VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 13.02.2007 - 3 A 212/05 - asyl.net: M9632
https://www.asyl.net/rsdb/M9632
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Privatleben, Schutz von Ehe und Familie, Aufenthaltsdauer, Integration, Lebensunterhalt, Ermessen, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Kinder, gemeinsames Sorgerecht, Duldung, Straftat, Zukunftsprognose
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 25 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG liegen hier vor. Dem Kläger ist die Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich.

Eine freiwillige Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr Gründe entgegenstehen, die sich aus dem rechtlichen Verhältnis des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland ergeben. Ein solches rechtliches Ausreisehindernis folgt hier aus dem langen Aufenthalt und einer Integration des Klägers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und seinem nach Art. 8 EMRK geschützten Sorgerechtsverhältnis zu den jüngsten Kindern, das ausschließlich in Deutschland ausgeübt werden kann.

Der Kläger ist in Deutschland wirtschaftlich allerdings nicht vollständig integriert. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben im Widerspruchsbescheid bezog der Kläger seit seiner Einreise in Deutschland Sozialhilfeleistungen. Dies hat sich jetzt aber geändert.

Mit dem Einkommen von monatlich 400 EUR ist der Lebensunterhalt nicht im vollständigen Umfang gesichert. Auch ist es richtig, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt (vollständig) gesichert ist. Indes kann nach § 5 Abs. 3 Alt. 2 AufenthG im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhaltes abgesehen werden. Liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG vor, das heißt, eine Abschiebung ist länger als 18 Monate ausgesetzt, ist grundsätzlich von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 AufenthG und damit vom Erfordernis einer vollständigen Sicherung des Lebensunterhaltes abzusehen (vorläufige Nds. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG Nr. 5.3.3 sowie 25.5.2.5).

Der Umstand, dass der Kläger in Deutschland straffällig geworden ist, steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG nicht entgegen.

Jedoch ist zu beachten, dass es sich um Verfehlungen im Bereich der "unteren Kleinkriminalität" handelt, die zeitlich weit auseinander liegen. Zu beachten ist auch, dass nicht jeder Verstoß gegen Strafvorschriften zum Ausschluss einer Aufenthaltserlaubnis führen kann. Die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Vergangenheit steht einem weiten Verbleib eines Ausländers in Deutschland nicht automatisch entgegen. Es bedarf vielmehr zusätzlich einer Prognose, ob in Gegenwart und Zukunft Beeinträchtigungen drohend. Vorliegend ist eine Prognose, der Kläger werde auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten, nicht gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der fortschreitenden Integration des Klägers ist deshalb zurzeit nicht konkret zu befürchten, dass sich die Vorfälle aus der Vergangenheit wiederholen könnten, so dass die Verfehlungen in der Vergangenheit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ergebnis nicht entgegenstehen.

Der Umstand, dass der Kläger niemals eine Aufenthaltserlaubnis besessen hat, ihm vielmehr stets nur Duldungen erteilt worden sind, steht der Führung eines schutzwürdigen Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht entgegen. Denn die Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Kindern kann nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil seinen Familienangehörigen das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzumuten ist. In diesem Zusammenhang ist auszuführen:

Der Kläger hat seit 2005 gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau das Sorgerecht für die gemeinsamen minderjährigen Kinder.

Auch wenn - wie zu wiederholen ist - auch gewichtige familiäre Belange sich nicht gleichsam im Wege einer Automatik gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen (BVerfG, Beschl. v. 23.01.2006 a.a.O.), und zu berücksichtigen ist, dass die Kinder über lange Jahre von der Betreuung durch den Vater ausgeschlossen waren (die Mutter reiste 1995 nach Deutschland ein, der Kläger selbst erst 1999), hat der Kläger doch seitdem in tatsächlicher Hinsicht durchgehend und seit dem Jahre 2005 rechtlich gesichert durch die Entscheidung des Familiengerichtes die elterliche Sorge für die Kinder mit ausgeübt. Die Interessen des Klägers, die nach Art. 8 EMRK geschützt sind, überwiegen das öffentliche Interesse, den Aufenthalt des Klägers nicht weiter durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Auch die Interessen der Kinder - die alle einen gesicherten Aufenthaltsstatus aufgrund von Aufenthaltserlaubnissen haben - gebieten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zugunsten des Klägers. Denn die Erziehung durch ihren Vater kann praktisch nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil den Kindern das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzumuten ist.