OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.04.2000 - 2 W 45/2000 - asyl.net: R7465
https://www.asyl.net/rsdb/R7465
Leitsatz:

Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft - obwohl wegen des laufenden Strafverfahrens und der Untersuchungshaft naheliegend - nicht aufgeklärt (§ 12 FGG), ob feststeht, daß aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 57 Abs. 2 S. 4 AuslG).

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Untersuchungshaft, Drogendelikte, Strafverfahren, Zustimmung, Staatsanwaltschaft, Drei-Monats-Frist, Sofortige weitere Beschwerde, Pass, Reisedokumente
Normen: AuslG § 64; AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
Auszüge:

Die nach §§ 3, 7 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat mit der Maßgabe Erfolg, daß die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist. Der Beschluß des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 FGG, 550 ZPO).

Allerdings hat das Landgericht zunächst mit Recht die Voraussetzungen des §§ 57 Abs. 2 Nr. 2 und 5 AuslG bejaht. Hiergegen wendet sich der Betroffene auch nicht. Ferner teilt der Senat die Auffassung, daß die Anordnung der Sicherungshaft im Anschluß an eine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Untersuchungshaft zulässig ist, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß der Betroffene überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen wird und die Dauer der Sicherungshaft hinreichend bestimmt ist.

Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht indessen ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu § 64 Abs. 3 AuslG - obwohl wegen des laufenden Strafverfahrens und der Untersuchungshaft naheliegend - nicht aufgeklärt (§ 12 FGG), ob feststeht, daß aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 57 Abs. 2 S. 4 AuslG). Abschiebungshindernisse im Sinne dieser Vorschrift sind vorausschauend nämlich auch dann zu prüfen, wenn sich der Ausländer in Untersuchungshaft befindet. Ferner darf die Abschiebungshaft nur im Anschluß an eine solche Haft angeordnet werden, die der Haftrichter in seine Beurteilung, ob die Abschiebungshaft erforderlich ist, einbezogen hat.

Nach Wortlaut und Sinn des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG kann nicht zweifelhaft sein, daß die Dreimonatsfrist nicht erst mit dem Vollzug der Abschiebungshaft, sondern bereits mit der Anordnung - hier also mit dem 27.1.2000 - beginnt. Demnach mußte das anordnende Gericht prüfen, ob der Betroffene fristgemäß bei andauerndem Strafverfahren im Einverständnis mit der zuständigen Staatsanwaltschaft nach § 64 Abs. 3 AuslG abgeschoben werden kann.

Die Sicherungshaft darf nicht dazu dienen, es der Ausländerbehörde zu ermöglichen, den Ausgang eines längeren Ermittlungs- oder Strafverfahrens, für das der Betroffene in Untersuchungshaft sitzt, abzuwarten. Ansonsten bestünde die Gefahr, daß der Ausländer nach Entlassung aus der Untersuchungshaft in Abschiebungshaft genommen wird, obwohl feststeht, daß bei andauerndem Strafverfahren mangels der weiterhin erforderlichen, aber nicht erteilten Zustimmung der Staatsanwaltschaft eine Abschiebung gar nicht beabsichtigt ist und auch nicht erfolgt. Ernsthafte Zweifel bestehen vorliegend insoweit, als nach den Feststellungen des Landgerichts die Staatsanwaltschaft am 17.2.2000 erst die "Anklage diktierte" und viel dafür spricht, daß sie gewillt ist, ein über drei Monate währendes Strafverfahren durchzuführen. Dieser Frage hätten Amts- und Landgericht nachgehen müssen, was nachzuholen ist. Darauf, ob § 64 Abs. 3 AuslG dem Schutz des Ausländers dient und das "Einvernehmen" damit als anfechtbarer Verwaltungsakt anzusehen ist oder nicht, kommt es für die Annahme eines Abschiebungshindernisses nicht an. Entscheidend ist, ob die Abschiebung des Ausländers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht stattfinden kann.

Schließlich wird gegebenenfalls aufzuklären sein, ob hier eine (maximal) dreimonatige Abschiebungshaft erforderlich ist. Die Beteiligte hat in ihrem Fax vom 28.3.2000 ausgeführt, eine Paßersatzbeschaffung sei nicht notwendig, da die Abschiebung mit einem deutschen Reisedokument vorgenommen werden könne, dessen Beschaffung (nur) etwa zwei Wochen in Anspruch nehme.