LSG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.11.2006 - L 8 B 27/06 AY ER - asyl.net: M9127
https://www.asyl.net/rsdb/M9127
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Kinder, Schulbesuch, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, freiwillige Ausreise, Beweislast, Irak, Situation bei Rückkehr, UNHCR
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; RL 2003/9/EG Art. 16 Abs. 1 Bst. a; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (LSG Hessen, Beschl. v. 29.6.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, RdNrn. 27 und 29 m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen sich die Gerichte dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 12. 5.2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166).

Nach diesem Maßstab ist hier ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht worden. Zwar können die Antragsteller von den derzeit gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG ihren Lebensunterhalt ohne Gefährdung der Existenz weiterhin bestreiten. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass sie seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet bis heute von diesem Leistungssatz leben. Es ist auch davon auszugehen dass mit den Geldleistungen nach § 3 AsylbLG die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben gewährleistet sind (so auch BVerwG, Beschluss v. 29.9.1998 - 5 B 82/97).

Hier ergibt sich die Eilbedürftigkeit aber schon aus dem Willen des Gesetzgebers, der sich in § 2 Abs. 1 AsylbLG widerspiegelt. Danach sollen grundsätzlich alle Asylbewerber nach einer Aufenthaltsdauer von 36 Monaten die Leistungen erhalten, die dem soziokulturellen Existenzminimum entsprechen. Der für die ersten 36 Monate deutlich abgesenkte Leistungssatz wird nur für eine vorübergehende Zeit als zumutbar angesehen. Bei einem länger dauernden Aufenthalt kann, auch wegen der zu erwartenden sozialen Integration, auf diese geringeren Leistungen nicht mehr zumutbar verwiesen werden, wenn nicht ausnahmsweise Gründe in der Person vorliegen, welche die Absenkung rechtfertigen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 121).

Dabei lässt sich ein Anordnungsgrund nicht schon unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05) verneinen, weil es das BVerfG für zulässig hält, zur Vermeidung einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache Leistungen nur mit einem Abschlag (im konkreten Fall 20 % der Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz) zuzusprechen. So liegt es nahe, dass nach mehr als drei Jahren des Bezugs von Leistungen nach § 3 AyslbLG, auch bei Anlegung sozialhilferechtlicher Maßstäbe, ein Nachholbedarf entstanden ist (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.11.2005 - L 7 AY 4413/05 ER-B). Denn die seit Inkrafttreten des AsylbLG im Jahre 1993 nicht mehr angehobenen Geldbeträge nach § 3 Abs. 3 AsylbLG, die gleichzeitig die Untergrenze für den Wert der Sachleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG bilden (Hohm in GK-AylbLG, Stand März 2005, § 3 RdNr. 22), waren bereits im Oktober 2000 altersabhängig um 14 % bis 28 % niedriger als die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (Hohm, a.a.O., RdNr. 95). Durch die zwischenzeitlich erfolgte Anhebung der Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz und dem SGB XII (Eckregelsatz in Sachsen-Anhalt von 530,00 DM = 270,98 € auf 331,00 €) dürfte diese Differenz auf bis zu 35 % gestiegen sein. Zudem würde es dem vom Gesetzgeber ausdrücklich in Bezug genommenen Integrationsgedanken widersprechen, Asylbewerber auch nach Ablauf von 36 Monaten weiterhin auf abgesenkte Leistungen zu verweisen. Denn eine Verzögerung der nach dem Wortlaut der Entwurfsbegründung nicht unerwünschten sozialen Integration (BT-Drucks. 15/420, S. 121) stellt - nicht nur für den Leistungsempfänger - einen nachträglich nicht auszugleichenden Nachteil dar. Besonders offensichtlich ist dies am Beispiel der Antragstellerin zu 4. Dieser werden zwar vom Antragsgegner nach § 6 AsylbLG die zum Schulbesuch notwendigen Beihilfen gewährt. Jedoch dürfte sie aufgrund des geringen Geldbetrags zur Deckung persönlicher Bedürfnisse nach § 3 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG i.H.v. 20,45 €, von dem vorrangig die notwendigen Ausgaben für Verkehrsmittel, Telefon, Porto, Schreibmittel, Lesestoff und kleine Mengen Genussmittel zu beschaffen sind (vgl. BT-Drucks. 12/4451, S. 8), allein aus materiellen Gründen nicht in der Lage sein, sich in den Klassenverband zu Integrieren. Die hieraus entstehenden Nachteile für ihr schulisches Fortkommen sind durch eine spätere Nachzahlung nicht wieder gutzumachen. Aus diesen Gründen ist auch keine Herabsetzung auf 80 % des Regelsatzes nach dem SGB XII gerechtfertigt (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 27.3.2006 - L 3 ER 37/06 AY).

Darüber hinaus wären Leistungsberechtigte bei einem generellen Ausschluss von einer gerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch dann über längere Zeit gezwungen, ihr Leben weiter mit Leistungen zu bestreiten, die unter der Schwelle des nach 36 Monaten Aufenthalt Zumutbaren liegen, wenn Gründe hierfür mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorliegen. Im Falle einer in näherer Zukunft drohenden Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland bestünde zudem die Gefahr der Verweigerung eines gemäß Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierten effektiven Rechtschutzes (so auch: OVG Bremen, Beschl. v. 6.9.2005, S 3 B 199/05; SG Duisburg, Beschl. v. 19.7.2005, S 17 AY 13/05 ER). Danach erscheint es den Leistungsberechtigten lediglich im Einzelfall zumutbar, z.B. bei erheblichen, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klärenden Zweifeln am Bestehen des Anordnungsanspruches, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit (niedrigeren) Leistungen nach § 3 AsylbLG wirtschaften zu müssen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 8.5.2006 - L 20 B 14!06 AY ER; Beschl. v. 21.12.2005 - L 20 (9) B 37/05 SO ER).

Eine weitergehende, individualisierte Darlegung wesentlicher Nachteile für die Antragsteller ist hier zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht notwendig, weil an diesen nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Denn die Antragsteller haben jedenfalls ab 10. Juli 2006 mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII.

Unstreitig haben die Antragsteller über die Dauer von insgesamt 36 Monaten, nämlich seit Oktober 1999, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Die Antragsteller haben auch nicht die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Rechtsmissbräuchlich ist das Verhalten eines Asylbewerbers dann, wenn es erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre. Dabei muss das rechtsmissbräuchliche Verhalten tatsächlich die Dauer des Aufenthalts beeinflusst haben (Mergler/Zink, SGB XII Stand August 2004, § 2 AsylbLG RdNrn. 26, 28). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass gemäß dem Sinn des § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Ablauf von 36 Monaten die höhere Leistung der Regelfall ist. Dem gemäß liegt die objektive Beweislast für das Vorliegen der anspruchsausschließenden Einwendung der Rechtsmissbräuchlichkeit, die entgegen dem Regelfall ausnahmsweise zur weiteren Zahlung von Leistungen nach § 3 AsylbLG führt, beim Leistungsträger (so auch Hohm in GK-AsylbLG, Stand Februar 2006, § 2 AsylbLG RdNr. 92 f). Dem gemäss darf das Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Verpflichtung zu Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nur dann ablehnen, wenn es ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nach Würdigung des gesamten vorliegenden Tatsachenstoffs für überwiegend wahrscheinlich hält.

Die Rechtsmissbräuchlichkeit ist ein unbestimmter, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff und deshalb von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen. Nach der Intention des Gesetzgebers soll mit der Einführung dieser Bestimmung der Anreiz zur missbräuchlichen Antragstellung weiter eingeschränkt werden.

Danach sollen alle Ausländer, die rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthalts selbst beeinflussen, nach drei Jahren nicht mehr den vollen Leistungsumfang entsprechend den Regelungen des damaligen BSHG in Anspruch nehmen dürfen. Rechtsmissbräuchlichkeit setzt demnach zunächst ein Verhalten voraus, das den Aufenthalt im Bundesgebiet verlängert. Ferner muss das Verhalten allein darauf abzielen, den Aufenthalt zu verlängern. Insoweit ist die subjektive Vorwerfbarkeit eines Verhaltens "wider besseres Wissen" erforderlich. Schließlich muss zwischen dem Verhalten des Asylbewerbers und der Aufenthaltsdauer ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Als Beispiele für einen Rechtsmissbrauch wird in den Gesetzesmaterialien die Vernichtung des Passes oder die Angabe einer falschen Identität genannt. Es soll zwischen den Ausländern unterschieden werden, die unverschuldet nicht ausreisen können, und denen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen (BT-Drucks. 15/420, S. 121). Die auch im Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG zum Ausdruck kommende gesetzliche Intention korrespondiert mit der Richtlinie 2003/9/EG des Europäischen Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliederstaaten. In dem dortigen Artikel 16 Abs. 1 Buchstabe a ist als Fall der möglichen Einschränkung oder Entziehung von gewährten Vorteilen genannt, dass ein Asylbewerber den bestimmten Aufenthaltsort verlässt, seinen Melde- und Auskunftspflichten oder Aufforderungen zu persönlichen Anhörungen betreffend das Asylverfahren während einer angemessenen Frist nicht nachkommt oder in einem Mitgliedsstaat bereits einen Antrag gestellt hat. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners findet die Richtlinie auch im Falle abgelehnter Asylbewerber Anwendung für die Auslegung des § 2 Abs. 1 AsylbLG, da dieser nicht zwischen Leistungsbeziehern vor und nach Ablehnung ihres Asylantrages unterscheidet (vgl. LSG Hamburg, Beschl. v. 27.4.2006 - L 4 B 84/06 ER AY). Für das Vorliegen von Rechtsmissbräuchlichkeit ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm zu vertretenden Gründen verhindert. In diesen Fällen sieht § 1a AsylbLG nämlich eine weitere Absenkung der Zuwendungen vor.

Einer der in den Materialien ausdrücklich genannten Fälle des Rechtsmissbrauchs wie die Vernichtung des Passes oder Angabe einer falschen Identität ist hier nicht gegeben. Auch haben die Antragsteller nicht gegen ihre Melde- und Auskunftspflichten verstoßen. Ein die Aufenthaltsdauer verlängerndes Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG kann hier alleine im Unterlassen einer freiwilligen Ausreise gesehen werden. Hierzu hat der Senat bereits entschieden, dass allein eine fehlende freiwillige Ausreise unter (bloßer) Ausnutzung einer bestehenden Rechtsposition der Duldung nicht ausreicht, um Rechtsmissbräuchlichkeit zu begründen (Beschl. v. 26.7.2006 - L 8 B 8/06 AY ER; so auch LSG Hamburg, Beschl. v. 27.4.2006 - L 4 B 84/06 ER AY; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 7.3.2006 - L 8 B 13/05 AY ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 08.05.2006 - L 20 B 14/06 AY ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 20.12.2005 - L 7 AY 51/05; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.11.2005 - L 7 AY 4413/05).

Für diese Auslegung spricht auch gerade die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gruppenbildung zwischen denjenigen Ausländern, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht "rechtsmissbräuchlich" nicht nachkommen (BT-Drucks. 15/420, S. 121). Um allein die unterlassene Ausreise als Missbrauch i.S. dieser Gruppenbildung werten zu können und damit ein bestimmtes Ergebnis für die Auslegung des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erhalten, müsste man hier das Wort "rechtsmissbräuchlich" als überflüssig betrachten. Eine solche teleologische Reduktion im Rahmen der historischen Auslegung erscheint methodisch fragwürdig. Auch vermag der Senat in der Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG an Personen, die trotz entsprechender Möglichkeit nicht ausreisen, keine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Personen erkennen, die in gleicher Lage tatsächlich ausreisen. Dafür fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit beider Gruppen, denn mit der Ausreise scheiden diese Personen vollständig aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG aus.

Für die hier favorisierte Auslegung spricht aus Sicht des Senates entscheidend, dass der Gesetzgeber die erhöhten Leistungen nicht mit einem bestimmten aufenthaltsrechtlichen Status verknüpft hat. So haben den Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG allgemein alle "Leistungsberechtigten", also auch die Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, die nur eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen. Dieser Personenkreis definiert sich gerade dadurch, dass er grundsätzlich ausreisepflichtig ist, wenn auch die Abschiebung - unabhängig von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise - vorübergehend ausgesetzt wurde. Dem entsprechend müssen nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG und der Systematik dieses Gesetzes weitere Umstände hinzutreten, um die fehlende Ausreise trotz bestehender Verpflichtung und Möglichkeit als rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen.

Umstände, die einen Rechtsmissbrauch i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG begründen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere hält es der Senat nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsteller nur deshalb nicht ausreisen, um weiter Leistungen nach dem AsylbLG beziehen zu können oder damit andere im dargelegten rechtlichen Rahmen zu missbilligende Ziele verfolgen. Der Senat hält es für wahrscheinlicher, dass die Antragsteller - entsprechend ihrem Vortrag - durch die gegenwärtigen Verhältnissen in ihrem Heimatland zu ihrem Verhalten veranlasst werden. So verweisen sie auf einen Bericht des UNHCR zur Möglichkeit der Rückkehr irakischer Flüchtlinge von September 2005 und auf einen Bericht über die Asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amtes vom 29. Juni 2006. Nach dem Bericht des UNHCR kann eine Rückkehr oder Rückführung von Flüchtlingen allenfalls in die drei nordirakischen Kurdenprovinzen befürwortet werden. Hierzu ergänzt der Bericht des Auswärtigen Amtes, dass der UNHCR in einer Stellungnahme vom Mai 2006 eine zwangsweise Rückführung auch in den Nordirak ablehne. Auch eine freiwillige Rückkehr könne nur dann in Betracht gezogen werden, wenn Personen an einem früheren Wohnort im Nordirak über enge familiäre und politische Beziehungen verfügten, die eine Reintegration in der Herkunftsgemeinde sicherstelle (Bl. 110 SG-Akte).

Da die Antragsteller vor ihrer Ausreise in Bagdad wohnten, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie im Norden des Iraks noch über so gute Beziehungen verfügen, wie diese in den zitierten Berichten als Voraussetzung auch für eine freiwillige Rückkehr selbst in die Nordprovinzen des Iraks genannt werden. Dem gemäss handelt es sich bei den von den Antragstellern genannten Gründen für ihr Verbleiben trotz bestehender Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise auch nicht um unbegründete Ängste oder objektiv nicht nachvollziehbare Bedenken.