VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 04.12.2006 - 2 K 600/06.TR - asyl.net: M9222
https://www.asyl.net/rsdb/M9222
Leitsatz:
Schlagwörter: China, Uiguren, Xinjiang, Separatisten, exilpolitische Betätigung, Ostturkistanische Union in Europa, Informationszentrum Ostturkistan, Weltkongress der Uiguren
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass hinsichtlich ihrer Person in Bezug auf China das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - festgestellt wird.

Zur allgemeinen Situation der Uiguren verweist die Kammer auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 24. Juli 2002 - 2 B 98.34950 - und des OVG Weimar vom 26. Juni 2003 - 3 KO 321/01 -. In seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China vom 30. November 2006 führt das Auswärtige Amt aus, dass die Situation in der überwiegend von muslimischen Uiguren bewohnten autonomen Region Xinjiang angespannt ist. Angesichts von Kontakten zwischen uigurischen Unabhängigkeitsgruppen und fundamentalistischen Gruppierungen in den Anrainerstaaten geht die Zentralregierung gegen alle (auch vermeintliche) Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen mit großer Härte vor. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes kann bereits das öffentliche Bekenntnis innerhalb Chinas zur Unabhängigkeit der uigurischen Gebiete strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Weiter heißt es wörtlich:

"Das chinesische Strafgesetz sanktioniert die Gefährdung der staatlichen Sicherheit, worunter auch Taten gegen die Integrität des Staatsgebietes fallen. Die chinesische Führung hat in mehreren Verlautbarungen darauf hingewiesen, dass es nach ihrer Überzeugung direkte Verbindungen zwischen uigurischen Separatisten und den afghanischen Taliban und Al Qaida gebe und dass ein energisches Vorgehen gegen den uigurischen Separatismus, Extremismus und Terrorismus Teil des internationalen Kampfes gegen den Terror sei. Der 11. September 2001 bot den chinesischen Behörden Anlass zum Beginn einer dritten Stufe der Politik des "harten Durchgreifens gegen Separatisten" (Stufe 1 ab 1983 und Stufe 2 ab 1996), in deren Rahmen Sympathisanten und vermeintliche Sympathisanten von mehr Autonomie für die AR Xinjiang oder der Unabhängigkeit "Ost-Turkestans" intensiv verfolgt werden. Seitdem bemüht sich die Volksrepublik China zudem verstärkt um eine grenzüberschreitende Verfolgung ethnischer Uiguren und Angehöriger anderer Minderheiten der AR Xinjiang; zum einen in den Staaten Zentralasiens, aber auch weltweit unter Betonung der Kontakte zwischen uigurischen Separatisten und dem Terrornetzwerk Al Qaida.

Am 15. Dezember 2003 veröffentlichte die chinesische Regierung zum ersten Mal eine offizielle Liste der in China als terroristisch eingestuften Vereinigungen darunter u. a.

- East Turkestan Islamic Movement ETIM (auch in UN-Liste enthalten),

- Eastern Turkistan Liberation Organisation ETLO,

- Uigurischer Weltjugendkongress (in Deutschland als Verein registriert),

- Oststurkistanisches Informationszentrum (in Deutschland als Verein registriert).

Gleichzeitig wurden elf Personen (alles Uiguren) namentlich genannt, denen terroristische Aktivitäten zur Last gelegt werden, drei der namentlich genannten Personen sollen in Deutschland lebende uigurische Flüchtlinge sein."

Auch weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass die Repressionen im Falle der Rückkehr von Separatisten nach China verschärft wurden. Diese Verschärfung sei in öffentlichen Äußerungen der politischen Führung Chinas und aus bilateralen und multilateralen politischen Dokumenten hervorgetreten. Ergänzend weist die Kammer auch auf die den Beteiligten bekannte Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker an das VG Koblenz vom 23. November 2005 (Az.: 6 K 2312/04.KO) hin.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin einen Anspruch auf die von ihr begehrte Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin bereits vor ihrer Ausreise aus China im Blickfeld der chinesischen Sicherheitskräfte gestanden hat. Sie hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass ihr Mann im November 2004 von der Polizei mitgenommen und nach vier Tagen wieder tot zurückgebracht wurde. Er hatte am ganzen Körper Schlagspuren. Hintergrund war, dass er, nachdem er zuvor deshalb aus dem Schuldienst entlassen worden war, weil er eine inhaftierte Uigurin in der Haftanstalt besuchen wollte, ein Buch über die "Tragödie der Uiguren in Ostturkistan" geschrieben hat. Die Klägerin hat glaubhaft geschildert, dass auch sie das Buch verteilt und letztlich aufgrund einer Warnung eines Freundes im Februar 2005 das Land verlassen hat.

Hinzu kommt, dass die Klägerin in erheblichem Umfang exilpolitisch tätig geworden ist. Grundsätzlich droht chinesischen Staatsangehörigen uigurischer Volkszugehörigkeit, die - anders als die Klägerin - unverfolgt aus China ausgereist sind, wegen exilpolitischer Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Rückkehr nach China nicht generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Exilpolitische Betätigungen können allenfalls dann eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr begründen, wenn die regimekritischen Aktivitäten das übliche Maß so deutlich übersteigen, dass der Asylbewerber sich dadurch in besonderer Weise persönlich exponiert und damit deutlich wird, dass die Aktivitäten sich nicht lediglich im Mitläufertum zur Unterstützung des Asylantrags erschöpfen, sondern Ausdruck einer ernsthaften politischen Überzeugung sind (vgl. hierzu BayVGH a.a.O.). Unabhängig davon, dass die Klägerin nicht unverfolgt aus China ausgereist ist, liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG auch aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland an den Tag gelegten exilpolitischen Betätigungen der Klägerin vor. Sie ist Mitglied, der "Ostturkistanischen Union in Europa e.V." und arbeitet aktiv beim "Informationszentrum Ostturkistan", das von offiziellen Organen der Volksrepublik China als "terroristische Organisation" bezeichnet wird, mit. Die Klägerin ist dabei auch nicht bloße Mitläuferin.