gefährdungslage allein aufgrund ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit nicht.

Hiervon deutlich zu unterscheiden ist ein individualisierter Separatismusverdacht vor allem gegenüber jungen männlichen Tschetschenen, der sich eventuell auch auf andere "südländisch" aussehende oder aus dem Kaukasus stammende Personen erstrecken kann. Allgemein in der Russischen Föderation, aber auch in Inguschetien und Dagestan sowie insbesondere an den Grenzen dieser Gebiete zu Tschetschenien finden verstärkt Kontrollen, Verhöre und Razzien statt, die sich auf diese Personengruppe konzentrieren. Besondere Aufmerksamkeit widmen die russische Behörden dabei solchen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen (AA, Lageberichte vom 27. November 2002 und 16. Februar 2004; SFH vom Januar 2001; ai vom 8. Oktober 2001; UNHCR vom Januar 2002).

Für die Klägerin zu 1) liegt eine derartige Bedrohungslage aus individuellen Gründen vor. Die Klägerin zu 1) hat glaubhaft dargelegt, dass sie wegen der Teilnahme ihres damaligen Ehemannes am Krieg von russischen Milizen aufgesucht, festgehalten und verhört und während dieser Inhaftierung vergewaltigt wurde.

Soweit es die Klägerin zu 2) bis 4) betrifft, sind indes die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln sind hinreichende Anhaltspunkte für drohende Maßnahmen der Sippenhaft gegenüber - minderjährigen - Familienangehörigen von Rebellen bzw. Personen, die im Verdacht stehen, tschetschenische Rebellen unterstützt zu haben, nicht zu entnehmen, so dass für die Kläger zu 2) und 3) wegen der Teilnahme ihres leiblichen Vaters an den Kriegshandlungen nicht von einer Gefährdung auszugehen ist.

Allerdings besteht für die Kläger zu 2) bis 4) ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Eine solche individuelle Gefahrenlage ist für die Klägerin zu 2) bis 4) anzunehmen, wenn sie als Kinder/Jugendliche ohne ihre Eltern in die Russische Föderation zurückkehren müsste, zumal sie nicht auf sonstige verwandtschaftliche Hilfe zurückgreifen könnten.