OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 28.01.1999 - 11 L 4582/98 - asyl.net: R3662
https://www.asyl.net/rsdb/R3662
Leitsatz:

1. Die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers (hier: Asthma bronchiale) in seinem Heimatland verschlimmert, weil dort keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gewährleistet sind, kann ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG darstellen, dessen Feststellung dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und nicht der Ausländerbehörde obliegt (wie BVerwG, Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -DVBl. 1998, 284).

2. Eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde besteht auch dann nicht, wenn im Asylerstantragsverfahren die Krankheit nicht geltend gemacht worden ist und das Bundesamt festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen, und diese Entscheidung vom Verwaltungsgericht rechtskräftig bestätigt worden ist.

3. In diesem Fall kann die Erkrankung mangels des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 VwVfG zwar nicht gegenüber desm Bundesamt mit Erfolg im Rahmen eines Asylfolgeantrags geltend gemacht werden. Dem Betroffenen verbleibt aber die Möglichkeit, beim Bundesamt ein Wiederaufgreifen der Prüfung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 S. 1 AuslG nach Ermessen zu beantragen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Jesiden, Minderjährige, Duldung, Krankheit, Asthma bronchiale, Situation bei Rückkehr, Medizinische Versorgung, Behandlungskosten, Reisefähigkeit, Abschiebungshindernis, Prüfungskompetenz, Bundesamt, Ausländerbehörde, Folgeantrag, Fristen, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AuslG § 55; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, den weiteren Aufenthalt des Klägers zu 3) gem. § 55 AuslG zu dulden.

Die Asthma-Erkrankung des Klägers zu 3) bedingt - wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - keine Reiseunfähigkeit, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als sog. inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (Vollstreckungshindernis) von der Ausländerbehörde zu prüfen ist und den Beklagten bejahendenfalls wegen einer Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen zum Erlaß einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG verpflichten würde. Eine solche Sachlage ist hier nicht gegeben. Denn nach den Angaben des Beklagten im Schriftsatz vom 27.3.1998 wird eine evtl. notwendig werdende Notfallversorgung bei der beabsichtigten Rückführung des Klägers zu 3) durch die Begleitung eines Arztes des Kreiskrankenhauses Diekholzen sichergestellt; die Kosten hierfür werden vom Land Niedersachsen übernommen. Auch der jetzt den Kläger zu 3) behandelnde Hausarzt Pahl in Alfeld (Leine) hat in seinem Attest vom 30.1.1998 keine Bedenken gegen die Reisefähigkeit geäußert.

Im Ergebnis hat das Verwaltungsgericht weiterhin entschieden, daß der Kläger zu 3) eine Duldung nicht mit der Begründung beanspruchen kann, seine Abschiebung sei aus rechtlichen Gründen i.S.d. § 55 Abs. 2 AuslG unmöglich. Zwar beruft sich der Kläger zu 3) mit seinem Vortrag, eine ausreichende Therapie seiner Asthmaerkrankung sei in der Türkei mit lebensbedrohenden Folgen nicht sichergestellt, auf ein Abschiebungshindernis i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG.

Ein derartiges Abschiebungshindernis würde weiterhin auch prinzipiell eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 55 Abs. 2 AuslG begründen.

Seine Feststellung fällt aber nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1997 in Asylverfahren in die Entscheidungskompetenz des Bundesamtes (und nicht der Ausländerbehörde).

Hier hat das Bundesamt im ablehnenden Bescheid im Asylerstantragsverfahren festgestellt, daß in der Person des Klägers zu 3) Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (d.h. auch ein Abschiebungshindernis i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG) nicht vorliegen. Da die Erkrankung des Klägers zu 3) bereits im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet vorlag und im Asylerstantragsverfahren nicht geltend gemacht worden ist, hat es im Asylfolgeantragsverfahren die geltend gemachte fehlende Therapiemöglichkeit in der Türkei ferner mangels des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht als Wiederaufgreifensgrund anerkannt.

Bei dieser Sachlage geht die Auffassung des Verwaltungsgerichts fehl, der Beklagte sei aufgrund der Ermessensvorschrift des § 55 Abs. 3 AuslG verpflichtet, aus dringenden humanitären und persönlichen Gründen den weiteren Aufenthalt des Klägers zu 3) zu dulden. Dem steht - abgesehen von der - wie dargelegt - fehlenden Entscheidungskompetenz des Beklagten - § 55 Abs. 4 AuslG entgegen. Nach § 55 Abs. 4 S. 1 AuslG darf eine Duldung, wenn rechtskräftig entschieden ist, daß die Abschiebung zulässig ist, nur aus den Gründen des § 55 Abs. 2 AuslG erteilt werden, die hier nicht erfüllt sind. Aus den Gründen des hier einschlägigen § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG darf eine Duldung nach § 55 Abs. 4 S. 2 AuslG weiterhin nur erteilt werden, soweit sie in der Abschiebungsandrohung vorbehalten worden ist. Auch das ist hier nicht der Fall. Zu Unrecht verneint das Verwaltungsgericht im Rahmen des § 55 Abs. 4 AuslG die Voraussetzung einer rechtskräftigen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Abschiebung mit der Begründung, die Erkrankung des Klägers zu 3) sei nicht Gegenstand der Prüfung in dem die Ablehnung des Asylerstantrages bestätigenden Urteil vom 11.09.1996 gewesen ist und habe in dem Urteil vom 3.3.1998 zum Asylfolgeantrag mit Blick auf § 51 VwVfG nicht mehr berücksichtigt werden können. Diese Auffassung verkennt, daß jedenfalls das Urteil vom 1. September 1996 uneingeschränkt die Zulässigkeit einer Abschiebung aus allen Gründen des § 53 AuslG bejaht.

Nach alledem kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob tatsächlich - wie vorgebracht - eine ausreichende Therapie der Asthma-Erkrankung des Klägers zu 3) in der Türkei nicht gewährleistet ist. Dieses Entscheidungsergebnis stellt den Kläger zu 3) nicht rechtsschutzlos. Zwar dürfte es richtig sein, daß er die Erkrankung, weil sie schon im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet vorlag und im Asylerstantragsverfahren nicht geltend gemacht worden ist, im Wege eines Asylfolgeantrages wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG nicht mit Erfolg vorbringen kann. Das steht aber einem Antrag an das Bundesamt nicht entgegen, die Prüfung zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nach allgemeinen Grundsätzen nach Ermessen wiederaufzugreifen.

Auch wäre eine Ermessensreduzierung der Beigeladenen wegen der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG anzunehmen, wenn tatsächlich eine ausreichende Therapie der Erkrankung des Klägers zu 3) in der Türkei nicht sichergestellt ist.

Aus der Erkenntnislage des Senats kann des weiteren aufgrund der vorliegenden Erkenntnislage entgegen der Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen ohne weitere Sachaufklärung keineswegs davon ausgegangen werden, daß eine ausreichende Therapie für den Kläger zu 3) in der Türkei gewährleistet ist...(wird ausgeführt)