OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2007 - 22 W 19/07 - asyl.net: M9923
https://www.asyl.net/rsdb/M9923
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Feststellungsantrag, Feststellungsinteresse, Antrag, Fortsetzungsfeststellungsantrag, Rechtsweggarantie, Erledigung, nachträgliche Erledigung, Hinweispflicht, rechtliches Gehör
Normen: GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält der auf die weitere sofortige Beschwerde hin vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG nicht stand. Die Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Voraussetzungen, nach denen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde mangels gestellten Feststellungsantrags als unzulässig verworfen werden kann, lagen nicht vor.

b) Fraglich und vorliegend streitig ist allein, ob der Betroffene, dessen Rechtsmittel sich zwischenzeitig erledigt hat, einen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichteten Antrag ausdrücklich stellen muss.

bb) Der Betroffene stützt sein Rechtsmittel auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 23. April 2002 (3 W 76/02).

cc) Demgegenüber lassen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss vom 14. August 2002, 3 Wx 226/02), Karlsruhe (Beschluss vom 18. Dezember 2002, 11 Wx 74/02) und Celle (Beschluss vom 26. August 2006, 22 W 50/05) erkennen, dass auch im Falle des nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehenden Feststellungsinteresses zumindest ein Rechtsschutzziel des Betroffenen zu Tage treten oder zumindest erkennbar werden muss.

dd) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dem nicht entgegen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es nicht, im Falle nachträglich eingetretener Erledigung einen Feststellungsantrag für entbehrlich zu halten. Das Bundesverfassungsgericht hat den Fachgerichten nicht vorgegeben, auf welche Weise sie dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes bei nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Freiheitsentziehungsmaßnahme zu gewährleisten haben. Das Bundesverfassungsgericht hat überdies nicht ausgeführt, dass in jedem Fall der Erledigung einer Freiheitsentziehungsmaßnahme eine nachträgliche Überprüfung der angefochtenen Maßnahme - gleichsam von Amts wegen - erfolgen muss. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt nur, dass Rechtsschutz nicht versagt werden darf. Nach Auffassung des Senats ist hierfür Voraussetzung aber, dass entsprechender Rechtsschutz auch geltend gemacht wird (so auch OLG Karlsruhe a.a.O.: Voraussetzung ist, dass der Betroffene erkennen lässt, ihm sei an einer solchen Feststellung gelegen).

Aus der vom Oberlandesgericht Zweibrücken seiner Entscheidung zugrunde gelegten Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, die Annahme fortgeltenden Rechtsschutzbedürfnisses gelte "unabhängig vom konkreten Ablauf des Verfahrens", kann nicht hergeleitet werden, dass allgemein gültige Verfahensgrundsätze keine Geltung mehr entfalten. Rechtsschutz ist hiernach nur dann und nur insoweit zu gewähren, wie er auch nachgesucht wird (ne ultra petitum). Ein Mehr erfordert auch die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Vielmehr lässt die Entscheidung vom 5. Dezember 2001 erkennen (dort Rn. 34), dass eine gerichtliche Entscheidung neben dem Rechtsschutzbedürfnis an einen Antrag gebunden ist.

Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass im Falle der nachträglichen Erledigung einer Freiheitsentziehungssache das auf Feststellung gerichtete Rechtsschutzziel nicht selbstredend zum Tragen kommt. Denkbar und möglich ist vielmehr auch, dass der Betroffene sein Rechtsmittel zurücknehmen oder nach Eintritt der Erledigung auf den Kostenpunkt beschränkt wissen will (vgl. etwa BayObLG vom 6. Februar 2002, BZ BR 407/01). Dem dürfen die Gerichte nicht durch Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens vorgreifen. Diese Betrachtung entspricht zumindest der herrschenden Auffassung zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, nach der das Gericht "auf Antrag" die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes ausspricht und es nicht genügt, wenn der Kläger nach Hinweis auf die Erledigung seinen ursprünglichen Antrag nicht umstellt, aber auch nicht für erledigt erklärt (OLG Karlsruhe a.a.O. m.w.N.).

Auch den benannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Karlsruhe und Celle lag zugrunde, dass der Betroffene seitens des Gerichts auf den Umstand der Erledigung hingewiesen worden war mit der Anheimgabe einer Stellungnahme. Der Senat geht hierbei davon aus, dass das aus Art. 103 Abs. 1 GG herzuleitende Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs eine derartige Möglichkeit zur Stellungnahme grundsätzlich gebietet. Erst nachdem in den benannten Fällen trotz des Hinweises eine Stellungnahme nicht erfolgte, wurden die Rechtsmittel als unzulässig verworfen.

c) Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Hannover zur erneuten Entscheidung über die sofortige Beschwerde.