OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 07.03.2000 - 4 L 2968/99 - asyl.net: R6999
https://www.asyl.net/rsdb/R6999
Leitsatz:

Anspruch auf Leistungen auf Jugendhilfe gerade auch für solche Ausländer vor, die (wie hier die Klägerin) sich - nur - aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung im Inland aufhalten, wenn sie "ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben." (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Bürgerkriegsflüchtlinge, Bosnier, Duldung, Jugendhilfe, Kindergartenbeiträge, Gewöhnlicher Aufenthalt, Freiwillige Ausreise, Haager Minderjährigenschutzabkommen, Auslegung, Aufenthaltsdauer
Normen: SGB VIII § 90 Abs. 3 S. 1; SGB VIII § 90 Abs. 1 Nr. 3; SGB VIII § 6 Abs. 2; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

Das VG hat den Beklagten zu Recht antragsgemäß verpflichtet; die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der Beiträge für den Kindergarten ihrer Tochter M.

Die allein streitige Frage, ob die Klägerin zu der maßgeblichen Zeit des Jugendhilfebedarfs, also seit ihre Tochter M. ab dem 1. September 1996 in den Kindergarten ging, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 6 Abs. 2 SGB VIII im Inland hatte, ist auch nach Einschätzung des Senats zu bejahen. Das ergibt sich schon bei der Auslegung der Regelung in § 6 Abs. 2 SGB VIII nach deren Wortlaut. Denn § 6 Abs. 2 SGB VIII sieht einen Anspruch auf Leistungen auf Jugendhilfe gerade auch für solche Ausländer vor, die (wie hier die Klägerin) sich - nur - aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung im Inland aufhalten, wenn sie "ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben." Nach der für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuches geltenden Vorschrift des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Bestimmung der Dauer des für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts zu fordernden Verweilens ist gemäß § 37 Satz 1 SGB I auch der Zweck des Gestzes zu berücksichtigen, im welchem der Begriff gebraucht wird (BSG, Urt. v. 1. September 1999 - B 9 SB 1/99 R - br 2000, 27). Deshalb steht es bei Anwendung des § 6 Abs. 2 SGB VIII der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne dieser Vorschrift gerade nicht entgegen, dass der Ausländer keine Aufenthaltsgenehmigung gemäß §§ 5 ff. hat, sondern dass er nur gemäß § 55 AuslG geduldet ist. Im Hinblick hierauf spricht gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 6 Abs. 2 SGB VIII auch nicht, dass der Ausländer möglicherweise freiwillig ausreisen könnte; entscheidend ist vielmehr, ob ihm eine ausländerrechtliche Duldung erteilt worden ist. Auch den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen ( vom 5. Oktober 1961, BGBI. II S. 219; Zustimmungsgesetz vom 30. April 1971, BGBI. II S. 217) - MSA -, insbesondere der Regelung in Art. 1 MSA zum "gewöhnlichen Aufenthalt" eines Minderjährigen, ist abweichendes nicht zu entnehmen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in diesem Sinne wird regelmäßig nach sechs Monaten begründet, der in dieser Vorschrift verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist aber von dem in § 6 Abs. 2 SGB VIII verwendeten Begriff verschieden zu verstehen (BVerwG, v. 24. Juni 1999 - 5 C 24.98 - NDV-RR 2000, 4 = ZfSH/SGB 2000, 110 = DÖV 2000, 204).