VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 27.07.2006 - 1 K 3627/01.A - asyl.net: M8540
https://www.asyl.net/rsdb/M8540
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Verdacht der Unterstützung, Unterstützung, PKK, Inhaftierung, Folter, traumatisierte Flüchtlinge, Glaubwürdigkeit, posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeitsgutachten
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Kläger haben nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte und auf die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG besteht.

Zwar ist davon auszugehen, dass das Vorbringen der Kläger zu ihrem Verfolgungsschicksal bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung und in der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2005 insbesondere in chronologischer Hinsicht zahlreiche Unstimmigkeiten und Widersprüche aufweist.

Dies bringt den Vortrag der Kläger zu 1) und 2) jedoch aufgrund der vorliegenden Besonderheiten nicht insgesamt zu Fall.

Das Gericht vermag dem Kläger zu 1) jedenfalls abzunehmen, dass er vor der Ausreise wegen des (begründeten) Verdachts von Unterstützungshandlungen für die PKK ins Blickfeld der Sicherheitskräfte gelangt und aus diesem Grunde im Zeitraum von etwa 1992 bis zur Ausreise der Kläger im Jahre 2001 mehrfach zum Teil auch längerfristig inhaftiert und während der Haft misshandelt und gefoltert worden ist. Der Klägerin zu 2) vermag das Gericht dahin zu folgen, dass sie von den auf der Suche nach dem Kläger zu 1) befindlichen Sicherheitskräften vor der Ausreise geschlagen und derart getreten worden ist, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hat. Dieses Vorbringen haben beide Kläger sowohl bei der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vom 25. August2005 im Kern stets gleichbleibend geschildert. Das Gericht geht aufgrund der im Gutachten des Therapiezentrums für Folteropfer Köln (vorgelegt am 26. April 2006) hierzu getroffenen Feststellungen davon aus, dass das genannte Vorbringen der Wahrheit entspricht.

In der zusammenfassenden Würdigung des Gutachtens auf S. 51 heißt es, die Aussagen des Kläger zu 1) in Bezug auf die politische Verfolgung und. die traumatischen Ereignisse seien glaubhaft. Die Schilderungen seien in der konkreten Lebenssituation des Klägers verankert. Die mangelnde Konstanz sei psychotraumatologisch zu erklären. Neurophysiologische Vorgänge führten zu einer mangelhaften Enkodierung und Konsolidierung von Wahrnehmung und Erinnerung. Verdrängung erschwere den Abruf von Erinnerungen. Es sei davon auszugehen, dass es aufgrund der Traumatisierung dem Kläger zu 1) nicht möglich sei, zeitlich chronologisch zu antworten, allerdings sei seine Kernaussage über mehrere Untersuchungseinheiten immer die gleiche gewesen.

Auf S. 88 heißt es in Bezug auf die Klägerin zu 2), ihre Aussagen, durch Sicherheitskräfte geschlagen und in den Bauch getreten worden zu sein und eine Fehlgeburt erlitten zu haben, seien glaubhaft. Die Ausführungen seien weder formell noch klischeehaft und enthielten eine Vielzahl delikttypischer Details. Das Geschehen sei in die konkrete Lebenssituation eingebettet und nachvollziehbar. Die Aussagen der Klägerin im Rahmen des Asylverfahrens seien in Bezug auf die traumatischen Ereignisse glaubhaft. Die Aussagen entsprächen in weiten Teilen den klassischen Kriterien für Glaubwürdigkeit. Dass der Bericht nicht genau und nicht widerspruchsfrei geschildert werden könne, spreche nicht per se gegen die Glaubhaftigkeit, sondern hänge mit den oben beschriebenen traumabedingten Phänomenen zusammen. Zwar sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, einen geordneten Zeitablauf des Geschehens darzulegen, doch sei ihre Kernaussage über mehrere Untersuchungseinheiten immer die gleiche gewesen.

Diesen überzeugenden und durch zahlreiche - im Gutachten detailliert beschriebene - Untersuchungen belegten Ausführungen, die zudem auch in Kenntnis des Inhalts der vorliegenden Akte getätigt worden sind, schließt sich das Gericht an.

Nach allem ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 1) bei den türkischen Sicherheitskräften in den Verdacht der Unterstützung der PKK bzw. separatistischer Betätigungen geraten ist und er und seine Ehefrau den beschriebenen Behelligungen ausgesetzt gewesen sind. Unter diesen Umständen mussten die Kläger zu 1) und 2) zum Zeitpunkt ihrer Ausreise mit weiteren Festnahmen, körperlichen Misshandlungen oder anderen verfolgungsrelevanten Repressalien rechnen.