OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 19.09.2000 - 11 L 2068/00 - asyl.net: R9830
https://www.asyl.net/rsdb/R9830
Leitsatz:

Die Stellung eines Asylantrages und/oder die illegale Ausreise aus China und/oder einfache exilpolitische Tätigkeit führen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung bei Rückkehr nach China.

Zur Glaubensbetätigung in China.

Maßnahmen des chinesischen Staates bei Verstößen gegen die Familienplanungspolitik sind nicht als politische Verfolgung zu bewerten. Sie begründen auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4, 6 AuslG.

(amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: China, Christen (katholische), Religiöses Existenzminimum, Religion, Missionierung, Religiös motivierte Verfolgung, Haft, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, ADC, FDC, VDGC, Demonstrationen, Antragstellung als Asylgrund, Illegale Ausreise, Ein-Kind-Politik, Familienplanung, Zwangssterilisation
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; ChinStGB § 105; ChinStGB § 322
Auszüge:

Die Stellung eines Asylantrages und/oder die illegale Ausreise aus China und/oder einfache exilpolitische Tätigkeit führen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung bei Rückkehr nach China.

Zur Glaubensbetätigung in China.

Maßnahmen des chinesischen Staates bei Verstößen gegen die Familienplanungspolitik sind nicht als politische Verfolgung zu bewerten. Sie begründen auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4, 6 AuslG.

(amtliche Leitsätze)

Auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.

Grundsätzlich wird in China die Religionsfreiheit garantiert, andererseits darf die Religionsausübung die öffentliche Ordnung, die Gesundheit der Bürger und das staatliche Erziehungssystem nicht beeinträchtigen. Daraus folgend unterliegen sämtliche religiöse Aktivitäten (z.B. Gottesdienst, Bau von Kirchen) der staatlichen Kontrolle und Genehmigung. Sie dürfen weder der Regierungspolitik zuwiderlaufen (z.B. hinsichtlich der Familienplanung), noch die staatliche Einheit in Frage stellen (in Bezug z.B. auf Tibet), noch darf eine ausländische Einflussnahme ermöglicht werden (z.B. durch die religiöse Autorität des Papstes).

Eine besondere Position nimmt die katholische Kirche ein. Diese ist 1950 verboten worden.1957 brach der Vatikan die diplomatischen Beziehungen zu China ab. Seit diesem Bruch ist die katholische Kirche in China gespalten. Es gibt eine katholische "Untergrund-Kirche", die sich weiterhin in der Gefolgschaft des Papstes sieht. Sie soll über ca. 8 Mio Anhänger verfügen. Mitglieder dieser Rom-treuen Kirche haben mit Repressalien zu rechnen (Hausarrest, Festnahmen und Behinderung katholischer Priester, vgl. SZ v. 15.2.2000; FR v. 11.1.1999). Eine Verfolgung ist nicht auszuschließen. Daneben gibt es eine von Rom unabhängige katholische (patriotische) Kirche, der ca. 4 Mio Gläubige angehören sollen. Diese brauchen wegen ihrer Religionsausübung in der Regel keine Schwierigkeiten zu befürchten. Grundsätzlich kann in China der christliche Glaube praktiziert werden, Missionierungen können dagegen geahndet werden (vgl. hierzu Lageberichte des Auswärtigen Amtes v. 11.7.2000 u. v. 23.11.1998; Auswärtiges Amt vom 4.5.1999 an VG Oldenburg u. vom 28.1.1998 an VG Gießen; Wenzel-Teuber vom 22.12.1997 und Rat der Europäischen Union vom 2.5.1995).

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Klägerin nicht geeignet, politische Verfolgung unter religiösen Gesichtspunkten zu begründen.

Zum einen ist dem Akteninhalt nicht hinreichend zu entnehmen, welcher Unterorganisation der katholischen Kirche die Klägerin angehört (patriotische Kirche oder dem Papst verbundene Untergrundkirche). Unabhängig davon hat sie auch nicht in ausreichendem Maße dargetan, tatsächlich und erkennbar als katholische Christin gelebt zu haben. So konnte sie Glaubensinhalte der katholischen Kirche auf Nachfrage nicht benennen.

Schließlich richteten sich schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin die Eingriffe der chinesischen Polizei nur gegen die Missionierungsversuche, nicht jedoch gegen den Glauben der Klägerin bzw. ihrer Familie. Die Möglichkeit einer Missionierung gehört aber nicht zu dem von Art. 16 a GG/§ 51 AuslG geschützten Kernbereich der Religionsfreiheit.

Es ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die von der Klägerin geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten bei einer Rückkehr zu politischer Verfolgung in China führen.

Soweit die Klägerin geltend macht, ihre früheren politischen Tätigkeiten würden ein Interesse des chinesischen Staates an ihrer Person begründen, ist dieser Wertung nicht zu folgen. Die Klägerin verweist darauf, seit (...) Mitglied der ADC zu sein und in dieser Eigenschaft an mehreren Demonstrationen teilgenommen zu haben. Zudem sei sie später auch Mitglied des VDGC geworden, habe die entsprechende Vereinsversammlung im (...) in (...) geleitet und sei für die Vereinsregion in (...) zuständig gewesen.

Bei einer zusammenfassenden Würdigung ist davon auszugehen, dass zumindest seit den letzten Jahren nur aktive, also an herausgehobener Position in Exilorganisationen tätige Chinesen bei Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten haben, da die Bedeutung der Exilorganisation aufgrund der Differenzen untereinander (vgl. z. B. St. von Bo Lin v. 6. 10. 1996) zurückgegangen ist und konkrete Fälle einer Bestrafung von einfachen Mitgliedern der FDC/ADC nach Abschiebung in die Volksrepublik China den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen sind (vgl. im Ergebnis ebenso schon Beschl. d. Sen. v. 13. Jan. 1998 - 11 L 2427/97 -; VGH Bad.- Württ., Urt. v. 29. April 1998 - A 6 S 3271/96 -; OVG Rh.Pf., Urt. v. 13. Dez. 1995 - 11 A 13385/95.0VG -; Beschl. v. 26. Aug. 1997 - 11 A 12080/97.OVG - OVG NW, Urt. v.26.

Juni 1997- 1 A 1402/97.A -, Urt. vom 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -.)

Die neueren Gutachten von Dr. Weyrauch vom 6. Oktober 1999 an VG Gelsenkirchen, von Kremb vom 2. November 1999 ebenfalls an VG Gelsenkirchen und von Kremb vom 6. November 1998 an das VG Hannover (im vorliegenden Verfahren) rechtfertigen keine andere Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihnen nicht zu entnehmen, dass auch bereits nur einfache exilpolitische Betätigung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Rückkehrgefährdung i. S. v. § 51 Abs. 1 AuslG führt.

Die von der Klägerin befürchteten Auswirkungen der chinesischen Familienplanungspolitik auf ihre Lebenssituation nach einer Rückkehr in die Volksrepublik China, insbesondere die ihr nach ihrer Einschätzung drohende Zwangssterilisation, stellen keine politische Verfolgung im Sinne von § 51 As. 1 AuslG dar; denn sie knüpfen nicht an bestimmte, den Einzelnen von der Bevölkerung ausgrenzende Merkmale an, sondern gelten für alle Bürger der Volksrepublik China im wesentlichen unterschiedslos. Sie haben nach ihrem inhaltlichen Charakter und ihrer erkennbaren Gerichtetheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, BVerfGE 80, 315, 335) das Ziel, das Überleben der chinesischen Bevölkerung durch Beschränkung ihres weiteren Wachstums zu sichern.

Die der Klägerin bei Rückkehr nah China aus der chinesischen Familienpolitik drohenden Maßnahmen rechtfertigen nicht die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG (hier: § 53 Abs. 4 bzw. Abs. 6).

Soweit die Klägerin auf die Gefahr einer Zwangssterilisation bei Rückkehr verweist, ist diese Gefahr zum einen nicht mit der für § 53 erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu bejahen, zum anderen kann sie diese Gefahr durch zumutbares Verhalten verhindern.

Allerdings kann eine derartige Maßnahme nicht ausgeschlossen werden. Zwar wird die Anwendung physischen Zwangs zur Durchführung einer Sterilisation im Gegensatz zu früher (vgl. Weggel, St. v. 27.7.1994 an VG Aachen; Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig; Rat der EU v. 2.2. 1995) nicht mehr als rechtmäßig angesehen (AA, St. v. 22.5.2000 an VG Augsburg; Scharping, St.v. 25.3.1999 an VG Leipzig). Jedoch weist selbst das sich in seinen Formulierungen eher zurückhaltende AA darauf hin, dass aufgrund der unterschiedlichen, zentral nicht kontrollierten Verwaltungspraxis Übergriffe vorkommen können und auch nicht geahndet werden, da sie den staatIichen Zielvorgaben (Rückführung des Bevölkerungswachstums) entsprechen (Lagebericht v. 23. 11. 1998 und v. 11.7.2GOO; St. v. 22.5.2000 an VG Augsburg; v. 5.7.1999 an VG Leipzig). Konkrete Referenzfälle werden allerdings vom AA nicht benannt. Es weist vielmehr, ebenso wie Scharping und Heuser, darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen freiwilliger und erzwungener Sterilisation häufig fließend sei, da einer Sterilisation oft ein mehr oder weniger massiver Druck vorausgehe (AA vom 5.7.1999 an VG Leipzig; Scharping v. 28.10.1999 an VG Leipzig; Heuser, St. v. 14.3.2000 an VG Augsburg). Entscheidend sei darüber hinaus auch in diesem Bereich, welche Beziehungen das jeweilige Ehepaar habe (Morf, St. v. 22.7.1994). Die von Scharping in seinem Gutachten vom 25. März 1999 an VG Leipzig aufgestellten Statistiken über die Anwendung von Verhütungsmitteln ermöglichen - unabhängig davon, dass sie nicht zwischen freiwilliger und erzwungener Sterilisation unterscheiden - ebenfalls keine zureichende Aussage; denn der Gutachter weist selbst darauf hin, dass sich die wirklichen Verhältnisse anders als in den offiziellen Statistiken darstellen, da die Statistiken um möglichst hohe Konformität mit den Planziffem und politischen Zielen bemüht seien. Er geht davon aus, dass ca. 30 % der Geburten nicht gemeldet würden, entsprechend wären die Zahlen, für die genannten Sterilisierungen zu hoch angesetzt. Den aktuellen Stellungnahmen von ai lassen sich ebenfalls keine konkreten Hinweise auf durchgeführte Zwangssterilisierungen entnehmen. Allerdings schätzt ai die Gefahr einer Zwangssterilisation im Falle einer Wiedereinreise nach einem Auslandsaufenthalt für eine HAN-Chinesin im gebärfähigen Alter, die bereits mehrere eigene Kinder hat, als durchaus gegeben ein. Zumal die betreffende Frau durch ihre unerlaubte Ausreise politisch auffällig geworden sei und zu erkennen gegeben habe, dass sie sich durch ihre Flucht der chinesischen Geburtenkontrollpolitik habe entziehen wollen (St. v. 22.2.1999 an VG Leipzig). Diese Einschätzung von ai wird aber nicht durch nachprüfbare Beispielsfälle belegt. Aufgrund dieser eher vagen Aussagen in den aktuellen Erkenntnismitteln und der schon oben dargelegten Tatsache, dass in China die Rechtsanwendung von Region zu Region unterschiedlich ist und auch innerhalb der Region wieder von der Einstellung des betreffenden Funktionärs, aber auch von der Stellung des betroffenen Paares abhängt, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei Rückkehr nach China mit einer Zwangssterilisation konfrontiert werden kann, andererseits kann dies insoweit aber nicht mit dem für eine ernstzunehmende Gefahr notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad aus den Erkenntnismitteln abgeleitet werden (ebenso OVG Saarlouis, Urt. v. 20. Oktober 1999 - 9 R 24/98 -; a. A.: OVG NW, Urt. v. 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -. Das OVG NW lässt offen, ob eine verbindliche für ganz China angeordnete Pflicht zur Zwangssterilisation zu § 53 AuslG führt, stellt vielmehr darauf ab, dass die Ungewissheit für den Einzelnen, ob ihm nun Sterilisation droht oder nicht, eine erniedrigende Situation darstellt.).

Unabhängig hiervon ist im vorliegenden Fall zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die Klägerin aus der Provinz ...stammt, für die anzuwendenden Verhütungsvorschriften jeweils der bisherige Wohnsitz in China, also nicht der Ort der Einreise, maßgeblich ist (Scharping, St. v. 25. 3. 1999 an VG Köln; ai, St. v. 22.2.1999 an VG Leipzig) und die Provinz ... nach den Ausführungen von Scharping (vom 25. 3. 1999 an VG Leipzig) die Verhütungsvorschriften nicht weiter präzisiert hat, mithin eher liberaler handhabt.

Der Klägerin ist eine Rückkehr im übrigen auch deswegen zumutbar weil sie selbst die Möglichkeit hat, eine (jetzt unterstellte) ernsthafte Gefahr einer Zwangssterilisierung bei Rückkehr dadurch abzuwenden, dass sie gegenüber den Behörden verbindlich und glaubhaft erklärt, andere Verhütungsmaßnahmen vorzunehmen und diese auch tatsächlich vornimmt (vgl. hierzu Scharping, St. v. 28.10.1999 und v. 2.5.1999 an VG Leipzig).

Der im gerichtlichen Verfahren geäußerte Wunsch der Klägerin, neben ihren zwei Kindern noch weitere Kinder zu bekommen, führt insoweit nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Bereits oben wurde dargelegt, dass die Entscheidung des chinesischen Staates zur Familienplanungspolitik sich nicht gegen die Frauen oder eine besondere Gruppe der Frauen als solche richtet, sondern allein von dem Ziel getragen wird, im Interesse der chinesischen Bevölkerung als Ganzes (letztlich auch im Interesse der Weltbevölkerung) das Bevölkerungswachstum in China zu verlangsamen. Ohne die in der Vergangenheit durchgeführte strikte Familienplanung würden in China heute ca. 200 Mio Menschen mehr leben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15. Juli 1998 - A 6 S 669/97 - S. 15). Die Rückführung des Bevölkerungswachstums ist danach ein zulässiger Ansatz der chinesischen Politik, um den sonst für China drohenden Gefahren (soziale, wirtschaftliche und medizinische Missstände) zu begegnen. Die Entscheidung chinesischer Paare, Kinder bekommen zu wollen, ist aufgrund dieser besonderen Konstellation in China keine Privatsache mehr, sondern der staatlichen Planung unterworfen. Dem privaten Wunsch der Klägerin, noch mehr Kinder zu bekommen, kann daher - so hart das auch im Einzelfall für den Betroffenen sein mag - im vorliegenden Verfahren kein wesentliches Gewicht beigemessen werden.