VerfGH Berlin

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Zitieren als:
VerfGH Berlin, Beschluss vom 19.12.2006 - VerfGH 45/06 - asyl.net: M9723
https://www.asyl.net/rsdb/M9723
Leitsatz:

1. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin bei Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg richtet sich danach, ob öffentliche Gewalt des Landes Berlin ausgeübt worden ist. Bei den aufgrund des Staatsvertrages über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg geschaffenen gemeinsamen Obergerichten handelt es sich um Gemeinschaftseinrichtungen beider Länder. Die Frage, für welchen Hoheitsträger diese Gerichte Rechtsprechungsgewalt ausüben, ist unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden bundesgesetzlichen Ermächtigungsnormen durch Auslegung des Staatsvertrages entsprechend dem Willen der Vertragspartner zu beantworten. Danach übt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Rechtsprechungsgewalt jeweils nur für eines der Länder, in Berliner Fällen für Berlin, in Brandenburger Fällen für Brandenburg aus. Berliner Fälle sind solche beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anhängige Rechtsstreitigkeiten, für die ohne die Existenz des gemeinsamen Obergerichts nach den hierfür maßgeblichen bundes- und landesrechtlichen Verfahrensvorschriften das Berliner Oberverwaltungsgericht zuständig gewesen wäre.

2. Es verstößt gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wenn das Oberverwaltungsgericht bei einem Antrag auf Zulassung der Berufung die Zulässigkeit der mit dem Rechtsmittel vorgebrachten Verfahrensrüge, das Verwaltungsgericht habe Beweisanträge in prozessrechtswidriger und das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzender Weise abgelehnt, davon abhängig macht, dass eine entsprechende Rüge bereits beim Verwaltungsgericht erhoben worden war. Die Annahme einer solchen generellen Rügeobliegenheit - außerhalb im Einzelfall gegebener Korrekturmöglichkeiten gerichtlicher Pannen, Irrtümer oder Missverständnisse bei Ablehnung eines Beweisantrages - stellt eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwernis für die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges dar.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verfassungsbeschwerde, Zuständigkeit, Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Berufungszulassungsantrag, rechtliches Gehör, Rechtsweggarantie, Zwei-Monats-Frist, Fristbeginn, Anhörungsrüge, Beweisantrag, Verlust des Rügerechts
Normen: VerfGHG § 84 Abs. 2 Nr. 5; VerfGHG § 49 Abs. 1; VvB Art. 15 Abs. 4; VvB Art. 15 Abs. 1; VerfGHG § 51 Abs. 1 S. 1; VwGO § 152a; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 86 Abs. 2; ZPO § 295
Auszüge:

1. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin bei Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg richtet sich danach, ob öffentliche Gewalt des Landes Berlin ausgeübt worden ist. Bei den aufgrund des Staatsvertrages über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg geschaffenen gemeinsamen Obergerichten handelt es sich um Gemeinschaftseinrichtungen beider Länder. Die Frage, für welchen Hoheitsträger diese Gerichte Rechtsprechungsgewalt ausüben, ist unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden bundesgesetzlichen Ermächtigungsnormen durch Auslegung des Staatsvertrages entsprechend dem Willen der Vertragspartner zu beantworten. Danach übt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Rechtsprechungsgewalt jeweils nur für eines der Länder, in Berliner Fällen für Berlin, in Brandenburger Fällen für Brandenburg aus. Berliner Fälle sind solche beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anhängige Rechtsstreitigkeiten, für die ohne die Existenz des gemeinsamen Obergerichts nach den hierfür maßgeblichen bundes- und landesrechtlichen Verfahrensvorschriften das Berliner Oberverwaltungsgericht zuständig gewesen wäre.

2. Es verstößt gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wenn das Oberverwaltungsgericht bei einem Antrag auf Zulassung der Berufung die Zulässigkeit der mit dem Rechtsmittel vorgebrachten Verfahrensrüge, das Verwaltungsgericht habe Beweisanträge in prozessrechtswidriger und das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzender Weise abgelehnt, davon abhängig macht, dass eine entsprechende Rüge bereits beim Verwaltungsgericht erhoben worden war. Die Annahme einer solchen generellen Rügeobliegenheit - außerhalb im Einzelfall gegebener Korrekturmöglichkeiten gerichtlicher Pannen, Irrtümer oder Missverständnisse bei Ablehnung eines Beweisantrages - stellt eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwernis für die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges dar.

(Amtliche Leitsätze)