KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 03.05.2006 - 25 W 31/05 - asyl.net: M8611
https://www.asyl.net/rsdb/M8611
Leitsatz:

Einem mittellosen Ausländer ist für ein Gespräch mit seinem Bevollmächtigten in Haftsachen zur Vorbereitung der Beschwerde auch dann nötigenfalls unentgeltlich ein Dolmetscher zu stellen, wenn er sich nicht mehr in Haft befindet und nur ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft gestellt wird.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Dolmetscher, Beschwerde, Haftbefehl
Normen: FGG § 27 Abs. 1 S. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; EMRK Art. 6 Abs. 3 Bst. e
Auszüge:

Einem mittellosen Ausländer ist für ein Gespräch mit seinem Bevollmächtigten in Haftsachen zur Vorbereitung der Beschwerde auch dann nötigenfalls unentgeltlich ein Dolmetscher zu stellen, wenn er sich nicht mehr in Haft befindet und nur ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft gestellt wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde ist auch begründet.

Es erweist sich hier zur sachgemäßen Vertretung des Betroffenen als erforderlich, dass die Staatskasse die Kosten für ein einmaliges Gespräch zwischen dem Betroffenen und einem seiner Verfahrensbevollmächtigten mit Unterstützung eines der Landessprache des Betroffenen mächtigen Dolmetschers erstattet.

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

Nach Art. 6 Abs. 3 lit. e. EMRK hat jede angeklagte Person das Recht, die unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache nicht spricht.

Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 5. Oktober 2000 - Beschwerde Nr. 39652/98 (Maaouia ./. Frankreich) handelt es sich bei Entscheidungen über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung von Ausländern nicht um Streitigkeiten in bezug auf die zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen eines Betroffenen oder über eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. InfAuslR 2001, 109 ff. m. Anm. Zander).

Nach Auffassung des Senats ergibt sich ein Anspruch auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher für ein Gespräch zwischen dem Betroffenen und einem seiner Verfahrensbevollmächtigten im vorliegenden Beschwerdeverfahren allerdings aus einer entsprechenden Anwendung des Art. 6 Abs. 3 lit. e. EMRK (ebenso: LG Lübeck, a.a.O.).

Die entsprechende Anwendung der Vorschrift ist geboten, da nach Ansicht des Senats im Regelwerk des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) und des FGG eine Lücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit vorliegt (vgl. zur Analogie: BGH NJW 1993, 1932).

Das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich der Übernahme von Dolmetscherkosten durch die Staatskasse in einem Strafverfahren ausgeführt:

" (...) Das Recht auf ein faires Verfahren verbieten es, einen der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich zu machen. Art. 3 III 1 GG verbietet jede Diskriminierung wegen der Sprache oder anderer dort aufgeführter Kriterien. (...)" (NJW 2004, 50).

Die Anwendung dieser Grundsätze ist auch im hiesigen Verfahren geboten (s. insoweit: OLG Celle, Beschluss vom 5. April 2005 - 22 W 12/05 - und Beschluss vom 17. Juni 2005 - 22 W 20/05 - jeweils bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Ein sprachunkundiger, mittelloser Ausländer könnte seine Rechte im Verfahren nicht hinreichend geltend machen, wenn er nicht Unterstützung zu einer Verständigung mit seinem Verfahrensbevollmächtigten erhält (vgl. OLG Oldenburg InfAuslR 2005, 206; LG Hamburg InfAuslR 2001, 292). Er würde bei der hier gegebenen Sachlage gegenüber einem Betroffenen, der in der Lage ist, den Verfahrensbevollmächtigten und damit dessen Auslagen zu bezahlen, in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt (vgl. allgemein: v. Mangoldt/Klein, Stark, GG, Bd. 3, 4. Aufl., Art. 103, Rn. 74; Kunig, in: v. Münch, GG, 5. Aufl., Art. 103 "Dolmetscher"). Die Regelungen über die Prozesskostenhilfe tragen insoweit nicht, da deren Gewährung von den Erfolgsaussichten des Begehrens abhängig ist (vgl. BGH MDR 2003, 1245).

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Bewilligung der Unterstützung durch einen Dolmetscher auf Kosten der Landeskasse nur insoweit in Betracht kommt, als dies im Einzelfall erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen - dies ist hier nochmals auszuführen (s.o.) - vor, wenn - wie hier - ein Ausländer in erster Instanz nicht anwaltlich vertreten war, mittellos ist und dies glaubhaft macht. Zudem muss jedenfalls dargetan werden, dass eine Verständigung mit seinem Verfahrensbevollmächtigten auch nicht mit anderen Hilfen (etwa anderen Sprachmittlern) möglich ist (s. dazu SchlHOLG, Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 2 W 302/04 - bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Außerdem muss die Unterstützung zur Fertigung einer eingehenden Beschwerdebegründung notwendig sein (vgl. im Strafverfahren zur Durchführung von vorbereitenden Gesprächen: BGH NJW 2001, 309; Hans OLG Hamburg NJW 2005, 1136; zur Neuregelung in § 187 GVG: BT-Drucks. 15/1976, 19 f.). Gerade unter Berücksichtigung des zuletzt dargelegten Aspektes erachtet der Senat ein einmaliges Gespräch zwischen dem Betroffenen und einem Verfahrensbevollmächtigten für ausreichend. (...)"

Diese Grundsätze finden auch auf die hiesige Sachlage Anwendung. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob die Haft noch fortdauert oder beendet ist und ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt wird.