VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 22.01.2007 - 15 A 1731/04 - asyl.net: M9735
https://www.asyl.net/rsdb/M9735
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, PKK, Funktionäre, Mitglieder, Terrorismus, Terrorismusvorbehalt, nichtpolitisches Verbrechen, Wiederholungsgefahr, terroristische Vereinigung, Unterstützung, Strafverfolgung, Strafverfahren, Politmalus, Genfer Flüchtlingskonvention, Anerkennungsrichtlinie, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, subsidiärer Schutz, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Menschenrechtslage, Reformen, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Unterzeichnerstaat
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; GFK Art. 1 F; StGB § 129a Abs. 5; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; RL 200
Auszüge:

2. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG noch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu. Denn die Zuerkennung eines solchen Flüchtlingsstatus ist für die Klägerin auf Grund von § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen.

Nach § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alternative AufenthG findet § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen hat.

Zweck dieser Norm, die bereits am 1. Januar 2002 nach den Ereignissen des 11. September 2001 mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz in das deutsche Ausländerrecht eingefügt wurde, wie des ihr zu Grunde liegenden, gleich lautenden Art. 1 F. b) GK bzw. des ihr zeitlich nachfolgenden Art. 12 Abs. 2 Buchstabe b) der Qualifikationsrichtlinie ist es zu verhindern, dass sich ein Ausländer der Strafverfolgung im Land der Begehung insbesondere dem Terrorismus zuzuordnender Delikte entzieht (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 44). Sie ist auf Grund des mangels Umsetzung seit dem 10. Oktober 2006 unmittelbar geltenden Art. 12 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie dahingehend zu erweitern, dass sie auch für Ausländer gilt, die zu den genannten Straftaten und Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (vgl. insoweit auch die Hinweise des Bundesministeriums des Innern zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG vom 13. Oktober 2006, Abschnitt 1.2).

aa. Ob ein schweres nichtpolitisches Verbrechen vorliegt, ist nach Maßgabe des deutschen Strafrechts zu beurteilen, da nur nach hiesigem Rechtsverständnis festzustellen ist, ob einem Ausländer mit Rücksicht auf die Schwere seines strafbaren Verhaltens außerhalb des Bundesgebietes und auf die von ihm ausgehenden Gefahren die Möglichkeit einer Berufung auf das Asylgrundrecht bzw. die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG abgeschnitten ist (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 44). Entsprechend der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG sind auch die Tatbestände des Satzes 2 eng auszulegen (VG Köln, Urteil vom 22.9.2005, 16 K 5451/03.A, Juris Rn. 52).

Zu den schweren nichtpolitischen Verbrechen zählt hiernach insbesondere die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 5 StGB). Eine solche Straftat hat in aller Regel die von § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alternative AufenthG geforderte Schwere (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 45). Hierbei genügt es, dass sich jemand unter Eingliederung in eine solche Organisation ihrem Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet; einer förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft bedarf es nicht (vgl. m.w.N. OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 44), wie auch keine unmittelbare Beteiligung an Terroranschlägen zu verlangen ist.

bb. Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, ist einem Ausländer Asyl und Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu versagen. Weitere Einschränkungen des Ausschlusstatbestandes sind insoweit nicht geboten.

Insbesondere ist nicht zu verlangen, dass hinsichtlich des in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG bezeichneten Verhaltens eines Ausländers die Gefährlichkeit fortdauert. Denn das Schutzrecht aus § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nimmt - anders noch als der Wortlaut des § 50 Abs. 1 AuslG - ausdrücklich Bezug auf die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) und damit auch auf dessen Flüchtlingsbegriff. Dies hat zum einen zu einer Ausweitung des zu schützenden Personenkreises geführt, zum anderen aber auch zu einer Einschränkung, weil der jetzt in § 60 Abs. 8 Abs. 2 AufenthG übernommene Art. 1 F GK die dort genannten Personen wegen Schutzunwürdigkeit (vgl. dazu eingehend Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Innenausschuss, Protokoll der 78. Sitzung vom 30.11.2001, Stellungnahme von Anja Klug für den UNHCR, S. 78 ff.; vgl. zum entsprechenden Inhalt des UNHCR-Handbuchs auch Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 175) ausdrücklich aus der Anwendung des Schutzabkommens ausnimmt. Diese ausnahmslose Verweigerung des Flüchtlingsstatus insbesondere für Personen, welche terroristische Handlungen begangen oder gefördert haben, selbst wenn diese jetzt keine Bedrohung mehr darstellen, findet sich im Übrigen auch in den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wieder (vgl. Resolution 1269 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 19.10.1999, Abschnitt 4, sowie Resolution 1373 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 28.9.2001, Abschnitt 3 f). Ein weiter gehender Schutz, als ihn die Flüchtlingskonvention gewährt, ist mit § 60 AufenthG nicht intendiert. Auch der Bundesgesetzgeber will erkennbar das Ziel erreichen, dass den durch § 60 Abs. 8 AufenthG erfassten Personen der Flüchtlingsstatus des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht zuerkannt wird und ihnen lediglich der die Menschenwürde Betroffener sichernder, aber nicht mit dem Flüchtlingsstatus einhergehende Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 2 ff. AufenthG gewährt werden kann (vgl. dazu Deutscher Bundestag, Drucksache 14/7386, insb. S. 57, sowie Deutscher Bundestag, Drs. 15/420, S. 91 f., wo es ausdrücklich heißt, dass § 60 Abs. 8 AufenthG bewirke, dass Ausländer, die aus schwerwiegenden Gründen schwerster Verbrechen verdächtig sind, nicht mehr die Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten). Dass hierbei nicht auf die individuelle und auch aktuell fortdauernde Gefährlichkeit eines um Abschiebungsschutz Nachsuchenden abgestellt wird, ist dem polizeirechtlich orientierten deutschen Ausländerrecht zwar eher fremd, hat sich aber aus einer Verzahnung deutschen Rechts mit der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben (vgl. zu dieser auch Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 16). Im übrigen hat auch das Konstrukt der Schutzunwürdigkeit gewisse generalpräventive Aspekte, da es die Bereitschaft, sich terroristischen Organisationen anzuschließen, senken mag, wenn ein solches mit der Aussicht verbunden ist, selbst bei einer Abkehr von der Organisation nirgendwo mehr Aufnahme als Flüchtling zu finden und deshalb über lange Zeit einer angemessenen Strafverfolgung ausgesetzt zu bleiben (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 184).

Zwar wurde im Hinblick auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG mit beachtlichen Argumenten vertreten, § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG sei aus verfassungsrechtlichen Gründen dahingehend einengend auszulegen, dass der Flüchtling aktuell noch als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bzw. für die Allgemeinheit als Teil der Weltbevölkerung zu betrachten sein müsse (vgl. grundlegend und m.w.N. OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., insbesondere Juris Rn. 51; so auch VG Sigmaringen, Urteil vom 15.10.2003, A 1 K 10601/99, Juris Rn. 26; OVG Münster, Beschluss vom 21.7.2005, 15 A 1212/04.A sowie Beschluss vom 7.8.2006, 15 A 2940/06.A; VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 1611/04.A, Juris Rn. 31 ff.; VG Augsburg, Beschluss vom 11.3.2005, Au 4 S 05.30110, Juris Rn. 23; VG Düsseldorf, Urteil vom 19.1.2006,4 K 1407/03.A, Juris Rn. 60 ff. und VG Düsseldorf, Urteil vom 28.6.2006, 20 K 5937/04.A, Juris Rn. 54 ff.; siehe auch VG Stuttgart, Beschluss vom 30.5.2005, A 12 K 10786/05, Juris Rn. 7; ausdrücklich gegen das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr: Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 177 ff., VG Ansbach, Urteil vom 6.2.2006, AN 1 K 05.30351, Juris Rn. 67 f., und Urteil vom 14.12.2006, AN 1 K 06.30883, beide u.a. unter Hinweis auf die Qualifikationsrichtlinie; VG Weimar, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 20643/04). Allein dies werde dem Umstand gerecht, dass es sich bei einer Abschiebung um eine Maßnahme zur polizeilichen Gefahrenabwehr handele und insbesondere auch die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz geschaffene Vorschrift nach der Gesetzesbegründung (Deutscher Bundestag, Drs. 14/7386, insbesondere S. 57) nicht der Vergangenheitsbewältigung, sondern der Verhütung künftiger Terrorakte diene (OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 48). Zudem sei dem Asylgrundrecht des Art. 16 a GG der Ausschluss sog. "Asylunwürdiger" fremd, insbesondere kenne das deutsche Asylrecht nicht die Ausschlusstatbestände des Art. 1 F GK (vgl. m.w.N. OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 53; siehe dazu bereits grundlegend BVerfG, Entscheidung vom 4.2.1959, BVerfGE 9, 174 ff., Juris Rn. 26). Da das Asylgrundrecht nicht unter einem Gesetzesvorbehalt stehe und nur verfassungsimmanenten Schranken unterliege, könne es nur dann eingeschränkt werden, wenn dies unter Berücksichtigung anderer Grundrechte oder anderer mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte als "ultima ratio" geboten sei (vgl. m.w.N. OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 55; VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 1611/04.A, Juris Rn. 41).

Eine solche verfassungskonforme, den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 AufenthG einengende Auslegung war indes bereits bisher weder geboten noch erlaubt, wenn ein Flüchtling sich gar nicht auf das Asylgrundrecht stützen konnte, sondern lediglich "kleines Asyl" nach § 60 Abs. 1 AufenthG beanspruchte (vgl. ausführlich hierzu VG Hamburg, Urteil vom 18.9.2006,15 A 732/05; a. A., allerdings ohne weitere Begründung: OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff., Juris Rn. 47 ff. und Urteil vom 10.3.2006, 10 A 10665/05, Juris Rn 35; VG Düsseldorf, Urteil vom 19.1.2006, 4 K 1407/03.A, Juris Rn. 60 ff.). Insoweit hatte sich die an das Gesetz gebundene Rechtsprechung ausschließlich am einfachgesetzlichen Regelungsprogramm der Norm zu orientieren.

Seitdem mangels Umsetzung die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union am 10. Oktober 2006 in Deutschland unmittelbar geltendes Recht geworden ist (vgl. allgemein hierzu EuGH, Urteil vom 4.7.2006, C-212/04 - Adeneler -, Juris Rn. 108), darf § 60 Abs. 8 AufenthG - dessen Wortlaut mit der entsprechenden europarechtlichen Bestimmung weitgehend übereinstimmt - auch im Hinblick auf das Asylgrundrecht nicht mehr einschränkend ausgelegt werden, da dies vorrangigem Europarecht widerspricht.

Gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b) der Qualifikationsrichtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde. Diese Regelung ist vom Wortlaut her eindeutig und nicht auslegungsbedürftig: Ihr Tatbestand setzt lediglich voraus, dass die Straftat in der Vergangenheit begangen wurde, nicht aber auch, dass die hierbei zu Tage getretene Gefährlichkeit noch andauern müsse.

Nach Ablauf der Umsetzungsfrist müssen nationale Gerichte eine Richtlinie des Rats der Europäischen Union anwenden, soweit sie unmittelbare Wirkung entfaltet. Soweit letzteres nicht der Fall ist, müssen die nationalen Gerichte den Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung nationalen Rechts anwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 4.7.2006, C-212/04 - Adeneler -, Juris Rn. 108, 113, 115). Dies betrifft das gesamte nationale Recht (EuGH aaO Rn. 108). Auch wenn das deutsche Asylgrundrecht bisher so verstanden wurde, dass es den Ausschluss "Asylunwürdiger" nicht kannte, ist sein Schutzumfang in der jetzt gebotenen gemeinschaftskonformen Auslegung so zu bestimmen, dass Personen, die nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Qualifikationsrichtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, auch dem Schutz des Grundrechts auf Asyl nicht mehr unterfallen. Ein solches verletzt weder den Wesensgehalt des deutschen Asylgrundrechts noch ist es unverhältnismäßig (vgl. zur praktischen Konkordanz deutscher Grundrechte mit Völker- und Europarecht insbesondere BVerfG, Urteil vom 18.7.2005, BVerfGE 113, 273 ff., insbesondere Leitsatz 3.), da auch "Asylunwürdigen" der Kern des Asylrechts - bloßer Abschiebungsschutz - nicht vorenthalten werden muss.

Zwar darf ein Mitgliedstaat grundsätzlich günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling gilt, erlassen. Dies gilt nach Art. 3 der Qualifikationsrichtlinie jedoch nur dann, wenn diese mit der Richtlinie vereinbar sind. Zwar ist es für Asylsuchende günstiger, wenn sie trotz Begehens einer schweren nichtpolitischen Straftat außerhalb des Aufnahmelandes mangels Wiederholungsgefahr Asyl erhalten können. Mit der Richtlinie ist indes nicht vereinbar, solchen Personen Schutz zu gewähren, die die Richtlinie ausdrücklich vom Schutz ausschließt. Insoweit ist hier die Situation eine andere, als wenn in den Schutz nationalen Rechts lediglich Personen einbezogen werden sollen, über die das Europarecht keine Regelungen getroffen hat. Personen, die eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, sollen indes nach der Richtlinie ausdrücklich vom Flüchtlingsschutz ausgenommen werden und dürfen diesen deshalb auch nach nationalem Recht nicht erhalten.

Es kommt somit hier allein darauf an, ob in den früheren Handlungen der Klägerin im Nahen Osten ein schweres nichtpolitisches Verbrechen im Sinne der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gesehen werden kann. Dass sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung zu überzeugen vermocht hat, sich von der PKK gelöst zu haben, diese aufgrund ihrer vielfältigen Erfahrungen mittlerweile selbst als undemokratisch und autoritär einschätzt und den kurdischen Widerstand mittels Waffengewalt heute für falsch und schädlich hält, kann demgegenüber ihrem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen.

cc. Die früheren Handlungen der Klägerin im Nahen Osten, insbesondere ihr Einsatz als aktive Guerillakämpferin des bewaffneten Zweigs der PKK, der ARGK, sowie ihre flankierenden Aktivitäten für die PKK speziell im Bereich von logistischen Aufgaben, ihre Volksfrontaktivitäten und Propagandatätigkeit sowie ihre Position als Delegierte auf dem 6. Kongress der PKK und ihre Teilnahme auf mehreren PKK-Frauenkongressen sind rechtlich als schweres nichtpolitisches Verbrechen im Sinne der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu qualifizieren.

Gleichwohl kann nicht jede Unterstützungshandlung zu Gunsten der PKK als schweres nichtpolitisches Verbrechen gewertet werden, da dies eine konkrete, wenngleich unter Umständen auch nur mittelbare Förderung speziell der terroristischen bzw. unter Umständen auch "nur" kriminellen Ziele der Vereinigung fordert.

Ob allein die Teilnahme am bewaffneten Kampf der PKK im Südosten der Türkei und den angrenzenden Regionen bereits ausreicht, um im Sinne der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein schweres nichtpolitisches Verbrechen zu begründen, ist umstritten. So wird vertreten, dass die kämpfenden Einheiten der ARGK, deren Kampf offen und nicht mittels terroristischer Aktionen ausgetragen wurde, als Bürgerkriegspartei im Sinne des gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen und nicht als terroristische Gewalt zu werten seien (so insb. Marx, Stellungnahme zum Terrorismusbekämpfungsgesetz, Deutscher Bundestag, Drs. 14/7386, vom 27.11.2001, S. 9 ff.). Ferner wird verlangt, dass für die Begehung eines schweren nichtpolitischen Verbrechens auch bei einem PKK-Kämpfer ein konkreter Tatvorwurf erhoben werden müsse (so VG Augsburg, Beschluss vom 11.3.2005, Au 4 S 05.30110, Juris Rn. 21). Andererseits wird festgestellt, dass der Einsatz in bewaffneten Einheiten der PKK grundsätzlich den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufe (VG Stuttgart, Beschluss vom 30.5.2005, A 12 K 10786/05, Juris Rn. 7).

Jedenfalls ist aber in Bezug auf maßgebliche Funktionsträger der PKK anerkannt, dass diese in einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129a StGB tätig waren und hierdurch ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen haben (so für ein Mitglied des Zentralkomitees der PKK, welches zugleich Guerillakommandant war, VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 1611/04.A, Juris Rn. 27 ff.; so für den Leiter eines Agitationszentrums der PKK im Irak, welcher zum engsten Führungskreis des Funktionärsapparats der PKK gehörte und Sprecher der ERNK war: VG Ansbach, Urteil vom 6.2.2006, AN 1 K 05.30351, Juris Rn. 61 ff; für einen führenden Kader der PKK: VG Düsseldorf, Urteil vom 28.6.2006, 20 K 5937/04.A, Juris Rn. 46). Dabei komme es nicht darauf an, dass diese möglicherweise persönlich bestimmten Methoden der PKK ablehnten (VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 1611/04.A, Juris Rn. 30).

2. Der Klägerin ist jedoch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG zu gewähren, da ihr im Rückkehrfall in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter droht. Insoweit ist die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften in der Person der Klägerin gegeben sind.

b. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 oder 5 AufenthG ist auch nicht durch höherrangiges (vgl. dazu insbesondere EuGH, Urteil vom 21.9.2005, T-306/01 - Yusuf/Al Barakaat International Foundation -, Rn. 228 ff.) Europa- oder Völkerrecht ausgeschlossen.

Zwar bestimmt Art. 17 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, dass ein Drittstaatsangehöriger von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat (Buchst. b) bzw. sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Art. 1 und 2 der Charter der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen (Buchst. c). Dies kann in Fällen der Unterstützung der terroristischen Aktivitäten der PKK nicht nur zum Verlust der Flüchtlingsstellung, sondern auch zu einem Ausschluss des subsidiären Schutzes im Sinne von Art. 18 der Qualifikationsrichtlinie führen.

Der dort genannte subsidiäre Schutz ist jedoch nicht deckungsgleich mit der bloßen Gewährung von Abschiebungsschutz, um die es an dieser Stelle allein geht. Denn die Qualifikationsrichtlinie gewährt den durch sie Begünstigten nicht allein Schutz vor Abschiebung, sondern darüber hinaus Aufenthaltsrechte (Art. 24), Reisedokumente (Art. 25), Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats (Art. 32) sowie soziale Rechte wie insbesondere Zugang zur Beschäftigung, Zugang zur Bildung und Integrationsmaßnahmen, Sozialhilfe, medizinische Versorgung und Zugang zu Wohnraum (Art. 26, 27, 28, 29, 31 und 33). Subsidiärer Schutz stellt sich deshalb als komplexes Paket verschiedenster Maßnahmen dar, wird nicht allein von der Beklagten bewirkt, sondern auch von einer Reihe anderer Behörden und hat eine auf Dauer angelegte Absicherung des Aufenthalts des Betroffenen Ausländers zum Ziel. Ist nach vorrangigem Europarecht subsidiärer Schutz ausgeschlossen, bedeutet dies die Verweigerung der vorgenannten komplexen Rechtsstellung, verlangt aber nicht zwingend auch die Verweigerung bloßen Abschiebungsschutzes mit der Konsequenz der Rückführung des Betroffenen in einen Verfolgerstaat. Insbesondere im Falle dort drohender Folter verstieße eine solche nämlich gegen Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 682) - EMRK -, in dessen Licht auch die Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Diese Menschenrechtsvorschrift, der ein "fundamentaler Charakter" zugesprochen wird (EGMR, Urteil vom 7.7.1989, NJW 1990, 2183 ff., Leitsatz 3 - Soering -), steht zwingend sowohl der Auslieferung von Straftätern (EGMR aaO) als auch der Abschiebung abgelehnter Asylsuchender in ihr Heimatland entgegen, wenn sie dort der ernsthaften Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt sind (EGMR, Urteil vom 30.10.1991, NVwZ 1992, 869 ff. - Vilvarajah -; vgl. dazu auch Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Erläuterungen zur Richtlinie 2004/83/EG, § 39 Rn. 193 ff.). Art. 3 EMRK steht dabei in Einklang mit u. U. vorrangigen (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 21.9.2005, T-306/01 - Yusuf/Al Barakaat International Foundation -, Rn. 231 ff.) Vorschriften des Völkerrechts: Nach Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246) darf ein Vertragsstaat eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden. Völkerrechtliche Regelungen, die gleichwohl zur Verhinderung von Terrorismus auch Folter in Kauf nehmen, sind dem Gericht nicht bekannt. Insbesondere treffen auch die Resolutionen 1269 (1999) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19. Oktober 1999 um vom 28. September 2001 keine derartige Aussagen.

Nicht zu erkennen ist demnach, dass das deutsche Ausländerrecht insoweit nach Geltung der Qualifikationsrichtlinie einer Korrektur oder europarechtlichen Ergänzung bedürfte. Denn der europarechtlich gebotenen Verweigerung des subsidiären Schutzes wird bereits durch die Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Rechnung getragen.

c. Die Klägerin erfüllt sowohl die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG als auch nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Der Klägerin droht für den Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr von Folter und unmenschlicher Behandlung, da beides in der Türkei noch anzutreffen ist und die PKK dort als stärkste dem Staat gefährliche Kraft eingeschätzt wird, weshalb die Sicherheitskräfte alles daransetzen, PKK-Unterstützer aufzudecken, zu verfolgen und von weiteren Aktivitäten für ihre Organisation abzuhalten sowie mit ihrer Hilfe weitere Informationen über das PKK-Netzwerk und dessen Aktivitäten zu gewinnen (so auch in der aktuellen Rechtsprechung in Bezug auf Ex-PKK-Guerillakämpfer bzw. Funktionäre VG Stuttgart, Beschluss vom 30.5.2005, A 12 K 10786/05, Juris Rn. 9; VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005, 2 K 1611/04.A, Juris Rn. 54 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 28.6.2006, 20 K 5937/04.A, Juris Rn. 29 ff.; entsprechend zur Foltergefahr für Aktivisten der DHKP-C OVG Koblenz, Urteil vom 6.12.2002, InfAuslR 2003, 254 ff. ff., Juris Rn. 28 ff.; vgl. für Islamisten vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 20.5.2006, A 5 K 10656/04, Juris Rn. 33; OVG Koblenz, Urteil vom 10.3.2006,10 A 10665/05, Juris Rn. 26 ff.; vgl. generell zur Folter in der Türkei OVG Münster, Urteil vom 19.4.2005, AuAS 2005, 166 f. Juris Rn. 136 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 7.12.2004, BVerwGE 122, 271 ff., Juris Rn. 15 - Kaplan -).

Zu erwarten ist, dass die Klägerin bereits bei ihrer Einreise von den türkischen Sicherheitskräften als aus der Masse herausragende PKK-Aktivistin identifiziert wird (vgl. dazu das Sachverständigengutachten von Kaya für den VGH Kassel vom 10.12.2005).

Die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Verfolgung der Klägerin erhöht ferner, dass sich der Kurdenkonflikt in letzter Zeit wieder erheblich verschärft hat und die türkischen Sicherheitskräfte deshalb alles daransetzen, PKK-Unterstützter festzunehmen und PKK-Strukturen aufzulösen.

In der Türkei besteht immer noch die Gefahr der Folter. Zwar hat sich die Praxis der türkischen Sicherheitsbehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nach der dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnislage in den letzten Jahren im Zusammenhang mit den Bemühungen um den Beitritt in die Europäische Union deutlich verbessert. Die Zahl der Fälle schwerer Folter auf Polizeiwachen ist im Vergleich zu den 90er Jahren sehr deutlich zurückgegangen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.7.2006, S. 34). Seit Januar 2003 gibt es keine belegbaren Fälle von Folter bei der Einreise mehr (amnesty international, Stellungnahme vom 17.12.2004 an VG Hamburg). Insgesamt hatte sich die Menschenrechtslage seit dem Ende des bewaffneten Kampfes zwischen Armee und PKK deutlich entspannt (amnesty international, ai-journal vom 1. März 2004). Ob und inwieweit sich diese Entwicklung im Zuge der neuerlichen deutlichen Verschärfung des Konflikts mit der PKK wieder umkehrt, bleibt abzuwarten. Ferner sollen im Jahr 2004 in Kraft getretene Reformgesetze, welche eine Vielzahl von Rechten Betroffener begründen, sicherstellen, dass Folter auf Polizeiwachen auszuschließen ist (vgl. im Einzelnen dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.5.2004, S. 44, Lagebericht vom 3.5.2005, S. 27 ff.). Dies stellt allerdings keinen absoluten Schutz vor Folter auf Polizeiwachen dar, zumal die Strafverfolgung der Täter von Folter und Misshandlungsdelikten immer noch unzureichend ist (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.7.2006, S. 18) und immer noch jedes Jahr um die tausend Personen bei den Menschenrechtsorganisationen Folter und Misshandlung durch Sicherheitskräfte anprangern, besonders in ländlichen Regionen (vgl. Kaya, Gutachten für das VG Frankfurt/Oder vom 17.4.2004; Graf, Türkei zur aktuellen Situation - Juni 2003; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.7.2006, S. 34; vgl. aktuell und ausführlich zu Foltervorwürfen auch die Recherchen von Oberdiek in seiner gutachterlichen Stellungnahme für Amnesty International "Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren in der Türkei", Januar 2006, S. 241 ff.).

Die Klägerin gehört auch zu jenen Personen, die im Falle ihrer Rückkehr in ganz besonderer Weise von Folter und unmenschlicher Behandlung bedroht sind und deshalb trotz der verbesserten Menschenrechtslage noch der beachtlichen Gefahr unterliegen, eine solche Behandlung zu erfahren. Dies liegt wesentlich daran, dass sie über viele Jahre politisch und militärisch aktives PKK-Mitglied war und wird durch ihre konkrete persönliche Situation noch verstärkt: Schließlich kann die Klägerin auch nicht darauf verwiesen werden, dass es sich bei der Türkei um einen Staat handelt, der genau wie die Bundesrepublik Deutschland die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, weshalb grundsätzlich bei Verstößen gegen diese Konvention Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erlangen ist. Im Falle der Folter käme ein solcher Rechtsschutz aber zu spät, um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vom Betroffenen abzuwenden. Deshalb wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für diesen Fall eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates, den menschenrechtlichen Mindeststandard im Zielstaat der Abschiebung zu wahren, angenommen, die die Gewährung von Abschiebungsschutz zulässt (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 7.12.2004, BVerwGE 122, 271 ff., Juris Rn. 18 - Kaplan -).