OVG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2006 - 3 Bs 135/06 - asyl.net: M9945
https://www.asyl.net/rsdb/M9945
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, deutsche Kinder, Wiederholungsgefahr, Zukunftsprognose, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123; GG Art. 6
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. a) Das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Antragsteller zu 4) vor Ablauf eines Monats nach einer Entscheidung über die Klagen dieses Antragstellers in den Verfahren 20 K 175/04 (betr. Ausweisung, Versagung der Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung) und 20 K 789/06 (betr. Befristung der Ausweisungssperre) abzuschieben.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Eilantrag sei als Antrag nach § 123 VwGO statthaft und auch ansonsten zulässig; sämtliche Antragsteller könnten aus jeweils eigenem Recht geltend machen, dass eine den familiären Zusammenhalt zerreißende Ausweisung möglicherweise ihre Rechte aus Art. 6 GG verletze. Der Eilantrag sei auch begründet. Eine Abschiebung des Antragstellers zu 4) sei im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG und Art. 6 GG rechtlich unmöglich.

2. Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe führen nicht zum Erfolg der Beschwerde.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 23. Januar 2006 zunächst erneut "die eigenständige Bedeutung des Vater-Kind-Verhältnisses und die damit verbundenen Kindeswohlgesichtspunkte" hervorgehoben und unter Bezugnahme auf seinen o. g. Beschluss vom 8. Dezember 2005 betont, bei der Auslegung und Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften sei maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei; dabei seien die Belange der Eltern und der Kinder umfassend zu berücksichtigen.

Diesen Maßstab hat das Verwaltungsgericht seinem Beschluss vom 15. Mai 2006 zugrunde gelegt.

bb) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Beschluss (bezogen auf den Fall eines Ausländers, der wegen Betäubungsmitteldelikten erheblich straffällig geworden und deswegen bestandskräftig ausgewiesen worden war) allerdings auch ausgeführt, selbst gewichtige familiäre Interessen setzten sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch; insbesondere dann, wenn die Geburt eines Kindes für den Ausländer keine dahingehende Zäsur in der Lebensführung darstelle, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen werde, komme ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechenden Interessen in Betracht. Auf dieser Grundlage hat es in dem dortigen Fall angenommen, das Ergebnis der gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 bzw. § 60 a Abs. 2 AufenthG zu treffenden Entscheidung erscheine offen, und das dortige Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes an das dortige Beschwerdegericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Auch hieraus ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hätte. Die Prüfung durch das Verwaltungsgericht ist insoweit zwar nicht vollständig; die Beschwerdegründe zeigen aber nicht auf, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis falsch wäre. Die Antragsgegnerin nennt für ihre Einschätzung, dass der Antragsteller zu 4) weiterhin gefährlich sei, angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklung, die sie nicht eigens würdigt, keine hinreichend überzeugenden Gründe. Insbesondere ergibt sich aus ihren Gründen nicht, dass sich bereits in dem Zeitraum, für den das Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat, eine derartige Gefährlichkeit realisieren würde.

b) Der Hinweis der Antragsgegnerin auf den Umstand, dass die Antragsteller zu 1) und 2) erst nach der Ausweisung des Antragstellers zu 4) gezeugt wurden, ist nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen. Zwar dürfte das schutzwürdige Vertrauen der Antragsteller zu 3) und 4) auf den Fortbestand der Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet durch die Ausweisungsverfügung seinerzeit betroffen worden sein; nach der Geburt der Antragsteller zu 1) und 2) geht es aber nicht mehr entscheidend um Vertrauensschutz für die Antragsteller zu 3) und 4), sondern, wie bereits ausgeführt, maßgeblich um das Recht sämtlicher Antragsteller darauf, dass die Antragsteller zu 1) und 2) (auch) durch den Antragsteller zu 4) gepflegt und erzogen werden. Dass insbesondere dieses Recht der Antragsteller zu 1) und 2) nicht deswegen zurückstehen muss, weil die Antragsteller zu 3) und 4) sie gleichsam im Bewusstsein der Ausweisungsverfügung gezeugt hätten, bedarf hier keiner weiteren Ausführungen.