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VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 13.12.2005 - 7 K 4685/03.A - asyl.net: M8858
https://www.asyl.net/rsdb/M8858
Leitsatz:
Schlagwörter: Angola, F.L.E.C.-Renovada, Mitglieder, interne Fluchtalternative, Cabinda, Luanda, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kinder, alleinstehende Personen, soziale Bindungen
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Kläger sind nicht politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG oder des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger zu 1., von dessen Verfolgungsschicksal die Klägerin zu 2. ihres ableitet, hat nicht glaubhaft gemacht, ihm drohe in Angola politische Verfolgung. Der Kläger zu 1. mag zwar Propagandatätigkeiten für die F.L.E.C.-Renovada durchgeführt haben. Das Gericht hält es zudem mit Blick auf die ihm vorliegenden Erkenntnisse zur Situation in Cabinda in den Jahren 2002 und 2003 für nicht ausgeschlossen, dass das Heimatdorf der Kläger von den in dieser Zeit stattfindenden Militäroffensiven der angolanischen Armee betroffen gewesen ist. Der Kläger zu 1. hat aber auch im Klageverfahren nicht glaubhaft zu vermitteln vermocht, dass er in diesem Zusammenhang wegen seiner Aktivitäten für die F.L.E.C.-Renovada in das Blickfeld angolanischer Behörden geraten ist.

Allein die Mitgliedschaft in der F.L.E.C.-Renovada führt nicht zu einem Anspruch des Klägers zu 1. auf Zuerkennung von Asyl. Selbst wenn unterstellt würde, er sei wegen der Mitgliedschaft in dieser Organisation einer Verfolgung in Cabinda ausgesetzt, so stünde ihm eine inländische Fluchtalternative offen. Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann.

Der Kläger zu 1. wäre außerhalb Cabindas vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Außerhalb Cabindas kann über die "Cabinda-Frage" offen diskutiert werden. Zudem sind Übergriffe, etwa auf F.L.E.C.-Angehörige, die sich nicht weiter exponiert für diese Organisation betätigt haben oder betätigen, außerhalb Cabindas nicht bekannt (vgl. hierzu: Lageberichte des Auswärtigen Amtes a.a.O.).

Dem Kläger zu 1. drohten auch keine anderen existenziellen Nachteile, die ihm ein Ausweichen etwa nach Luanda unzumutbar machten. Der Kläger zu 1. ist Automechaniker und hat in Cabinda in einer Autowerkstatt gearbeitet, sodass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass er in Luanda oder sonst wo außerhalb Cabindas eine Arbeit fände, um jedenfalls für sich eine Existenzgrundlage zu sichern.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nur in der Person der Klägerin zu 2. erfüllt, nicht in der des Klägers zu 1.

Auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass sich die Versorgungslage in Angola seit dem Friedensabkommen im Jahr 2002 zwar verbessert hat, dass aber die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung immer noch am Rande des Existenzminimums lebt, sie überlebt mit Subsistenzwirtschaft, Kleinsthandel und Gelegenheitsarbeiten. Die Kindersterblichkeit ist noch immer sehr hoch, 45 Prozent der Kinder leiden unter chronischer Unterernährung, die meisten Kinder haben keinen Zugang zu medizinischer Basisversorgung und auch nicht zu sauberem Wässer, rund eine Million Kinder gehen nicht zur Schule (vgl. zur Versorgungslage und Lage der Kinder in Angola u. a.: Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 18. April 2005 und vom 5. November 2004; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola im Übergang, Update März 2005).

Den mit der schlechten Versorgungslage verbundenen Gefahren für Leib und Leben ist die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung ausgesetzt; eine drohende existenzielle Gefährdung der Kläger im Falle ihrer Rückkehr wäre deshalb nur typische Folge der schlechten Versorgungslage in Angola. Die "Sperrwirkung" des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kommt deshalb für den Kläger zu 1. zum Tragen, nicht jedoch für die Klägerin zu 2. Hinsichtlich ihrer Person bestehen individuelle Besonderheiten, die sie von dieser "Sperrwirkung" befreien.

Die Klägerin zu 2. ist ein Kind, sie ist sieben Jahre alt, sie kann nicht ohne die Unterstützung anderer überleben. Im Rahmen einer realistischen Rückkehrperspektive kann nicht unterstellt werden, dass der Onkel, bei dem sie vor ihrer Ausreise gelebt hat, ausfindig gemacht wird, da die Kläger zu diesem seit ihrer Ausreise keinen Kontakt mehr haben. Zur Mutter der Klägerin zu 2. oder zu den übrigen Verwandten besteht schon seit Oktober 2002 kein Kontakt mehr. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Klägerin zu 2. im Falle ihrer Abschiebung gemeinsam mit ihrem Vater, dem Kläger zu 1., abgeschoben werden würde, führt dies nicht zu einer relevanten Veränderung bei der für die Klägerin zu 2. anzustellenden Gefahrenprognose. Es ist zwar - wie bereits angeführt - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger zu 1. in der Lage wäre, für sich selbst eine Existenzgrundlage außerhalb seines Heimatdorfs, etwa in Luanda, zu schaffen. Angesichts des Umstandes, dass die Kläger aber nicht in einen Familienverband zurückgekehrten, innerhalb dessen für die Klägerin zu 2. gesorgt werden könnte, die Kläger also im Falle ihrer Rückkehr weder eine Unterkunft noch eine Versorgung mit Nahrungsmitteln, sondern vielmehr nach wie vor eine angespannte Versorgungslage vorfänden, drohten der siebenjährigen Klägerin zu 2., die auch nicht wie der Kläger zu 1. darauf verwiesen werden könnte, sich etwa durch Nachgehen einer Arbeit selbst eine Existenzgrundlage zu schaffen, Hunger und Verwahrlosung verbunden mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben.