OVG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 26.11.1999 - 1 Bf 45/98.A - asyl.net: R5537
https://www.asyl.net/rsdb/R5537
Leitsatz:

Kein Vorliegen der Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 53 Abs.6 S. 1 AuslG.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Tadschiken, Familienangehörige, Vater, Kommunisten, Militärangehörige, Sippenhaft, Abschiebungsandrohung, Abschiebungshindernis, Situation bei Rückkehr, Bürgerkrieg, Extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Existenzminimum, Gebietsgewalt, Taliban
Normen: AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Die Berufung des Beteiligten hat Erfolg. Abschiebungsschutz kann weder nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK noch nach der Vorschrift des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG, auf die sich die gerichtliche Überprüfung erstreckt, gewährt werden.

Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK liegen für den Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor.

Es stehen sich nach wie vor die Taliban einerseits und die verbliebenen Kräfte der Nord-Allianz unter Masud feindlich gegenüber, ohne daß ein Ende der Kämpfe abzusehen ist und zuverlässig beurteilt werden kann, welche Seite endgültig die Oberhand gewinnen wird.

Angesichts dieser Lage kann von einer dauerhaften, stabilen und effektiven Territorialgewalt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Bereich der Taliban nach wie vor nicht gesprochen werden.

Für den Kläger läßt sich auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG feststellen.

Es ist nicht erkennbar, daß dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen, die aus seiner persönlichen, individuellen Situation herrühren.

Diese ließen sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft aus der früheren Stellung seines Vaters ableiten. Dieser soll nach den Angaben des Klägers zwar bis zum Machtwechsel im (...) Oberst in der afghanischen Armee gewesen sein. Näheres über Art und Dauer der militärischen Tätigkeit des Vaters läßt sich dem Vorbringen des Klägers jedoch nicht entnehmen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob dem Vater bzw. über dessen Person auch dem Kläger heute noch mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Repressalien durch die Taliban drohen. Denn abgesehen von prominenten Funktionären des früheren kommunistischen Regimes - zu dem der Vater des Klägers offensichtlich nicht gehörte - müssen nach der Auskunftslage (vgl. Auswärtiges Amt vom 23.3.1999 S. 4) nur diejenigen Personen mit Übergriffen der Taliban rechnen, die persönlich für Gewalttaten während der kommunistischen Zeit verantwortlich gemacht werden. Dafür ergibt sich aus dem Klägervorbringen nichts. Allein die Behauptung, der Vater sei Oberst im Militär während der kommunistischen Regierungszeit gewesen, reicht für die Bejahung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nicht aus.

Eine extreme allgemeine Gefahrenlage, welche eine analoge Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG rechtfertigen könnte, besteht für die Kläger nicht. Anders als zur Zeit des Erlasses der erstinstanzlichen Urteile läßt sich für Kabul nicht mehr feststellen, daß jeder Ankömmling dort ständiger Todesgefahr ausgesetzt ist.

Auch die allgemein sehr schlechte Versorgungslage in Afghanistan reicht für die Annahme einer extremen Gefahrenlage nicht aus. Soweit der Hess. VGH dies in seiner Entscheidung vom 16. November 1998 (a.a.O., S. 40 ff.) anders sieht, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Über die weit verbreitete akute Hungersnot, wie sie in einigen afrikanischen Ländern anzutreffen ist, läßt sich den Auskünften für Afghanistan bisher nichts entnehmen. Das gilt wahrscheinlich wegen der dort bestehenden Möglichkeiten, sich durch Landwirtschaft mit dem Nötigsten zu versorgen. Aber auch in Kabul, dessen Bevölkerung weitgehend von der Hilfe ausländischer Organisationen abhängig ist, ist die Situation derzeit offenbar nicht so katastrophal, wie sie vom Hess. VGH eingeschätzt wird.