VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 08.03.2006 - 9 E 1575/05.A(3) - asyl.net: M8518
https://www.asyl.net/rsdb/M8518
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung, Suizidgefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens im Sinne von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind hier insoweit gegeben, als sich durch die weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin, dokumentiert insbesondere in dem dem Folgeantrag beigegebenen ärztlichen Attest des ... vom 03.03.2005, eine zugunsten eines Bleiberechts der Klägerin veränderte Sachlage ergeben hat.

Aus der gesundheitlichen Situation der Klägerin ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Dabei war bereits in dem Asylerstverfahren und dem sich hieran anschließenden gerichtlichen Verfahren unstreitig, dass die Klägerin an einer erheblichen und behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leidet. Allerdings ging das erkennende Gericht bislang davon aus, dass keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die psychische Erkrankung der Klägerin nicht auch in der Türkei behandelt werden könne, zumal im Falle der Klägerin die Nutzung des privaten Gesundheitssektors der Türkei auch wirtschaftlich möglich erscheint. Das Gericht schließt sich nunmehr unter dem Eindruck der durch entsprechende ärztliche Atteste erfolgten Dokumentation der drei monatelangen stationären Aufenthalte der Klägerin in einem psychiatrischen Krankenhaus, ..., dass bei dieser eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gem. ICD-10 F43.1 vorliegt. Obwohl sich insbesondere aufgrund des labilen Gesundheitszustandes der Klägerin nicht alle Einzelheiten befriedigend aufklären lassen, dürfte nach ihrer konstanten Schilderung Auslöser ihres jetzigen psychischen Leidens der sie traumatisierende Umstand gewesen sein, dass sie in der Türkei vergewaltigt worden ist, gleichsam um ihren Mann zu bestrafen oder unter Druck zu setzen.

Es ist für das Gericht auf dieser Tatsachengrundlage auch nunmehr nachvollziehbar, dass die angemessene medizinische Versorgung der Klägerin in der Türkei nicht daran scheitern würde, dass entsprechende Behandlungseinrichtungen bzw. Medikamente entweder überhaupt nicht verfügbar oder nicht zugänglich wären, sondern daran, dass eine Rückkehr der Klägerin in die Verhältnisse in der Türkei zu einem jähen Wideraufleben der psychischen Ausnahmesituation, also zu einer Retraumatisierung führen würde und dies zusammen mit dem durch eine Abschiebung unvermeidlich eintretenden Bruch in der laufenden psychotherapeutischen Betreuung und Unterstützung der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer akuten Selbstmordgefährdung der Klägerin führen könnte.