VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.05.2000 - A 14 S 2594/98 - asyl.net: R7473
https://www.asyl.net/rsdb/R7473
Leitsatz:

1. Lehnt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, erachtet das Gericht jedoch die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als gegeben, hebt es allein die in der Abschiebungsandrohung gemäß § 36 Abs. 1 AsylVfG bestimmte Frist von einer Woche und nicht auch die Abschiebungsandrohung insgesamt auf.

2. Das Bundesamt hat die Ausreisefrist gemäß § 38 Abs. 1 AsylVfG neu zu bestimmen. § 37 Abs.2 AsylVfG ist in Asylfolgeantragsverfahren nicht entsprechend anwendbar. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Folgeantrag, Änderung der Sach- und Rechtslage, Abschiebungsandrohung, Ausreisefrist, Jugoslawien, Kosovo, Roma, Übergriffe, Gebietsgewalt, KFOR-Truppen, UNMIK, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Sicherheitslage, Extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 4; AsylVfG § 34 Abs. 1; AsylVfG § 36; AsylVfG § 37 Abs. 2; AsylVfG § 38 Abs. 1; AuslG § 50; AuslG § 53 Abs. 6; AuslG § 54
Auszüge:

Die Beklagte kann auch nicht im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG verpflichtet werden.

Eine Verpflichtung zur Feststellung eines solchen Abschiebungshindernisses in den Fällen, in denen die zielstaatsbezogenen Gefahre einer ganzen, nach bestimmten Merkmalen umschriebenen Bevölkerungsgruppe drohen, kann nur dann erfolgen, wenn eine Entscheidung nach § 54 AuslG nicht ergangen ist und zum andern eine allgemeine extreme Gefahrenlage besteht, die jeden Einzelnen zur fraglichen Gruppe gehörenden Auslände im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Voraussetzung für einen derartigen Feststellungsanspruch ist damit, dass die oberste Landesbehörde von der ihr in § 54 S. 1 AuslG eingeräumten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht und keinen Abschiebungsstopp angeordnet hat.

Vorliegend hat jedoch das Land Baden-Württemberg auf die immer noch kritische Lage der Minderheiten im Kosovo (so auch der Ashkali und Roma) reagiert und im Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 02.02.2000 (Az. 4-13-JUG/90) die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kosovo betreffend, mit dem die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 18./19.11.1999 (vgl. hierzu Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 24.11.1999 (Az. 4-13-JUG/45) umgesetzt werden sollen, diesen Personenkreis bis auf weiteres ausdrücklich von Abschiebungsmaßnahmen in den Kosovo ausgenommen.

Dass die Geltungsdauer des Erlasses insoweit nicht befristet ist, steht seiner Qualifizierung als Abschiebestoppregelung im Sinne von § 54 S. 1 AuslG nicht entgegen. Einer Befristung kommt keine konstituierende Bedeutung zu. Die in § 54 S. 2 AuslG enthaltene Sechs-Monatsfrist begründet lediglich das Erfordernis des Einvernehmens des Bundesministeriums des Innern, wenn die Abschiebung von vornherein länger als sechs Monate ausgesetzt werden soll (vgl. zur Problematik einer Verlängerung der eines Neuerlasses bei oder nach Ablauf der Sechs-Monatsfrist: GK-AuslR § 54 RdNr. 129 ff. m.w.N.; Hailbronner, AuslR, § 54 RdNr. 2 ff.). Eine soIche von vornherein die Sechs-Monatsfrist übersteigende Aussetzung der Abschiebung ist jedoch mit der Erklärung, "bis auf weiteres" keine Abschiebungen durchzuführen, nicht verbunden. Die Frage, ob die Erteilung eines Einvernehmens erforderlich ist, wird sich somit erst stellen, wenn über den 02.08.2000 die Abschiebungen ausgesetzt werden sollen, sofern das Einvernehmen nicht ohnehin bereits vorliegt (vgl. zu den Rechtsfolgen eines fehlenden, aber erforderlichen Einvernehmens: GK-AuslR § 54 RdNr. 146 ff).

Sollte sich in Zukunft die Erlasslage zulasten der Betreffenden ändern, so könnte dieser Umstand im Wege eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wegen einer erheblichen Veränderung der Sachlage geltend gemacht werden (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 07.09.1999 - 1 C 6.99 - NVwZ 2000, 204).