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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.08.2006 - 14 L 1566/06.A - asyl.net: M8602
https://www.asyl.net/rsdb/M8602
Leitsatz:

Verzichten die Eltern eines Kindes nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG auf die Durchführung eines Asylverfahrens, beträgt die vom Bundesamt zu setzende Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylVfG einen Monat.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Antragsfiktion, Kinder, Ausreisefrist, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Verzicht, Asylverfahren
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 38 Abs. 2; AsylVfG § 38 Abs. 1; AsylVfG § 14a Abs. 2; AsylVfG § 14a Abs. 3; AsylVfG § 32; AsylVfG § 75 Abs. 1
Auszüge:

Verzichten die Eltern eines Kindes nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG auf die Durchführung eines Asylverfahrens, beträgt die vom Bundesamt zu setzende Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylVfG einen Monat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.

Unter Berücksichtigung des erkennbaren Zieles des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers, eine zwangsweise Durchsetzung seiner Ausreisepflicht vor Abschluss des Hauptverfahrens zu verhindern, war in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO festzustellen, dass die gegen die verfügte Ausreisefrist gerichtete Klage aufschiebende Wirkung im Sinne von § 80 Abs. 1 VwGO, § 75 AsylVfG hat.

Das hierfür erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse ist gegeben, weil sich das Bundesamt - wie aus dem Hinweis in seiner Rechtsmittelbelehrung folgt - der sofortigen Vollziehbarkeit seiner Entscheidung in Anknüpfung an die dem Antragsteller nach Maßgabe des § 38 Abs. 2 AsylVfG gesetzte kurze Ausreisefrist berühmt.

Die Rechtsauffassung des Bundesamtes ist unzutreffend. Da Rechtsgrundlage für die Ausreisefrist nicht § 38 Abs. 2, sondern § 38 Abs. 1 AsylVfG ist, entfaltet die Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Bundesamtes aufschiebende Wirkung. Anders als nach dem in § 80 Abs. 1 VwGO normierten Grundsatz, nach dem Widerspruch und Klage generell aufschiebende Wirkung haben, tritt der Suspensiveffekt von Klagen gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG gemäß § 75 AsylVfG "nur" in den Fällen der §§ 38 Abs. 1 und 73 AsylVfG ein. Daraus folgt zwar im Umkehrschluss, dass die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidungen des Bundesamtes die Regel bildet. Kennzeichnend für diese Regelfälle ist namentlich die an die (qualifizierte) Entscheidung über den Asylantrag anzuschließende Bestimmung der kurzen Ausreisefrist des § 36 Abs. 1 AsylVfG. Die in dieser Regelung genannten Voraussetzungen "Unbeachtlichkeit und offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages" liegen hier aber ersichtlich nicht vor. Auch der nach § 14 a Abs. 2 S. 3 AsylVfG beim Bundesamt eingegangene - fingierte - Asylantrag des minderjährigen Ausländers ist ein beachtlicher Asylantrag. Die aufgrund der Verzichtserklärung nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG hierzu ergangene Entscheidung nach § 32 AsylVfG beinhaltet keine materiellrechtliche Bewertung im Sinne der Begründet-/Unbegründetheit oder gar "offensichtlichen Unbegründetheit" des Asylantrages, sondern beschränkt sich auf einen Ausspruch von allein verfahrensrechtlicher Bedeutung. Insoweit hat der Gesetzgeber nach der Einführung des § 14 a Abs. 3 AsylVfG durch das am 01.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz die nach Abgabe einer Verzichtserklärung zu treffende asylverfahrensrechtliche Entscheidung sowohl dem Gegenstand wie dem Inhalt nach derjenigen angepasst, die er nach § 32 AsylVfG a. F. bereits für den Falle der Rücknahme eines Asylantrages vorgeschrieben hatte. Einheitliche Entscheidungsvorgaben für die nach § 34 ff AsylVfG vorgeschriebenen materiellrechtlichen Folgeentscheidungen hat er für diese beiden Fallkonstellationen jedoch nur in Bezug auf die Feststellungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, nicht aber in Bezug auf die für den jeweiligen Fall zu bestimmende Ausreisefrist gemacht.

Dafür sprechen gute Gründe. Die Motivation, die den Gesetzgeber ursprünglich zur Verkürzung der Ausreisefrist bei Rücknahme des Asylantrages bewogen hatte, war nicht etwa der Umstand, dass sogar der Antragsteller selbst mit der Rücknahme seines Asylantrages zum Ausdruck bringt, er messe seinem Antrag keine Erfolgschancen (mehr) zu, was zugleich als Indiz für dessen "offensichtliche Unbegründetheit" im Sinne von § 36 Abs. 1 AsylVfG gewertet werden könnte. Ausschlaggebend für die Verkürzung der Monatsfrist des § 38 Abs. 1 AsylVfG war in den Fällen der Rücknahme vielmehr die Erwägung, dass bei Antragsrücknahme vor Entscheidung des Bundesamtes im Regelfall deshalb eine kurze Ausreisefrist genügt, weil der Betroffene weder besondere Bindungen an Deutschland noch an hier lebende Personen hat (vgl.: Renner: Ausländerrecht-Kommentar, 8. Aufl., 2005, § 38 AsylVfG, Rn 5). Insoweit besteht zu den Verhältnissen der von § 14 a AsylVfG erfassten Minderjährigen allerdings wegen ihrer durch ein umfassendes Abhängigkeitsverhältnis geprägten Bindung an ihre hier lebenden Eltern/den hier lebenden Elternteil ein gravierender Unterschied mit der Folge, dass sich die Argumentation für die Verkürzung der Ausreisefrist in Fällen der Rücknahme nicht auf die Fälle eines Verzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG übertragen lässt. Daneben gewinnt der Umstand, dass die Verzichtserklärung nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG auch mittelbar indiziert, dass die Minderjährigen/ihre Eltern den Asylantrag von vornherein für aussichtslos halten, mithin ohne Verzicht auf das Asylverfahren in der Sache eine Entscheidung als "offensichtlich unbegründet" zu erwarten hätten, kein eigenständiges Gewicht. Infolgedessen fehlt die besondere Rechtfertigung dafür, die Ausreisefrist nach einer Verzichtserklärung gemäß § 14 a Abs. 3 AsylVfG ebenso kurz wie nach einer Rücknahme eines Asylantrages zu bemessen. Dies aber widerstreitet der Annahme, es könnte sich bei der Unterlassung, die Ausreisefrist für Rücknahme- und Verzichtsfälle einheitlich festzulegen, um ein Versehen des Gesetzgebers oder gar um eine planwidrige Lücke handeln, die - wie das Bundesamt anzunehmen scheint - durch eine entsprechende Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Verzichtsfälle zu schließen sei.

Da es nach alledem in Fällen des Verzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG nicht nur an einer ausdrücklichen Verkürzung der Monatsfrist des § 38 Abs. 1 AsylVfG fehlt, sondern auch eine entsprechende Anwendung der für Rücknahmefälle geltenden kurzen Ausreisefrist des § 38 Abs. 2 AsylVfG von nur einer Woche auf die Fälle des Verzichts weder als angezeigt noch gar als geboten erscheint, bestimmt sich die dem Antragsteller einzuräumende Ausreisefrist nach Maßgabe des Abs. 1 von § 38 AsylVfG. Sie beträgt "in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer" - wie hier - "nicht als Asylberechtigten anerkennt" einen Monat. Damit sind die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 AsylVfG, unter denen - ausnahmsweise - eine gegen die Entscheidungen des Bundesamtes erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat, - im Gegensatz zu dem dem Antragsteller vom Bundesamt erteilten Hinweis - gegeben.