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OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 12.07.2006 - 3 Q 45/05 - asyl.net: M8448
https://www.asyl.net/rsdb/M8448
Leitsatz:
Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Kinshasa, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, alleinstehende Frauen, Kinder, Kleinkinder, alleinerziehende Frauen, Krankheit, HIV/Aids, Versorgungslage, Demonstrationen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Vorweg ist klarzustellen: Die Kläger zu 1. und zu 2. sind 2001 und 2003 geborene Kleinkinder, die allein nicht nach Kinshasa abgeschoben werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt für Kleinkinder nur eine Abschiebung gemeinsam im Familienverband mit beiden Eltern in Betracht (Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, S. 11 des amtl. Umdr.; im Ansatz ebenso Auswärtiges Amt, das im Lagebericht vom 9.5.2005, S. 29, auf die Gefährdung unbegleitet zurückgeführter Minderjähriger hinweist sowie in dem Lagebericht vom 14.12.2005 auf die häufige Versorgungsgefährdung unbegleiteter rückgeführter Minderjähriger).

Davon ausgehend ist der Ausschluss einer allgemeinen Extremgefahr in Kinshasa in der bisherigen Senatsrechtsprechung hauptsachebezogen geklärt und durch weitere Beschlüsse bestätigt (Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4101 -, betreffend einen fünfköpfigen Familienverband einschließlich Mutter und Vater; Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, betreffend einen allein stehenden Kongolesen; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, betreffend ein klagendes Kind im Familienverband mit beiden Eltern; Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, betreffend drei Kleinkinder in einem vollständigen Familienverband mit Mutter und Vater).

Ausgangspunkt der dargelegten Senatsrechtsprechung für die Beurteilung einer Extremgefahr nach - nunmehr - § 60 VII AufenthaltsG ist die Tatsache, dass wegen der angespannten Versorgungslage ins Kinshasa dauerhaft Überlebensstrategien erforderlich sind, um dort überhaupt zu überleben.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Überlebensstrategie auch einem Familienverband mit Eltern und Kleinkindern bei genereller Betrachtung möglich (Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4/01 -; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -).

Eine Ausnahme hat der Senat aber von vornherein in seiner Rechtsprechung für den besonders schutzbedürftigen Familienverband aus einer allein stehenden Mutter mit Kleinkindern ohne weiteren Familienverband und ohne Erwerbschancen gemacht, bei dem eine Extremgefahr sowohl für den Verband als auch für jede Person einzeln besteht (Urteil des Senats vom 3.12.2001 - 3 R 4/01 -, S. 70 des amtl. Umdr.; Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, S. 74 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 28.3.2003 - 3 Q 9/02 -, S. 15 des amt. Umdr.; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, S. 14 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -, S. 10 des amtl. Umdr.).

Der Senat hält auch nach dem derzeitigen Stand an seiner Rechtsprechung fest. Eine weitere Ausnahme im Sinne einer Extremgefahr hat der Senat nur noch für Aids und Krebserkrankungen gemacht, die jedenfalls im fortgeschrittenen Zustand im Kongo nicht behandelt werden können (Urteil des Senats vom 14.1.2002 - 3 R 1/01 -, S. 75 des amtl. Umdr.; Beschluss des Senats vom 29.9.2004 - 3 Q 4/04 -, S. 12 des amtl. Umdr.).

Die Kläger stellen die Rechtsprechung des Senats, soweit sie bei genereller Betrachtung eine Extremgefahr für besonders gefährdete Menschen bejaht, nicht in Frage; sie halten aber einen neuen Klärungsbedarf für gegeben, soweit es um. die Verneinung der Extremgefahr im Regelfall geht.

Nach Würdigung des Senats ist damit aber nur eine vorübergehende Zuspitzung dargelegt, die keine bleibende Bedeutung für eine künftige Rückkehr in den Kongo hat und damit keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf begründet. Die blutigen Demonstrationen vom 10.1.2005 sind zwar noch in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.5.2005 erwähnt (S. 6), nicht mehr jedoch in dem nachfolgenden Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2005. Dort heißt es vielmehr (S. 5), dass die Lage sich innenpolitisch weitgehend stabilisiert hat; mithin war die Zuspitzung nur vorübergehend.

Vorsorglich weist der Senat nochmals darauf hin, dass die anzustellende Prognose mit Blick auf die Extremgefahr nur für die realistisch zu erwartende Abschiebungskonstellation gilt, dass die Kläger als Kleinkinder mit dem vollständigen Familienverband nach Kinshasa zurückkehren sollen. Sollte die Behörde beabsichtigen, die Kläger als Kleinkinder allein nach Kinshasa abzuschieben, würde dies der dargelegten Rechtsprechung des Senats diametral widersprechen. Ebenso würde eine Abschiebung allein mit der Mutter der generellen Rechtsprechung des Senats widersprechen. Der Senat geht davon aus, dass es zu solchen Abschiebungskonstellationen nicht kommt, und dass die Kläger anderenfalls wegen der grundlegend geänderten Abschiebungssituation und damit einer grundlegend anderen Tatsachengrundlage für die gerichtliche Prognose zu den erforderlichen Überlebensstrategien einen Folgeantrag stellen können.