OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 29.12.1999 - 9 V 18/99 - asyl.net: R5338
https://www.asyl.net/rsdb/R5338
Leitsatz:

Bei Heirat eines Ausländer mit befristeter Aufenthaltserlaubnis mit einem im Bundesgebiet befindlichen Ausländer, der kein Bleiberecht (mehr) besitzt, so schlagen die Gesichtspunkte des Familienschutzes nicht auf den ohne Aufenthaltsrecht hier weilenden Ehegatten durch, wenn ihnen zugemutet werden kann, die Ehe in ihrem Herkunftsland zu leben. Der Vertrauensschutz für den als minderjährig eingereisten Ausländer sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sind nicht berührt bei erst kurzem Aufenthalt in der Bundesrepublik, bei dem eine feste Einbindung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht zu sehen sind.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltserlaubnis, Ablehnung, Widerspruch, Rücknahme, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Zulässigkeit, Umdeutung, Beschwerdezulassungsantrag, Ernstliche Zweifel, Ehefrau, Minderjährige, Familienzusammenführung, Aufenthaltserlaubnis, Volljährigkeit, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Vertrauensschutz, Schutz von Ehe und Familie, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AuslG § 30 Abs. 4
Auszüge:

Die sich hier stellende Frage der Bedeutung des grundsätzlichen Schutzes von Ehe und Familie in den Fällen, in denen ein Ausländer - wie hier die Ehefrau des Antragstellers - nach der Einreise im Besitze einer befristeten Aufenthaltserlaubnis - sei es der erstmals zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 17 AuslG, sei es einer darauf beruhenden Verlängerung nach § 21 IV AuslG - einen im Bundesgebiet befindlichen Ausländer heiratet, der kein Bleiberecht besitzt oder es nicht mehr besitzt, beantwortet sich dahingehend, daß die Gesichtspunkte des Familienschutzes deshalb nicht auf den ohne Aufenthaltsrecht hier weilenden Ehegatten durchschlagen, weil beiden Ehegatten, auch wenn sie zwischenzeitlich gemeinsame Kinder haben, zugemutet werden kann, die eingegangene Ehe in ihrem Herkunftsland zu leben. Dabei ist maßgebend, daß dem als Minderjährigen eingereisten Ausländer ein Vertrauensschutz - wie dargelegt - einfachgesetzlich nicht zusteht und die Schutzgüter der Garantien in Art. 6 GG und Art. 8 EMRK durch die Versagung des weiteren Aufenthalts in Deutschland wegen der Möglichkeit des Zusammenlebens der Schutzberechtigten in ihrem Herkunftsland nicht tangiert sind.

Der 1. Senat hat eine unzumutbare Unterbrechung der familiären Lebensführung durch Abschiebung des nicht bleibeberechtigten Ehegatten auch für den Fall angenommen, daß es sich um eine Ehe zwischen Ausländern handelt, von denen der eine Ehegatte eine zwar noch befristete, aber sicher verlängerbar anzusehende Aufenthaltserlaubnis besitzt, und darüber hinaus von dessen fester Einbindung in die deutschen Lebensverhältnisse auszugehen ist. Dies hat das Gericht in jenem Fall daraus geschlossen, daß die dortige Verlobte des um Rechtsschutz nachsuchenden Ausländers seit ihrem 4. Lebensjahr im Bundesgebiet wohne und somit ihre Sozialisation in Deutschland erfahren habe.

Daraus ergibt sich, daß nach dieser Rechtsprechung ein regelmäßiger Anspruch auf ein Bleiberecht für einen unanfechtbar ausreisepflichtigen Ausländer, der mit einer aufgrund einer befristeten Aufenthaltserlaubnis hier weilenden Ausländerin verheiratet ist, auch dann, wenn letztere im Wege des Familiennachzugs in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, nicht ohne weiteres besteht. Vielmehr kommt es auf den Grad der Eingliederung der Bleibeberechtigten an. Insoweit ist vorliegend von entscheidender Bedeutung, daß, worauf das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Beschluß zutreffend hingewiesen hat, die Ehefrau des Antragstellers erst im Jahre 1997 im Alter von 15 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist und sie sich mithin gegenwärtig noch keine drei Jahre hier aufhält. Die von der angeführten Rechtsprechung geforderte feste Einbindung in die deutschen Lebensverhältnisse ist in ihrem Falle schlechterdings nicht zu sehen. Fehlt es aber an dieser Verfestigung des Aufenthalts und hat die Ehefrau des Antragstellers ihre Integration in die Gesellschaft über 15 Jahre lang in der Türkei erfahren, so liegen keine gewichtigen Gründe vor, die es unzumutbar erscheinen ließen, sich mit dem Antragsteller in ihr Heimatland zurückzubegeben, wo sie mit diesem zusammen und ihrem gemeinsamen Kind die eingegangene eheliche Lebensgemeinschaft führen kann.

Nach allem sind insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung erkennbar.

Derartige Zweifel bestehen auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Anspruchs des Antragstellers nach § 30 IV AuslG. Da über den entsprechenden Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis noch nicht entschieden ist, kann sich der Antragsteller zur Begründung von Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht darauf berufen, der Antragsgegner habe das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt, so daß die erstinstanzliche Entscheidung, die das nicht berücksichtige, deshalb insgesamt rechtswidrig sei. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 123 VwGO ist davon ausgehend zu prüfen, ob dem Antragsteller im Hinblick auf die noch ausstehende Entscheidung des Antragsgegners beziehungsweise auf der Grundlage einer eventuell noch zu erhebenden Untätigkeitsklage ein Anordnungsanspruch zusteht.

Dieser wäre dann zu bejahen, wenn er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 IV AuslG hätte, was wiederum nur dann der Fall wäre, wenn als einzige Entscheidung zu seinen Gunsten die Erteilung dieses Aufenthaltstitels im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null in Frage kommt. Unabhängig von der Frage, ob eine dahingehende einstweilige Anordnung wegen einer eventuellen Vorwegnahme der Hauptsache überhaupt möglich wäre, genügen die von dem Antragsteller für eine allein mögliche Entscheidung zugunsten eines Bleiberechts vorgetragenen Gründe, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinem Kind, insoweit nicht, da es ihm - wie bereits ausgeführt - zumutbar ist, die eingegangene Ehe mit seiner Familie zusammen im gemeinsamen Heimatland zu leben.