OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 19.05.1999 - 9 R 26/98 - asyl.net: R3484
https://www.asyl.net/rsdb/R3484
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Abschiebungsschutz für chinesischen Staatangehörigen wegen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Verstößen gegen die Ein-Kind-Politik. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: China, Regimegegner, Demonstrationen, Polizei, Auseinandersetzungen, Glaubwürdigkeit, Gesteigertes Vorbringen, Familienplanung, Ein-Kind-Politik, Geldbuße, Zwangssterilisation, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Illegale Ausreise, Republikflucht, Strafverfolgung, Gesetzesänderung, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, ADC, FDC, Mitglieder, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Unerlaubtes Verbleiben im Ausland
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Die auf die Geltendmachung von Abschiebungsschutz beschränkte zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die Angaben des Klägers zu seiner Vorverfolgung bzw. der von ihm behaupteten Gefährdungssituation vor Ausreise aufgrund der von ihm geltend gemachten hervorgehobenen Position im Vorfeld und bei Durchführung der Protestaktion sind nicht glaubhaft. Genügende Erkenntnisse dafür, daß die bloße Teilnahme an derartigen Prostestveranstaltungen als Mitläufer eine Verfolgungsgefahr auslöst, liegen dem Senat nicht vor. Aus den Erkenntnisquellen kann allenfalls entnommen werden, daß nur Personen, die derartige Proteste organisieren oder anführen, in China Verfolgung zu befürchten haben.

Eine Vorverfolgung des Klägers oder Ausreise in einer konkreten Gefährdungssituation ergibt sich auch nicht aus dem von ihm behaupteten Umstand, daß er in China mit seiner Ehefrau 4 Kinder, davon ein Findelkind habe, auch wenn er dadurch gegen die in China praktizierte "Ein-Kind-Politik" verstoßen hat. Dabei läßt der Senat offen, ob und gegebenfalls inwieweit die nach der Praxis bzw. den Regelungen der Familienplanungspolitik des chinesischen Staates bei Überschreitung der "höchstzulässigen" Kinderzahl möglicherweise drohenden Reaktionen überhaupt im Rahmen von § 51 Abs. 1 AuslG relevante politische Verfolgungsmaßnahmen darstellen. Im Falle des Klägers ist nämlich weder für den Zeitpunkt vor seiner Ausreise noch bei Rückkehr nach China eine Gefährdung anzunehmen bzw. zu erwarten.

Auch dann, wenn davon ausgegangen wird, daß der Kläger die von ihm behauptete Anzahl von Kindern hat, rechtfertigt dies weder die Annahme einer Vorverfolgung noch einer fluchtauslösenden Gefährdung vor der Ausreise. Der 1996 aus China ausgereiste Kläger hat nämlich bereits seit 1990, spätestens aber seit der Geburt seines dritten Kindes gegen die Familienplanungspolitik verstoßen, hingegen über angebliches Strafgeldverlangen, dem er trotz Kenntnis der Polizei von dem einschlägigen Fehlverhalten entgangen sein will, hinaus von keinen Sanktionen berichtet.

Was im übrigen die Gefahr einer Zwangssterilisation anbelangt, hat der Senat keine Erkenntnisse dafür, daß diese gegenüber Männern praktiziert wird. Zwar liegen Statistiken über Vasektomien bei Männern vor. Deren Anzahl ist jedoch gegenüber derjenigen von bei Frauen vorgenommenen Tubenligaturen verschwindend gering. Weiter ist den vorhandenen Materialien kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß Sterilisationen zwangsweise bei Männern durchgeführt werden, auch wenn festgestellt werden muß, daß der gesellschaftliche und psychische Druck, sich ihnen zu unterziehen, zu Zeiten von sog. Verhütungskampagnen, wie zuletzt im Jahre 1991, stark sein kann. Anhaltspunkte für zielgerichtete staatliche Eingriffe im Wege der Zwangssterilisierung jedenfalls bei Männern sind nicht erkennbar. Von daher kann auch nicht gesagt werden, daß der Kläger allgemein bei Rückkehr der Gefahr ausgesetzt wäre, wegen seiner drei leiblichen Kinder und eines Pflegekindes zwangsweise einer derartigen Maßnahme unterzogen zu werden.

Ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG steht dem Kläger auch nicht aufgrund seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und seiner exilpolitischen Aktivitäten zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer Gesamtschau der von ihm dargelegten subjektiven Nachfluchtgründe.

Was die Frage der Relevanz von Verstößen gegen die chinesischen Ausreisebestimmungen für die Anspruchsverfolgung anbelangt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, daß die bloße illegale Ausreise in China kein politisches Delikt darstellt und die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Strafvorschriften lediglich der Durchsetzung ordnungsrechtlicher Aus- und Einreisebestimmungen dienten, wobei der illegale Aufenthalt im Ausland im Gegensatz zur illegalen Ausreise selbst nicht strafbar sei.

Nach den vom Senat gewonnenen Erkenntnissen gilt auch für die Situation nach Erlaß des neuen chinesischen Strafgesetzbuches, daß es sich bei dem illegalen Grenzübertritt nach wie vor um ein eher geringfügiges Vergehen handelt, das keine politisch bedingten Repressalien auslöst, und es in China eine Bestrafung wegen "Republikflucht" nicht gibt.

Auch die Beantragung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland führt nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu einer Gefährdung bei Rückkehr, da nach den vorliegenden Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die Beantragung von Asyl im Ausland von chinesischen Behörden nicht besonders ernst genommen wird, weil dort bekannt sei, daß sie überwiegend auf wirtschaftlichen Motiven beruhe. Weiter weist das Auswärtige Amt darauf hin, diese Einschätzung werde dadurch gestützt, daß ihm ungehinderte Urlaubs- und besuchsreisen von aus humanitären Gründen im Ausland geduldeten Chinesen bekannt seien. Nach Heuser, stellt die Beantragung politischen Asyls im Ausland nach dem CStGB nur dann eine Straftat dar, wenn es sich um feindliches Ausland im Sinne von § 108 CStGB handelt oder die betreffende Person Mitarbeiter einer staatlichen Behörde ist. Der letztgenannte Gesichtspunkt ist bei dem Kläger ohne Bedeutung. Was § 108 CStGB anbelangt, so handelt es sich dabei um eine Straftat, die in "Kapitel 1: Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden" des seit 1997 geltenden chinesischen Strafgesetzbuches aufgeführt ist. Aus der dem Gutachten beigefügten Übersetzung des § 108 CStGB ergibt sich, daß eine Bestrafung danach derjenige zu erwarten hat, der "in verräterischer Weise zum Feind überläuft". Dabei weisen die in der Vorschrift enthaltenen Qualifizierungsmerkmale darauf hin, daß eine härtere Bestrafung dann droht, wenn es sich bei dem Täter um einen Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei usw. handelt. Daraus folgt wiederum, daß sich der Begriff des "Zum-Feind-Überlaufens" nicht allein auf Militärangehörige bei einer Konfrontation zwischen feindlichen Staaten bezieht, sondern sich auch auf Zivilpersonen erstrecken kann. Dem Senat liegen aber keine Erkenntnisse darüber vor, daß die bloße Beantragung von Asyl im westlichen Ausland bereits als Verrat am chinesischen Staat angesehen wird.

Auch in bezug auf die Frage einer Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung insbesondere im Rahmen der oppositionellen chinesischen Auslandsorganisation ADC/FDC folgt der Senat der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts. Danach rechtfertigt eine exilpolitische Betätigung, sofern sie sich auf die bloße Teilnahme als Mitläufer an Demonstrationen und Protestaktionen beschränkt, ohne daß eine führende Position in einer dieser Organisationen eingenommen wird, nicht die Annahme einer Gefährdung bei Rückkehr unter dem Gesichtspunkt von Repressalien im Rahmen des in China vorhandenen Systems der Umerziehung durch Arbeit sowie allfälliger Folter in Polizeihaft bei derartigen Umerziehungsmaßnahmen und Gefängnisaufenthalten.

Auch die neueren, dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen stützen diese Bewertung.

Eine hervorgehobene Betätigung als Mitglied des ADC, dem er nach seinen Angaben am 13. Mai 1997 beigetreten ist, hat der Kläger nicht nachgewiesen. Die bloße Mitgliedschaft bei dieser Gruppierung ist von vorneherein nicht gefährdungsrelevant.

Auch aus dem Hinweis des Klägers bei der Anhörung vor dem Senat, daß seiner Ansicht nach bei der Demonstration am 17. Dezember 1998 vor der chinesischen Botschaft in Bonn, an der er teilgenommen habe, auch Angehörige der Botschaft anwesend gewesen seien, ergeben sich keine genügenden Anhaltspunkte für eine Gefährdung in diesem Sinne. Insoweit hat er dargelegt, er habe mit diesen Botschaftsvertretern gesprochen und vermute auch, daß sie Fotos gemacht hätten, auf denen er erkennbar sei. Dieser Hinweis ist jedoch in keiner Weise belegt. Vielmehr stützen sich die Angaben des Klägers auf bloße Vermutungen. So hat er etwa zu der Aufnahme von Fotos dargelegt, er habe dies nicht genau beobachtet und nur gesehen, wie Blitzlicht aufgeleuchtet sei. Es kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die Schlußfolgerung des insoweit voll beweispflichtigen Klägers zutrifft, er sei von Angehörigen der Botschaft fotografiert worden.