VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 29.11.2006 - AN 15 K 06.30546 - asyl.net: M9347
https://www.asyl.net/rsdb/M9347
Leitsatz:
Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Staatenlose, Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Berg-Karabach, interne Fluchtalternative, Existenzminimum
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist im Hauptantrag, die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) beim Kläger vorliegen, begründet.

Als maßgeblichen Verfolgerstaat ist auf Aserbaidschan als Land des gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen. Bei dem Kläger liegen zwar nicht hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass er aserbaidschanischer Staatsangehöriger ist, es ist jedoch von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Aserbaidschan auszugehen.

Jedenfalls kann nicht von einer Fortdauer der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit mit Inkrafttreten des jetzigen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 30. September 1998 ausgegangen werden. Zwar gilt grundsätzlich, dass Personen, die die Staatsangehörigkeit Aserbaidschans innehatten, ihre Staatsbürgerschaft nicht durch die Tatsache ihrer Flucht aus Aserbaidschan als solche verloren haben (UNHCR vom 7.9.2000). Wie das Auswärtige Amt aber erstmals mit Auskunft vom 28. April 2003 an das VG Schleswig mitgeteilt hat, ist bei armenischen Volkszugehörigen in der Regel sieben Jahre, nachdem sie sich nicht mehr an ihrem Wohnsitz aufhielten, eine Abmeldung von Amts wegen erfolgt. Weiter wurden im Jahre 1998 die aserbaidschanischen Meldebehörden angewiesen, diejenigen armenischen Volkszugehörigen abzumelden, die sich de facto nicht mehr dauerhaft in der Republik Aserbaidschan aufhielten (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2.4.2003 an das VG Schleswig). Macht ein armenischer Volkszugehöriger daher keine Meldung bis 7. Oktober 1998, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des jetzigen Staatsangehörigkeitsgesetzes Aserbaidschans glaubhaft, kann nicht von einer (nach dem Gutachten Luchterhandt vom 17.10.2000 und der Stellungnahme des UNHCR 2000 ausreichenden, wenigstens formellen) Fortdauer des Wohnsitzes in Aserbaidschan und damit auch nicht von einem Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Ziffer 1 des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 30. September 1998 ausgegangen werden.

Somit ist auf das Land des gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen. Dies ist nach Überzeugung des Gerichts Aserbaidschan und nicht wie von der Beklagten angenommen Armenien.

Das Gericht geht davon aus, dass sich der Kläger bis zu seiner Ausreise im November 2005 in ... und damit auf aserbaidschanischem Staatsgebiet aufgehalten hat.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten angeführten Sprachgutachten, welches den Kläger als Armenier aus Armenien identifiziert hatte. Schon aus dem Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 18. März 2004, welches der Beklagten aus dem Verfahren AN 15 K 03.31515 bekannt ist, geht hervor, dass in der Region, aus der der Kläger seinen Angaben nach entstammte, neben der neu-ostarmenischen Hochsprache auch der so genannte "Shirvan-Dialekt" gesprochen wird. Da das Sprachgutachten der Beklagten die Existenz eines solchen Dialekts verneint, ist es schon alleine deswegen nicht geeignet, um die mutmaßliche Herkunft des Klägers aus Aserbaidschan zu widerlegen.

Bis heute müssen armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung durch dritte Personen rechnen, die dem aserbaidschanischen Staat zuzurechnen ist und Berg-Karabach ist weiterhin für sie keine inländische Fluchtalternative.

Weiter wäre es für den Kläger aber auch nicht möglich, in Berg-Karabach ein Existenzminimum zu finden.