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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 07.07.2006 - 21 K 8158/04.A - asyl.net: M8559
https://www.asyl.net/rsdb/M8559
Leitsatz:

Verfolgung von aktiven Mitgliedern der Kommunistischen Partei Syriens; Gefahr der Sippenhaft für nahe Angehörige von Personen, die als gefährliche Regimegegner gelten.

 

Schlagwörter: Syrien, Kommunistische Partei Syriens, CPPB, Mitglieder, Geheimdienst, Hausdurchsuchung, Festnahme, Folter, Verfolgungszusammenhang, Sippenhaft
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Verfolgung von aktiven Mitgliedern der Kommunistischen Partei Syriens; Gefahr der Sippenhaft für nahe Angehörige von Personen, die als gefährliche Regimegegner gelten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, weil ihnen in Syrien politische Verfolgung droht.

Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung bei getrennter Befragung ein Verfolgungsschicksal widerspruchsfrei vorgetragen, das nach der Überzeugung des Gerichtes den Tatsachen entspricht.

Nach der Befragung der Kläger steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass sowohl die Kläger zu 2. und 3. als auch der Vater und Ehegatte der Kläger der Kommunistischen Partei Syriens (CPPB) angehörten. Die Kläger zu 2. und 3. haben durch die Vorlage von Einzahlungsquittungen nachgewiesen, dass sie die Partei auch im Bundesgebiet finanziell unterstützen. Der Vater der Kläger zu 2. und 3. wurde am 8. August 2002 vom syrischen Geheimdienst festgenommen und ist nach drei Monate währender Haft durch die Misshandlungen der Sicherheitsorgane zu Tode gekommen. Er wurde der Familie als Leiche ausgehändigt. Nachdem bei einer Hausdurchsuchung am 9. August 2002 Parteiunterlagen gefunden worden waren, wurden auch die Kläger zu 2. und 3. verhaftet, vernommen und während der Haft misshandelt. Nach drei Tagen kamen sie mangels Beweises frei, mussten sich aber während der Zeit bis zur Ausreise aus Syrien laufend weiteren Verhören unterziehen.

Diese weiteren Verhöre, bei denen die Kläger zu 2. und 3. nicht mehr misshandelt und noch am selben Tag nach Hause entlassen wurden, hätten jederzeit in erneute asylerhebliche staatliche Maßnahmen umschlagen können. Aktive Mitglieder der CPPB müssen nach der Erkenntnislage der Kammer mit staatlicher Verfolgung rechnen. Ihnen drohen Haftstrafen und Repressionen seitens der Sicherheitsdienste. Mit diesen Maßnahmen müssen sowohl einfache als auch hochrangige Parteimitglieder rechnen, sofern sie sich engagieren (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 27. Dezember 2004; Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das VG Bayreuth vom 28. Februar 2001).

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Kläger zu 2. und 3. nach ihrer Freilassung im August 2002 sowie der Tötung ihres Vaters im November 2002 in einer fortwährenden akuten Bedrohungslage in Syrien weiterlebten. Der Umstand, dass sie die Ereignisse im Jahre 2002 nicht zum Anlass ihrer sofortigen Ausreise genommen haben, unterbricht den Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht nicht. Es kann den Klägern nicht entgegen gehalten werden, dass sie angesichts ihrer gesicherten wirtschaftlichen Lage in Syrien zunächst versucht haben, dem staatlichen Verfolgungsdruck stand zu halten.

Die Feststellung drohender politischer Verfolgung ist auch für die Klägerin zu 1. zu treffen, obwohl sie selbst nicht Parteimitglied war und sie im Zusammenhang mit der Verhaftung ihres Ehegatten, bzw. ihrer Kinder zwar zu Boden gestoßen, selbst aber nie verhaftet, verhört oder misshandelt wurde. Ihre Gefährdung folgt daraus, dass sie als direkte Verwandte mit den Klägern zu 2. und 3. in einem Haus zusammen lebte. Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass von einer generellen Praxis der Sippenhaft in Syrien nicht ausgegangen werden kann, jedoch wird eine Sippenhaft ausnahmsweise dann angenommen, wenn es sich um nahe Angehörige solcher Personen handelt, die vom syrischen Staat als gefährliche Regimegegner eingestuft werden (vgl. Urteil der Kammer vom 22. November 2002 - 21 K 7468/01.A-).

Dies deckt sich mit den Einschätzungen des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Institutes (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2006, S. 19; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 5. September 2000 - 660 al/br -, S. 2.).

Vor diesem Hintergrund folgert das Gericht die Gefahr einer Sippenhaft der Klägerin zu 1. daraus, dass auch sie durch die Sicherheitskräfte in der Vergangenheit bereits unter Druck gesetzt und bedroht worden ist.

Angesichts des nach wie vor aktuellen Verfolgungsinteresses des syrischen Staates, wie die politisch verfolgten Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien vor weiterer politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher wären. Sie sind damit als Asylberechtigte anzuerkennen.