VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 16.11.2006 - 2 K 20064/05 We - asyl.net: M9258
https://www.asyl.net/rsdb/M9258
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, PKK, Mitglieder, Unterstützung, Verdacht der Mitgliedschaft, Verdacht der Unterstützung, Haftbefehl, Inhaftierung, Folter, Misshandlungen, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Anerkennungsrichtlinie, politische Entwicklung, Reformen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Dabei ist das Gericht insbesondere unter Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie davon überzeugt, dass der Kläger vorliegend bereits in seinem Heimatland verfolgt wurde bzw. von Verfolgung unmittelbar bedroht war. Das Gericht ist - auch bei Berücksichtigung der in der Anhörung aufgetretenen Widersprüche - von der Richtigkeit seiner Angaben bei der Anhörung überzeugt, da die eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes - ohne dass es weiterer Nachforschungen bedürfte - eindeutig dafür spricht, dass der Kläger in der Türkei der Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der PKK verdächtigt ist. Der Kläger musste daher in der Türkei mit weiteren - über die bereits beschriebenen Festnahmen hinausgehenden - Nachstellungen und damit einhergehenden Misshandlungen rechnen. Insbesondere angesichts der bestehenden Haftbefehle musste sich dem Kläger aufdrängen, dass er zum Zeitpunkt seiner Ausreise ins Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten ist, so dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten musste, jederzeit erneut von Sicherheitskräften aufgesucht und wegen bekannt gewordener oder jedenfalls vermuteter eigener politischer Aktivitäten oder zu solchen anderen Personen befragt zu werden (vgl. hierzu auch ThürOVG, Urt. vom 14.12.2004 - 3 KO 1047/04 -). In diesen Fällen hat der Kläger hingegen erhebliche Drangsalien wie Freiheitsentzug, Folter und Misshandlungen zu befürchten. Insbesondere bei bestehendem Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer illegalen politischen Vereinigung ist der Einsatz solcher Druckmittel in der Türkei üblich (ThürOVG a.a.O).

Dies ist nach der oben genannten Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist und er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Im Sinne dieser Vorschrift fehlt es zur Überzeugung des Gerichtes an stichhaltigen Gründen dafür, dass der Kläger bei einer erneut einsetzenden Verfolgung nicht bedroht ist. Denn es ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der gegen ihn bestehenden Haftbefehle in der Türkei landesweit gesucht wird und dementsprechend bei einer Rückkehr in die Türkei festgenommen wird. Aufgrund des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft den Kläger verdächtigt ein, nicht lediglich nicht politisches Verbrechen begangen zu haben, sondern ihn wegen Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in der PKK sucht, ist er in besonderer Weise in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten.

Um die eigene Strafbeteiligung des Klägers bzw. Dritter zu ermitteln besteht in diesem Fall die Gefahr von Misshandlungen im Rahmen der entsprechenden Ermittlungstätigkeit der Polizei und Staatsanwaltschaft. An dieser Situation hat sich zur Überzeugung des Gerichtes in der Türkei auch nichts geändert. Das Gericht ist nicht der Auffassung, dass sich seit den entsprechenden gesetzlichen Änderungen in der Türkei die Lage in der Praxis bereits so gebessert hat, dass generell Misshandlungen und Folter nicht mehr als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden können (so auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. vom 29.11.2004, Asylmagazin 1 bis 2/2005 S. 32, 33 m. w. N.). Vielmehr ist es nach wie vor davon überzeugt, dass zum Erhalt von Ermittlungsergebnissen und Geständnissen tatsächlicher oder vermuteter Anhänger von PKK und anderen vergleichbaren Organisationen Verhaftungen und Vernehmungen unter Anwendung von Folter eingesetzt werden.