1. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung in der Türkei an seiner Rechtsprechung fest, dass kurdischen Volkszugehörigen im Westen des Landes grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.
2. Ebenso ist die Annahme einer generellen Rückkehrgefährdung für abgelehnte kurdische Asylbewerber nach der aktuellen Erkenntnislage weiterhin nicht gerechtfertigt.
Allerdings können wie bisher exilpolitische Aktivitäten ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko dann begründen, wenn sich der Betreffende öffentlichkeitswirksam als Regimegegner exponiert hat.
(Amtliche Leitsätze)
Vor diesem Hintergrund ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten bei einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr von strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen oder anderen abschiebungsrechtlich relevanten Repressalien ausgesetzt ist. Insbesondere hat er nicht glaubhaft gemacht, sich im Bundesgebiet derart für die kurdische Sache exilpolitisch exponiert zu haben, dass die türkischen Sicherheitskräfte an ihm ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse haben könnten. Seine bloße Teilnahme an kurdischen Demonstrationen und Veranstaltungen reicht dazu nicht aus. Dass er bei diesen Gelegenheiten möglicherweise vom PKK-nahen Sender MED-TV oder von anderen Fernsehstationen gefilmt worden ist und diese Aufnahmen entweder live oder als Aufzeichnung gesendet worden sind, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Abgesehen davon, dass es sich um Großveranstaltungen gehandelt hat, in welchen der Einzelne als bloßer Mitläufer oder Zuhörer nicht weiter auffällt, zumal eine Identifizierung angesichts der Vielzahl von entsprechenden Fernsehberichten auch mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden und personell kaum zu bewältigen wäre, wird sich das Augenmerk der türkischen Sicherheitsbehörden auf die führenden Aktivisten konzentrieren. Der Kläger ist jedoch weder in herausgehobener Position bei der PKK/ERNK oder diesen nahe stehenden Vereinigungen tätig noch ist er sonst als profilierter Gegner des türkischen Staates aufgefallen. Dass er Spendengelder an den Kurdischen Kulturverein in Kassel zahlt, stellt keine herausgehobene exilpolitische Aktivität dar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger im Januar 1999 von zwei Mitarbeitern des Niedersächsischen Landesamtes für den Verfassungsschutz nach seiner Teilnahme an einer Veranstaltung der PKK/ERNK in Kassel vom Januar 1997 befragt worden ist. Dessen Präsident hat dem Senat dazu unter dem 29. November 1999 mitgeteilt, dass der Kläger bei dem Gespräch angegeben habe, zwei- bis dreimal an größeren Kurdenveranstaltungen teilgenommen zu haben, dies aber "als Kurde" und nicht als PKK-Sympathisant. Da gegen den Kläger nicht einmal ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, kommt der auf der Grundlage des Art. 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 erfolgende regelmäßige Strafnachrichtenaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei nicht zur Anwendung (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurt. v. 17.2.1998 - 11 L 4012/94 -, S.28f. d. UA; siehe auch Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 4.6.1999 und des Bundesministeriums der Justiz v. 28.4.1999 an VG Bremen; Auskunft des Generalbundesanwalts beim BGH v. 16.4.1998 an VG Freiburg). Ebenso wenig teilen die zuständigen Verfassungsschutzbehörden in solchen Fällen personenbezogene Daten an die betreffenden ausländischen Stellen mit (vgl. Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz v. 7.5.1998 an VG Wiesbaden).
Zwar hat der Kläger, der während seines Aufenthalts in Deutschland wehrpflichtig geworden ist, den Straftatbestand der Wehrdienstentziehung verwirklicht, doch führt dies nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Denn Kurden aus der Türkei haben nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu das in das Verfahren eingeführte Urteil v. 26.3.1998 11 L 3105/96 -, S. 23-29 u. 44 f. d. UA) und anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. aus neuerer Zeit Hamb.OVG, Urt. v. 1.9.1999 - 5 A Bf 2/92.A -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.7.1999 - A 12 S 1891/97 -; OVG Mecklenburg- Vorpommern, Urt. v. 22.4. 1999 - 3 L 3/95 -) weder mit einer höheren Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung zu rechnen als andere türkische Staatsangehörige noch drohen ihnen politische Verfolgungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Wehrdienstentziehung und Ableistung des Wehrdienstes. Die seither bekannt gewordenen Erkenntnismittel (wie Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.9.1999, Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 1.9.1999 an VG Koblenz, v. 14.7.1999 an VG Wiesbaden u. v. 2.7.1999 an VG Kassel sowie Gutachten von Rumpf v. 12.2.1999 an VG Ansbach) rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.