VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.04.2006 - 7 E 4120/03.A (V) - asyl.net: M8391
https://www.asyl.net/rsdb/M8391
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Volksmudjaheddin, MEK, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Beweislast, nichtpolitisches Verbrechen, Auslandsstraftaten, Terrorismus, Terrorismusvorbehalt, Mitglieder, terroristische Vereinigung, Wiederholungsgefahr, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen
Normen: AsylVfG § 73 ABs. 1 S. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; GFK Art. 1 F
Auszüge:

Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Die Beklagte selbst bestreitet nicht, dass die Klägerin aus Gründen einer asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung den Iran verlassen hat und auch gegenwärtig im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland noch einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

§ 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 1 AufenthG (§ 51 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 AuslG) bestimmt, dass § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung findet, wenn ein Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Dass dieser Ausschlussgrund im Falle der Klägerin zum Tragen kommen könnte, ist jedenfalls zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Selbst wenn man vollinhaltlich die Bewertung der Tätigkeiten der MEK im Bescheid der Beklagen vom 12.8.2003 und in nachfolgenden Schriftsätzen als die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdend teilt, so ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin seit ihrer Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2003 oder danach in entsprechende Aktivitäten der MEK eingebunden wäre. Die Beklagte ist jedoch für das Vorliegen der Widerrufsgründe darlegungs- und beweispflichtig und hat den erforderlichen Nachweis nicht erbracht und die erforderlichen Beweise nicht angetreten.

Gemäß § 60 Abs. 8 S. 2 Alt. 2 AufenthG findet § 60 Abs. 1 AufenthG dann keine Anwendung, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen hat oder sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen. Dass die Klägerin persönlich vor ihrer Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen hat, ist jedenfalls derzeit nicht feststellbar. Zwar hat die Klägerin selbst in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 13.9.1994 u.a. angegeben, in Teheran verantwortlich für die Abteilung der Organisation, die für die Gruppenbildung in anderen Firmen zuständig war, verantwortlich gewesen zu sein. Die Beklagte hat jedenfalls im Rahmen ihrer Entscheidung vom 3.5.1995 über den Asylantrag der Klägerin keinerlei Veranlassung gesehen, deren Vorfluchtaktivitäten als dem auch nach seinerzeitiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Asylrecht anwendbaren Terrorismusvorbehalt unterfallend zu gewichten und ihr daher den asyl- und flüchtlingsrechtlichen Schutz zu versagen. Im Hinblick darauf begegnet es bereits durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken, ob die Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheids vom 3.5.1995 durch den Widerrufsbescheid vom 12.8.2003 überhaupt rechtlich zulässig ist.

Unabhängig davon rechtfertigen die organisatorischen und sonstigen von der Klägerin geschilderten Tätigkeiten vor ihrer Inhaftierung im Iran es nicht, den ihr gewährten Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus zu widerrufen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese als Beteiligung an einem schweren nichtpolitischen Verbrechen, etwa Unterstützung terroristischer Bestrebungen, zu bewerten sind, liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf nicht vor. § 60 Abs. 8 S. 2 AufenthG ist wie S. 1 dieser Vorschrift eine Norm, die der Abwehr der von einem Asylberechtigten bzw. Flüchtling ausgehenden konkreten und gegenwärtigen Gefahr dient. Erforderlich ist demnach, dass nach wie vor oder erneut die konkrete Gefahr einer Beteiligung an einem schweren nichtpolitischen Verbrechen besteht (vgl. dazu ausführlich OVG Koblenz, Urt. v. 6.12.2002 - 10 A 10089/02.OVG, InfAuslR 2003, 254, 258 ff.; zum Erfordernis einer konkreten Gefahr im Rahmen des § 51 Abs. 3 Alt. AuslG [= § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 1 AufenthG] vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.11999 - 9 C 31/98, NVwZ 1999, 1346, 1348; ebenso zu § 51 Abs. 3 Alt. 2 [= § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG] BVerwG, Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 6/00, NVwZ 2001, 442, 443). Das Erfordernis einer aktuell bestehenden konkreten Gefahr ist (verfassungs-)rechtlich auch deswegen geboten, weil mit der Versagung einer Asylberechtigung oder des Flüchtlingsstatus bzw. mit dem Widerruf einer entsprechenden stattgebenden Entscheidung in den Kernbereich des Asylrechts des Art. 16a Abs. 1 GG bzw. der flüchtlingsrechtlichen Position nach § 60 Abs. 1 AufenthG eingegriffen wird.

Gemäß § 60 Abs. 8 S. 3 Alt. 1 AufenthG, der den Ausschlussgrund des Art. 1 F (C) GFK übernimmt, findet § 60 Abs. 1 AufenthG dann keine Anwendung, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Nach dem gegenwärtigen Stand der völkerrechtlichen Praxis der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ist dieser Ausschlusstatbestand eng auszulegen.