VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.11.1999 - A 13 S 2844/95 - asyl.net: R5002
https://www.asyl.net/rsdb/R5002
Leitsatz:

1. In der Demokratischen Republik Kongo verfügen die Staatspräsident Kabila unterstellten Streitkräfte und Sicherheitsdienste in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen, vor allem in der Hauptstadt Kinshasa, noch über eine hinreichend effektive Gebietsgewalt, von der politische Verfolgung ausgehen kann.

2. Asylsuchenden aus der Demokratischen Republik Kongo droht nicht allein aufgrund ihrer Asylantragstellung, der Mitgliedschaft in einer oppositionellen kongolesischen Exilorganisation und einer wenig profilierten und exponierten exilpolitischen Betätigung für eine solche Exilorganisation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (im Anschluß an das Senatsurteil vom 6.10.1999 - A 13 S 2476/97 - zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG). (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, PDSC, Haft, Folter, Vorverfolgung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, RNS, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, Prognosemaßstab, Machtwechsel, Gebietsgewalt
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

1. In der Demokratischen Republik Kongo verfügen die Staatspräsident Kabila unterstellten Streitkräfte und Sicherheitsdienste in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen, vor allem in der Hauptstadt Kinshasa, noch über eine hinreichend effektive Gebietsgewalt, von der politische Verfolgung ausgehen kann.

2. Asylsuchenden aus der Demokratischen Republik Kongo droht nicht allein aufgrund ihrer Asylantragstellung, der Mitgliedschaft in einer oppositionellen kongolesischen Exilorganisation und einer wenig profilierten und exponierten exilpolitischen Betätigung für eine solche Exilorganisation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (im Anschluß an das Senatsurteil vom 6.10.1999 - A 13 S 2476/97 - zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG). (amtliche Leitsätze)

Der Kläger ist nicht asylberechtigt und kann auch nicht Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beanspruchen.

Ob dem Kläger politische Verfolgung in der Demokratischen Republik Kongo droht, beurteilt sich nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; der sogenannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab kommt ihm nicht zugute. Zwar geht der Senat auf der Grundlage seines vom Verwaltungsgericht für glaubhaft erachteten und auch vom Berufungsführer nicht in Zweifel gezogenen tatsächlichen Vorbringens davon aus, daß der Kläger seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener politischer Verfolgung verlassen hat. Der auf Vorverfolgte grundsätzlich anwendbare "herabgestufte" Prognosemaßstab, der an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung hohe Anforderungen stellt (vgl. BVerfG, Beschluß vom 2.7.1980, a.a.O. 360>), kommt gleichwohl nicht zum Tragen; denn es fehlt an einem inneren Zusammenhang zwischen der vom Kläger erlittenen Vorverfolgung und der mit dem Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung.

Für die somit erforderliche Beurteilung, ob bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht, sind insbesondere die fortbestehenden oder veränderten politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat sowie die Gerichtetheit der erlittenen und der befürchteten Verfolgungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 18.2.1997, a.a.O.). Ein erhöhtes Verfolgungsrisiko ist typischerweise naheliegend, wenn dasselbe Ausgrenzungsmerkmal in Rede steht. Ist allerdings Anknüpfungspunkt der Verfolgung die politische Überzeugung des Asylsuchenden, so reicht es nicht aus, allein auf dieses Anknüpfungsmerkmal oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppierung abzustellen. Angesichts der Vielgestaltigkeit und Wandelbarkeit politischer Einstellungen und Ziele, welche eine Verfolgung auslösen können, bedarf es regelmäßig einer genaueren Nachprüfung, ob eine Vorverfolgung wegen bestimmter politischer Überzeugungen auch unter veränderten politischen Verhältnissen - wie etwa einem Regimewechsel - ein fortdauerndes Wiederholungsrisiko indiziert. Dies ist nicht der Fall, wenn künftige Verfolgung wegen einer neuen, auf andere politische Ziele oder Inhalte gerichteten politischen Betätigung oder etwa nach einer Änderung der politischen Überzeugung droht (BVerwG, Urteil vom 182.1997, a.a.O.).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß der die Herabstufung des Prognosemaßstabes rechtfertigende innere Zusammenhang zwischen Vorverfolgung und befürchteter Rückkehrverfolgung nicht besteht; denn die vom Kläger vor seiner Ausreise erlittene Verfolgung erweist sich wegen der Situationsbedingtheit, deren Wiederaufleben wegen des damaligen Anlasses ausgeschlossen erscheint, als nicht wiederholungsträchtig.

Sind die von dem Kläger geltend gemachten Verfolgungsgründe objektiv nicht gleichartig und die kommt die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs deshalb nicht in Betracht, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund beachtlicher Nachfluchtgründe politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Es läßt sich nicht feststellen, daß dem Kläger bei einer Rückkehr in die jetzige Demokratische Republik Kongo politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die Verpflichtungsbegehren zu Art. 16a GG und zu § 51 Abs. 1AuslG scheitern daran, daß die vom Kläger geltend gemachte Verfolgungsgefahr wegen seiner Asylantragstellung und seiner zuletzt gegen Kabila gerichteten exilpolitischen Betätigung nicht besteht.

Wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland läuft der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, politisch verfolgt zu werden. Nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung bekleidet er das Amt des (...) der Deutschen Sektion der RNS (Rassemblement pour une nouvelle société), die am 22.3.1998 gegründet wurde. Der Hauptsitz dieser Organisation befindet sich in Washington/USA. In Deutschland gehören dieser Vereinigung nach seinen Angaben etwa zehn Personen an. In seiner Eigenschaft als (...)obliegt es dem Kläger, die Entscheidungen des Präsidenten sowie die Informationen aus Washington über die Lage in der Heimat an die anderen Mitglieder weiterzugeben. In Deutschland führt die RNS gemeinsam mit anderen Vereinigungen Kundgebungen durch. So hat der Kläger nach seiner Bekundung in der mündlichen Verhandlung am 19.7. dieses Jahres in (...) an einer Kundgebung teilgenommen, (...).

Dieses exilpoliitsche Engagement des Klägers ist nach Einschätzung des Senats weder profiliert noch exponiert, so daß nach den oben dargelegten Grundsätzen bereits nicht davon ausgegangen werden kann, daß es den kongolesischen Behörden bekannt geworden ist. Es hätte voraussichtlich auch nicht ihr Interesse gefunden. Exponiert ist die exilpolitische Betätigung des Klägers nicht allein wegen des von ihm bekleideten Amtes, wobei dahingestellt bleiben kann, ob er mangels Bestätigung seiner erneuten Bestellung zum Vizepräsidenten durch die Washingtoner Zentrale dieses Amt formal noch innehat. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß es sich bei der deutschen Sektion der RNS um eine sehr kleine Vereinigung handelt mit der Folge, daß nahezu alle Mitglieder ein Amt innehaben. Im übrigen ist die Aktivität des Klägers nicht besonders öffentlichkeitswirksam oder findet gar überregionale Beachtung. Im wesentlichen nimmt er parteiinterne Aufgaben wahr. Auch bei den Kundgebungen und Demonstrationen, an denen er gelegentlich teilnimmt, tritt er offenbar nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung; seinem Vorbringen ist dies jedenfalls nicht zu entnehmen.

Schließlich sind auch die Voraussetzungen für ein Absehen von Abschiebung nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nicht gegeben. Die desolaten politischen, wirtschaftlichen, sozialen und hygienischen Verhältnisse begründen keine extreme Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers.