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VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 22.01.2007 - M 9 K 06.51034 - asyl.net: M9624
https://www.asyl.net/rsdb/M9624
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Verfolgungsbegriff, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Religionsfreiheit, Missionierung, Anerkennungsrichtlinie, Konversion, Apostasie, Christen, exilpolitische Betätigung, Verfolgungshandlung, menschenrechtswidrige Behandlung, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

1. Der Kläger hat dadurch, dass er in Deutschland den christlichen Glauben angenommen hat, im Iran keine politische Verfolgung nach Art. 16 a Abs. 1 GG und nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten.

a) Auch eine Konversion zum Christentum löst für iranische Staatsangehörige im Fall der Rückkehr in ihr Heimatland kein beachtliches Risiko einer Verfolgung aus. Der Abfall vom islamischen Glauben ist im Iran kein Straftatbestand. Das religiöse Existenzminimum ist dort gewährleistet, solange der Ausländer nicht wegen einer herausgehobenen Leitungsfunktion in seiner christlichen Gemeinschaft oder wegen einer besonderen missionarischen Tätigkeit nach außen erkennbar exponiert ist. Apostaten können jedenfalls an religiösen Zusammenkünften in Wohnungen oder Häusern (sog. Hausgemeinschaften) teilnehmen, soweit diese nach außen kein Misstrauen bzw. kein Aufsehen erregen.

Zwar können Mitglieder der religiösen Minderheiten, denen zum Christentum konvertierte Muslime angehöre und die selbst offene und aktive Missionierungsarbeit unter Muslimen im Iran betreiben, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Das gilt für alle missionierenden Christen und unabhängig davon, ob es sich um konvertierte oder nicht-konvertierte handelt. Staatliche Maßnahmen richteten sich aber ganz überwiegend gezielt gegen die Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders Aktive (vgl. Bericht des AA zur: Lage im Iran, Stand: März 2006, S. 19).

b) Gemessen daran drohen dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen wegen seines Glaubensübertritts.

Denn nach Auskunftslage sind keine Fälle bekannt, in denen nach missionarischer Tätigkeit in der Bundesrepublik eine strafrechtliche Verurteilung im Iran erfolgt ist (Auskunft des DOI vom 27.2.2003 an das VG Münster, vgl. auch BayVGH v. 2.5.2005 14 B 02.30703 JURIS). Nach iranischer Behördenauffassung sind die Belange des Iran nicht dadurch gefährdet, dass Iraner im Ausland missionieren.

Weiter ist wie oben dargelegt eine Gefährdung durch Dritte erst bei einer über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehenden, öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung oder bei missionierender Tätigkeit zu befürchten. Dies Formen der Religionsausübung sind aber - weil über den Kernbereich der Religionsausübung hinausgehend - grundsätzlich nicht geschützt, unabhängig davon, wie stark der Ausländer sich selbst hierzu innerlich verpflichtet fühlt. Politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG liegt nicht bereits dann vor, wenn die Religionsfreiheit, gemessen an der umfassenden Gewährleistung wie sie etwa Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG enthält, Eingriffen und Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Diese müssen vielmehr ein solches Gewicht erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so genanntes religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person benötigt. Nur dann befindet er sich seinem Heimatland in einer ausweglosen Lage, um derentwillen ihm das Asylrecht Schutz im Ausland verheißt. Ein Verzicht auf eine Glaubensbetätigung nach außen ist hingegen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zumutbar.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004. ABl. der EU 2004 L Nr. 304 vom 30.9.2004. S. 12-23 - die Umsetzungsfrist ist nach Art. 38 Abs. 1 am 10.10.2006 abgelaufen). Zwar umfasst der Begriff der Religion hiernach auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich. Art. 10 der Qualikationsrichtlinie ist aber im Zusammenhang mit Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie zu lesen, da nach Art. 9 Abs. 3 zwischen den in Art. 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss. Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bezieht sich aber hinsichtlich der Frage, ob eine Verfolgungshandlung vorliegt, auf die Genfer Flüchtlingskonvention und auch diese setzt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Menschenrechte vor aus, der im Rahmen der Religionsfreiheit aber grundsätzlich erst bei einer Verhetzung des religiösen Existenzminimums angenommen werden kann (BVerwG v. 20.11.2004 1 C 9/03 JURIS).

Die Qualifikationsrichtlinie soll zum einen Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen festlegen und stützt sich zum anderen maßgeblich auf die Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Präambel (2), (3) und (6) sowie Art. 1 der Richtlinie). Auch nach Sinn und Zweck der Qualifikationsrichtlinie kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass hier ein über die Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehender Schutzanspruch gewährleistet werden soll. Demnach verbleibt es auch unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie - die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a eine "schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte" als Voraussetzung für das Vorliegen einer Verfolgungshandlung nennt - dabei, dass ein schwerwiegender Verstoß gegen die Religionsfreiheit erst bei einer Verletzung des religiösen Existenzminimums an genommen werden kann.

Im Übrigen würde auch die Definition des Begriffs der Religion in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie nicht das öffentliche Missionieren umfassen. Die Vorschrift schützt im öffentlichen Bereiche die "Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten". Wie oben ausgeführt. ist aber auch konvertierten Muslime der Besuch öffentlicher Gottesdienste möglich.