Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei Täuschung über Reiseweg:
1. Das BAMF darf den Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet ablehnen, weil die schutzsuchende Person über den Reiseweg und einen vorherigen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat getäuscht hat. Dies ist nicht von § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG umfasst, der vorsieht, dass eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet in Betracht kommt, wenn eine Person die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente, durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit offensichtlich getäuscht hat.
2. Ein Austausch der Offensichtlichkeitsgründe ist wohl zwar unstrittig mit den § 30 Abs. 1 Nr. 1 (Vorbringen von Umständen ohne Belang) und Nr. 2 AsylG (eindeutig unstimmige und widersprüchliche, falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen) möglich, allerdings fehlt es vorliegend an derErfüllung besonderen Begründungspflicht des BAMF. Aber auch materiell sind die Voraussetzungen der Offensichtlichkeitsgründe in § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG nicht gegeben.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
9 1. Das Bundesamt hat die Ablehnung als offensichtlich unbegründet zu Unrecht auf § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG gestützt. Demnach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder Staatsangehörigkeit offensichtlich getäuscht hat.
10 Diese Voraussetzung ist vorliegend entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht erfüllt. Zwar weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass der Antragsteller ihr gegenüber verschwiegen hat, dass er sich vor seiner Einreise ins Bundesgebiet bereits in Österreich aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt hat. Dies geht aus einem Eurodac-Treffer vom 12. Dezember 2022 sowie aus einer Auskunft der österreichischen Dublin Unit vom 26. August 2024 hervor. Diese Täuschung über den Reiseweg und über einen vorherigen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat fällt jedoch nicht unter den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Die genannte Norm dient der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. c der Richtlinie 2013/32/EU [...] (Asylverfahrens-RL) und erfasst nach ihrem Wortlaut die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 5 AsylG a.F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit [...]. Die Ratio hinter dieser Pönalisierung ist, dass ein individuelles Verfolgungsschicksal nur festgestellt werden kann, wenn die Identität und Staatsangehörigkeit des Antragstellers bekannt sind. Dem Ausländer, der in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachsucht, weil er auf den Schutz deutscher Behörden vertraut, ist es daher zuzumuten, spätestens gegenüber dem für die Entscheidung zuständigen Bundesamt seine Identität und Staatsangehörigkeit wahrheitsgemäß darzulegen [...]. Der Antragsteller hat zwar über seinen Aufenthalt und die Asylantragstellung in Österreich, nicht jedoch über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht. [...]
14 Das Bundesamt trifft hinsichtlich des Offensichtlichkeitsausspruchs eine besondere Begründungspflicht. Da die Ablehnung als offensichtlich unbegründet einschneidende rechtliche Folgen hat, muss die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Begründung klar erkennen lassen, weshalb der Antrag nicht als (schlicht) unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist [...].
15 Diesem Begründungserfordernis wird der Bescheid vom 21. Oktober 2024 – jedenfalls in Bezug auf die hier allein in Betracht kommenden Offensichtlichkeitsgründe nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AsylG – nicht gerecht. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht wurden, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag zudem auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, sodass die Begründung für seinen Asylantrag offensichtlich nicht überzeugend ist. [...]
17 c) Schließlich liegen auch die materiellen Voraussetzungen von § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG nicht vor. Das Vorbringen des Antragstellers ist weder gänzlich ohne Belang noch eindeutig unstimmig, widersprüchlich und vor dem Hintergrund der gesicherten Herkunftslandinformationen offensichtlich unwahrscheinlich. [...]
19 Nach diesem rechtlichen Maßstab ist das Vorbringen des Antragstellers zwar möglicherweise unbegründet, aber jedenfalls nicht völlig ohne Belang bzw. offensichtlich unwahrscheinlich. Das Vorbringen des Antragstellers ist zwar bisher wenig konkret und Arm an Details, aber nicht offenkundig widersprüchlich bzw. im Lichte der Herkunftslandinformationen offensichtlich unwahrscheinlich. Vielmehr sind die vom Antragsteller vorgebrachten Sachverhalte nach den vorliegenden Erkenntnissen zur Lage in der Türkei geeignet, im Einzelfall eine erhebliche Verfolgungsgefahr zu begründen. Vor diesem Hintergrund ist die Einstufung des Vortrags als "ohne Belang" bzw. offensichtlich nicht überzeugend nicht haltbar. [...]
27 Vor diesem Hintergrund sind die Schilderungen des Antragstellers weder gänzlich ohne Belang noch offensichtlich widersprüchlich und unwahrscheinlich und es bedarf einer näheren Prüfung im Einzelfall, ob die konkreten Umstände im Fall des Antragstellers ausreichen, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit anzunehmen. [...]