OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.08.2013 - 2 W 54/13 - asyl.net: M21536
https://www.asyl.net/rsdb/m21536
Leitsatz:

1. Die Beurkundung einer Geburt ohne einen Zusatz nach § 35 PStV kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die nach § 33 PStV erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden.

2. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes ist es im gerichtlichen Verfahren zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, den Identitätsnachweis auch auf andere Weise als durch Vorlage eines gültigen oder erst kürzlich abgelaufenen Nationalpasses zu führen; an den Nachweis sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen.

3. Reiseausweise, die auf der Grundlage von Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bzw. der entsprechenden Vorschrift in Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen ausgestellt worden sind, haben eine weiter gehende Beweiskraft hinsichtlich der darin enthaltenen Personalien als andere von der Ausländerbehörde ausgestellte Dokumente.

4. Die genannten Reiseausweise sind für das Personenstandsverfahren einem Nationalpass gleichgestellt, wenn sie keinen Hinweis nach § 4 Abs. 6 S. 2 AufenthV enthalten.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Geburtsurkunde, Beurkundung einer Geburt, Identitätsnachweis, Reiseausweis für Flüchtlinge, Personenstandsverfahren, Personenstandsurkunde, Identität, Ausweis, Pass, Urkundenüberprüfung, Legalisation, Aserbaidschan, Reiseausweis für Staatenlose, Beweiskraft, Geburtsurkunde, fehlende Geburtsurkunde,
Normen: PStV § 35, PStV § 33, AufenthV § 4 Abs. 6 S. 2, GFK Art. 28,
Auszüge:

[...]

b. Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze nachgewiesen, dass der erläuternde Zusatz im Sinne des § 35 S. 1 PStV seinerseits unrichtig und daher zu streichen ist. Anders als zur Zeit der Beurkundung im Jahre 2011 liegen mittlerweile die erforderlichen Nachweise auch in Bezug auf die Angaben über die Kindesmutter vor.

Gemäß § 33 S. 1 Nr. 1 und 3 PStV soll das Standesamt bei der Beurkundung einer Geburt unter anderem verlangen, dass die Geburtsurkunden der Eltern (Nr. 1) sowie ein Personalausweis, Reisepass oder ein anderes anerkanntes Passersatzpapier der Eltern (Nr. 3) vorgelegt werden. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 4. und 5. scheitert der Nachweis hier nicht daran, dass die genannten Unterlagen nicht vorgelegt worden wären.

Allgemein ist dabei zu beachten, dass es sich bei § 33 PStV nur um eine Soll-Vorschrift handelt. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, den Identitätsnachweis auch auf andere Weise als durch Vorlage eines gültigen oder erst kürzlich abgelaufenen Nationalpasses zu führen (KG, StAZ 2006, S. 13 f.; Beschluss vom 7. März 2013, 1 W 160/12, bei juris). Im gerichtlichen Verfahren gilt nach §§ 51 Abs. 1 S. 1 PStG, 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz (Gaaz/Bornhofen, a. a. O., § 51 Rn. 15).

Der Nachweis durch Vernehmung von Verwandten und Bekannten der betroffenen Person als Zeugen ist zwar in der Regel nicht ausreichend zuverlässig, um Zweifel hinsichtlich der Identität auszuräumen (vgl. Senat, StAZ 2008, S. 287 ff.). Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits gefälschte Urkunden (so in dem vom Senat im Jahre 2008 entschiedenen Fall) oder gar – aus welchem Grund auch immer – Alias-Identitäten verwendet worden sind. In bestimmten Fällen kann dagegen auch die Vernehmung von Zeugen angezeigt sein, wenn dadurch zusammen mit anderweitigen Erkenntnissen letzte Zweifel beseitigt werden könnten.

Darauf kommt es im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht an, weil die vorgelegten Urkunden der Beteiligten zu 2. als Kindesmutter, nämlich die sowjetische Geburtsurkunde (1) und der Reiseausweis vom 2. Juli 2012 (2), den Maßstäben des § 33 PStV entsprechen.

(1) Allerdings geht das Amtsgericht zunächst zu Recht davon aus, dass die Echtheit einer ausländischen Geburtsurkunde nachzuweisen ist. Dies scheitert hier jedoch nicht daran, dass die vorgelegte sowjetische Geburtsurkunde nicht mit einer Apostille oder Legalisation versehen ist. Die Beteiligte zu 2. hatte in ihrer Kindheit, als die Sowjetunion noch existierte, ersichtlich keinen Anlass, sich derartige Vermerke ausstellen zu lassen. Ein Echtheitsnachweis durch Apostille oder Legalisation kommt aber auch jetzt nicht in Betracht.

Im Jahre 1991 wurde die Republik Aserbaidschan nach Auflösung der Sowjetunion selbstständig. Eine Apostille würde (abgesehen davon, dass das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 im Verhältnis zwischen der Republik Aserbaidschan und der Bundesrepublik Deutschland ohnehin nicht zur Anwendung kommt) nicht für ein Dokument der ehemaligen Sowjetunion ausgestellt werden. Die Legalisation nach § 13 Konsulargesetz kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Baku hat die Legalisation öffentlicher Urkunden aus der Republik Aserbaidschan im Januar 2001 eingestellt (vgl. "Merkblatt zur Einstellung der Legalisation aserbaidschanischer Urkunden und möglicher Urkundenüberprüfung im Wege der Rechts- bzw. Amtshilfe", Stand September 2011, abrufbar im Internet).

In Betracht kommt daher nur die Urkundenüberprüfung durch die Botschaft im Wege der Rechts- bzw. Amtshilfe. Eine solche Überprüfung hat hier auch stattgefunden. Wie bereits ausgeführt, sind die Geburtsurkunden der Beteiligten zu 2., ihrer Mutter und ihrer Brüder sowie die Heiratsurkunde der Mutter nach dem Ergebnis der Urkundenüberprüfung echt (Schreiben der Botschaft vom 9. Juli 2009, Bl. 57 f. d. BA).

Dass die Geburtsurkunden der drei Kinder Veränderungen in Form von Radierungen aufweisen, kann nicht pauschal als Grund angesehen werden, den Echtheitsnachweis in Frage zu stellen. Im konkreten Fall betreffen die Radierungen keine der Angaben zur Person der Beteiligten zu 2. oder ihrer Eltern. Vielmehr handelt es sich nur um kleinere Radierungen im unbeschriebenen Randbereich, die die Mutter der Beteiligten zu 2. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren plausibel damit erklärt hat, dass sie Eintragungen zur Ausgabe von Hilfsgütern im russischen Flüchtlingslager gelöscht habe, um erneut Hilfe für die Kinder erhalten zu können (Bl. 65 ff., 206 ff. d. BA).

Mit den Veränderungen hat sich auch das Verwaltungsgericht im Urteil vom 6. Mai 2011 (Bl. 11R, 12 d. A.) eingehend auseinandergesetzt. Die Einzelrichterin hat die vorgelegten Original-Geburtsurkunden in Augenschein genommen und festgestellt, dass die Radierungen nach Größe und Lage nicht dadurch zustande gekommen sein können, dass etwa Stempel mit Vermerken über die Ausstellung von Pässen beseitigt worden wären. Es spreche einiges für die von der Mutter abgegebene Erklärung für die Radierungen.

Dass das Urteil nicht im Verhältnis zur Beteiligten zu 2. ergangen ist, sondern die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihre Mutter betrifft, ist dabei für die Würdigung im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung, weil jeweils die Beurteilung der Geburtsurkunden der Beteiligten zu 2. und ihrer Geschwister entscheidungserheblich ist. Die Beteiligte zu 2. hatte anscheinend selbst keinen Anlass, ein Urteil des Verwaltungsgerichts gegen die Stadt F. Ausländerbehörde zu erstreiten. Als Ehefrau und Mutter deutscher Staatsangehöriger dürfte sie ohnehin keine Schwierigkeiten hinsichtlich ihres Aufenthaltsrechts haben, und die Ausländerbehörde hat ihr den Reiseausweis für Staatenlose offenbar letztlich aufgrund der Erkenntnisse aus dem Verwaltungsrechtsstreit ihrer Mutter L. K. ausgestellt.

Da die Echtheit der Geburtsurkunde der Beteiligten zu 2. damit feststeht, ist den Anforderungen in § 33 S. 1 Nr. 1 PStV Genüge getan.

(2) Auch die Identität der Beteiligten zu 2. ist nach Maßgabe des § 33 S. 1 Nr. 3 PStV nachgewiesen. Dafür ist es schon nach dem Wortlaut des § 33 PStV nicht zwingend erforderlich, dass ein (National-) Pass ihres Herkunftslandes vorhanden ist. Es genügt auch ein anderes Dokument im Sinne des § 33 S. 1 Nr. 3 PStV. Die Beteiligte zu 2. hat insoweit ihren Reiseausweis für Staatenlose vorgelegt und damit ein "anderes anerkanntes Passersatzpapier".

Allerdings trifft es zu, dass keinesfalls jedem von der Ausländerbehörde ausgestellten Dokument öffentlicher Glaube hinsichtlich der Richtigkeit der darin enthaltenen Personalangaben zukommt. Die dazu vom Amtsgericht

zitierte Entscheidung des BGH (NJW 1996, S. 470 f.) bezieht sich auf Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung nach § 20 Abs. 4 AsylVfG in der damals maßgeblichen Fassung. Bei Ausstellung dieser Bescheinigung hatte der jeweilige deutsche Amtsträger regelmäßig keine Möglichkeit, die Richtigkeit der angegebenen Personalien zu überprüfen. Die Bescheinigung besagte in der Tat nur, dass die auf dem Lichtbild abgebildete Person unter den angegebenen Personalien einen Asyl- oder anderen Aufenthaltsantrag gestellt hatte und ihr deswegen der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gestattet war.

Generell kann die Beweiskraft einer Urkunde bezüglich der Personalangaben nicht weiter reichen als die Prüfungsmöglichkeiten des ausstellenden Amtsträgers (Senat, StAZ 2008, S. 287 ff.). Daraus ergibt sich übrigens zugleich, dass der Geburtseintrag für das Geschwisterkind D. S. aus dem Jahre 2007 und die in Dänemark ausgestellte Heiratsurkunde der Beteiligten zu 2. und 3. mangels ausreichender Urkundengrundlage hier nicht zum Nachweis ausreichen.

Die Beteiligte zu 2. hat aber als Passersatzpapier einen Reiseausweis für Staatenlose vorgelegt, der ihr nach Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl. 1976 II S. 474) ausgestellt worden ist. Dieser ist nicht etwa nur in dem Sinne Passersatz, dass er es einem Ausländer ermöglicht, seiner aufenthaltsrechtlichen Passpflicht (vgl. §§ 3, 48 AufenthG; Vorschrift über Passersatzpapiere in § 4 AufenthV) nachzukommen. Vielmehr haben Reiseausweise, die auf der Grundlage von Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bzw. der entsprechenden Vorschrift in Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen ausgestellt worden sind, eine weiter gehende Beweiskraft hinsichtlich der darin enthaltenen Personalien als andere von der Ausländerbehörde ausgestellte Dokumente. Staatenlose können sich im Personenstandsverfahren durch einen deutschen Reiseausweis für Staatenlose ausweisen (Gaaz/Bornhofen, a.a.O., § 9 Rn. 9).

Den Reiseausweisen für Staatenlose und für Flüchtlinge kommt nämlich unter anderem eine Identifikationsfunktion zu. Sie haben die Aufgabe, die Identität des Ausweisinhabers anstelle eines Nationalpasses zu bescheinigen, und ersetzen in weitem Umfang einen nationalen Reisepass (für das Personenstandsverfahren OLGR Hamm 2008, S. 642 f.; BVerwGE 120, 206; 140, 311). Ein Reiseausweis nach Art. 28 der genannten Abkommen ermöglicht wie ein nationaler Reisepass den (widerlegbaren) Nachweis, dass sein Inhaber die in ihm genannte, beschriebene und abgebildete Person ist und die darin enthaltenen Angaben mit den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Inhabers übereinstimmen (BVerwGE 120, 206).

Die Gleichstellung mit einem Pass ergibt sich jeweils aus dem Text des Muster-Reiseausweises in den Anlagen zu den genannten Abkommen und den Vorschriften in den Anhängen, die auf nationale Pässe Bezug nehmen (vgl. BVerwGE 120, 206). Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht aus § 15 der Anhänge zu den Abkommen. Darin ist zwar jeweils bestimmt, dass die Ausstellung des Ausweises und die darin vorgenommenen Eintragungen nicht die Rechtsstellung des Inhabers, insbesondere in Bezug auf die Staatsangehörigkeit, berühren. Das Bundesverwaltungsgericht hat die genannte Vorschrift in § 15 aber in der zitierten Entscheidung (BVerwGE 120, 206) ausdrücklich erwähnt und gerade nicht den Schluss daraus gezogen, der Reiseausweis habe keine Identifikationsfunktion.

Die Identifikationsfunktion des Reiseausweises kann zwar aufgehoben werden durch einen Vermerk, wonach die angegebenen Personalien auf eigenen Angaben beruhen (BVerwGE 120, 206; 140, 311). In § 4 Abs. 6 S. 2 AufenthV ist dazu näher bestimmt, dass ein solcher Hinweis bei Reiseausweisen für Flüchtlinge und für Staatenlose aufgenommen werden kann, wenn ernsthafte Zweifel an den Identitätsangaben des Antragstellers bestehen (während dies bei Reiseausweisen für Ausländer nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 i.V.m. § 5 AufenthV generell möglich ist). Wenn die ausstellende Behörde durch den Vermerk die Gewähr für die Richtigkeit der Identitätsangaben ablehnt, kann auch keine andere Behörde auf die Richtigkeit der Angaben im Sinne eines auch nur widerlegbaren Nachweises vertrauen (BVerwGE 140, 311).

Der Reiseausweis der Beteiligten zu 2. ist aber gerade nicht seinerseits mit einem einschränkenden Vermerk versehen. Selbst wenn die Angaben in einem Reiseausweis in Wirklichkeit nur auf den eigenen Angaben der betroffenen Person beruhen, steht dies der Legitimationswirkung für das Personenstandsverfahren nicht einmal entgegen, wenn der Reiseausweis keinen entsprechenden Vermerk aufweist (OLGR Hamm 2008, S. 642 f.). Im Übrigen ist im vorliegenden Fall der Reiseausweis tatsächlich nicht allein auf Grundlage eigener Angaben der Inhaberin ausgestellt worden, sondern aufgrund der sorgfältigen Prüfung von Identität und Staatenlosigkeit der Mutter und damit letztlich auch der Beteiligten zu 2. und ihrer Brüder durch das Verwaltungsgericht.

Dass der für die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose erforderliche Nachweis der Staatenlosigkeit (zu den Voraussetzungen vgl. VG Schleswig, Urteil vom 13. Juni 2007, 4 A 34/07, bei juris, m.w.N.) hier erbracht ist, hat die Ausländerbehörde offenbar auch im Verhältnis zur Beteiligten zu 2. aufgrund der Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht mehr angezweifelt. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht eingehend gewürdigt, dass die vorhandenen echten Dokumente (vier Geburtsurkunden und Heiratsurkunde) wirklich der Familie der Beteiligten zu 2. zuzuordnen sind. Dabei spielt es eine erhebliche Rolle, dass nicht etwa eine einzelne Geburtsurkunde vorgelegt worden ist, sondern insgesamt vier für die ganze Familie, die hinsichtlich des Alters und der Geschlechtsbestimmung der Personen passen. Auch sonst ist die Darstellung der Beteiligten zu 2. und ihrer Familie vor dem historischen Hintergrund der Verfolgung armenischer Volkszugehöriger in Aserbaidschan durchgehend plausibel und gibt an keiner Stelle Anlass zu Misstrauen etwa aufgrund früherer falscher oder widersprüchlicher Angaben.

Dementsprechend liegt mit dem Reiseausweis vom 2. Juli 2012 auch ein Dokument im Sinne des § 33 S. 1 Nr. 3 PStV vor, so dass der einschränkende Zusatz zum Geburtseintrag für die Betroffene nun zu streichen und eine entsprechende Geburtsurkunde auszustellen ist. [...]