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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 08.06.2000 - 2 BvR 2279/98 - asyl.net: R8541
https://www.asyl.net/rsdb/R8541
Leitsatz:

Nach § 26 a Abs. 1 S. 3 AsylVfG steht die Einreise aus einem sicheren Drittstaat der Anerkennung als (Familien-) Asylberechtigter in drei Fallgestaltungen nicht entgegen. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung enthalten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass der vom Beschwerdeführer allein in Anspruch genommene Ausnahmetatbestand der Nummer 2 als ungeschriebene Voraussetzung den Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland bei der Einreise in den sicheren Drittstaat oder in das Bundesgebiet verlangt. Er wäre bei einem derartigen Verständnis vielmehr neben der Nummer 1 überflüssig und sinnlos.

(leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Syrer, Drittstaatenregelung, Familienasyl, Familienangehörige, Kinder, Illegale Einreise, Asylverfahren, Zuständigkeit, Dubliner Übereinkommen, Willkürverbot
Normen: GG Art. 3 Abs. 1; AsylVfG § 26a; GG Art. 16a Abs. 2; GG Art. 16 Abs. 5; DÜ Art. 4 S. 1
Auszüge:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.

Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet zunächst die auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwGE 104, 347 ff.) gestützte Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Drittstaatenregelung des § 26 a AsylVfG finde grundsätzlich auch auf das in § 26 AsylVfG normierte Familienasyl Anwendung. Die weitere Annahme, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme von der Drittstaatenregelung berufen, weil er "nicht legal, d.h. mit einem echten Pass sowie einem Visum der Deutschen Botschaft Damaskus" (UA S. 5), eingereist sei, kann indessen unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich nachvollzogen werden. Nach § 26 a Abs. 1 S. 3 AsylVfG steht die Einreise aus einem sicheren Drittstaat der Anerkennung als (Familien-) Asylberechtigter in drei Fallgestaltungen nicht entgegen, nämlich dann nicht, wenn der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland war (Nr. 1), wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist (Nr. 2) oder wenn der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist (Nr. 3). Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung enthalten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass der vom Beschwerdeführer allein in Anspruch genommene Ausnahmetatbestand der Nummer 2 als ungeschriebene Voraussetzung den Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland bei der Einreise in den sicheren Drittstaat oder in das Bundesgebiet verlangt. Er wäre bei einem derartigen Verständnis vielmehr neben der Nummer 1 überflüssig und sinnlos. Zudem würde das mit der Drittstaatenregelung verfolgte und in § 26 a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylVfG, insbesondere aber in Art. 16 a Abs. 5 GG zum Ausdruck kommende Ziel zumindest erschwert, eine europäische Zuständigkeitsregelung für die Behandlung von Asylbegehren zu schaffen (vgl. hierzu etwa Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 a AsylVfG Rn 58).

Völkervertragliche Zuständigkeitsregelungen im Sinne von § 26 a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylVfG enthalten das Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen - SDÜ, veröffentlicht mit Gesetz vom 15. Juli 1993, BGBl II S. 1010) und das Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags (Dubliner Übereinkommen - DÜ, veröffentlicht mit Gesetz vom 27. Juni 1994, BGBl II S. 791). Art. 4 S. 1 DÜ bestimmt ähnlich dem Art. 35 SDÜ: Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem in einem Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Genfer Abkommens in der Fassung des Protokolls von New York zuerkannt worden ist und der seinen legalen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat, so ist dieser Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betreffenden Personen dies wünschen; zum Kreis der betreffenden Familienangehörigen zählt gem. Art. 4 S. 2 DP auch, sofern der Asylbewerber ein unverheiratetes minderjähriges Kind unter 18 Jahren ist, dessen Vater oder Mutter. Das Zuständigkeitskriterium der Familienangehörigkeit ist nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 DP vorrangig vor den weiteren im Vertrag aufgezählten Kriterien anzuwenden, insbesondere vor der in Art. 5 DP geregelten Zuständigkeit auf Grund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder eines Visums.

Mit Blick auf diese Gesetzeslage kann nicht nachvollzogen werden, warum das Verwaltungsgericht auf die Bestimmung des § 26 a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylVfG nicht eingeht, obwohl der Beschwerdeführer auf sie im Klageverfahren mehrfach und ausdrücklich hingewiesen hat, sondern undifferenziert "eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme" (UA S. 4) wegen der illegalen Einreise von vornherein ausschließt; vollends unverständlich ist seine weitere Aussage, es sehe keine Veranlassung, angesichts der völkerrechtlichen Verträge "die Ausnahmetatbestände weiter auszudehnen" (UA S. 5). Für eine derart krasse Missdeutung des § 26 a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylVfG lassen sich dem in Bezug genommenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 1997 keinerlei Anhaltspunkte entnehmen.