Corona-Zwangstests zur Durchführung von Abschiebungen zulässig:
1. Eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit kann auch die Durchführung eines Corona-Tests zur Feststellung einer Covid-19 Erkrankung sein.
2. Reiseunfähig im engeren Sinne kann auch jemand sein, der durch die Abschiebung die Gesundheit anderer gefährdet.
(Leitsätze der Redaktion)
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I. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung damit begründet, dass ein hohes staatliches Interesse an der Abschiebung des Antragstellers deshalb bestehe, weil er zahlreiche in dem Bescheid im Einzelnen aufgeführte Straftaten innerhalb kurzer Zeit begangen habe und aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Durch die fehlende Mitwirkung an der erforderlichen Untersuchung seiner Reisefähigkeit hätte er es ohne Anordnung des Sofortvollzugs in der Hand, seinen Aufenthalt zumindest für die Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens zu verlängern. Ausländern in vergleichbaren Situationen müsste sich zudem der Eindruck aufdrängen, sie könnten durch passives Verhalten die behördlich angestrebte Aufenthaltsbeendigung unterlaufen. Der Antragsgegner hat damit hinreichend deutlich und einzelfallbezogen zu erkennen gegeben, dass er sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war, [...]
Rechtsgrundlage für die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung ist § 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG -. Danach kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen u.a. nach diesem Gesetz erforderlich ist, u.a. eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit angeordnet werden. Diese Voraussetzungen liegen nach summarischer Prüfung vor.
Der Antragsteller, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ist vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Eilantrag gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Juni 2020, mit dem das zuvor festgestellte Abschiebungsverbot widerrufen worden ist, ist mit Beschluss vom 21. August 2020 - VG 9 L 336/20 - zurückgewiesen worden.
Bei der geplanten Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan handelt es sich um eine Maßnahme nach dem AufenthG. Dass die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung sein kann, hat der Gesetzgeber mit der Aufnahme einer solchen Untersuchung in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst, a) AufenthG nunmehr ausdrücklich klargestellt.
Bei einem Covid-19-Test handelt es sich um eine medizinische Untersuchung, die ausweislich des angefochtenen Bescheids von einer medizinisch geschulten Person oder einem Arzt durch Entnahme eines Abstrichs durchgeführt werden soll. Anhaltspunkte dafür, dass die Entnahme von Sekret nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden wird, bestehen nicht.
Die ärztliche Untersuchung, insbesondere die Entnahme eines Abstrichs zum Zweck der Ermittlung einer SARS-CoV-2-Infektion, dient auch der Feststellung der Reisefähigkeit. Reiseunfähigkeit kann sowohl bei Gefahren bestehen, die sich aus dem eigentlichen Vorgang, der Abschiebung ergeben (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne), als auch dann, wenn die Abschiebung außerhalb des Transportvorganges eine erhebliche konkrete Gesundheits- oder Lebensgefahr bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne, vgl. Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 25. Februar 2009 - OVG 2 B 2.08 - , juris, Rn. 37). Hier kommt lediglich eine Reiseunfähigkeit im engeren Sinne in Betracht. Ein Ausländer ist dabei jedenfalls dann reiseunfähig, wenn sich unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon sein Gesundheitszustand voraussichtlich wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtert (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 2007 - 1 9 B 352/07-, juris, Rn. 5). Dies trifft auf den Antragsteller nicht zu. Auch der Antragsgegner trägt nicht vor, dass der Antragsteller Krankheitszeichen aufweist, die einer Untersuchung wegen einer voraussichtlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands bedürften.
Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass sich eine Reiseunfähigkeit im engeren Sinne nicht nur aus Gefahren für den Abzuschiebenden selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung ergeben kann, sondern auch daraus, dass der Betreffende aufgrund seines gesundheitlichen Zustands eine erhebliche Gefahr für Dritte darstellt und deshalb nicht reisen darf. Unfähig zur Reise ist mithin auch derjenige, der andere Menschen mit einer potentiell lebensbedrohenden Krankheit wie SARS-CoV-2 anstecken kann, weil er selbst mit diesem Erreger Infiziert ist (so auch Beschluss des VG Düsseldorf vom 11. November 2020 - VG 7 L 2282/20 - , n.v.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4. November 2020 - 11 L 1494/20 - , n.v.). Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 96/97), wonach eine Untersuchung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG insbesondere erforderlich sein kann, um die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rückführung auf dem Luftwege zu klären. Sofern ein Antragsteller mit dem Covid-19-Virus infiziert ist, ist eine Rückführung auf dem Luftweg aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Mitreisenden besteht, die sich auf dem Flug mangels Einhaltung des Mindestabstands oder Belüftungsmöglichkeiten anstecken könnten. Somit dient eine solche Untersuchung der Klärung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Rückkehr. Auf die Frage, ob wegen der Formulierung "insbesondere" eine solche Untersuchung auch aus anderen Gründen durchgeführt werden kann, kommt es folglich hier nicht an.
Der Auffassung des VG Köln (vgl. Beschluss vom 27. Oktober 2020 - 12 L 1926/20 - , n.v.),.wonach die ärztliche Untersuchung nach § 82 Abs. 4 AufenthG auf eine Erkrankung des Ausländers abzielt, dessen Abschiebung angeordnet wird, teilt die Kammer im Grunde. Die weitere Argumentation jedoch, wonach aus § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG folge, dass es nicht maßgeblich sein kann, ob durch eine Erkrankung des Ausländers etwa dritte Personen gefährdet würden, sondern allein, ob eine Abschiebung für den Ausländer unzumutbar sei (ebenda, BA S. 3), hält das Gericht für die Auslegung des Begriffs der Reisefähigkeit für nicht überzeugend. § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG regelt, dass dann, wenn ein Ausländer eine qualifizierte ärztliche Stellungnahme über seinen Gesundheitszustand vorlegt, die Behörde berechtigt ist, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der daraufhin angeordneten ärztlichen Untersuchung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Das VG Köln (a.a.O.) argumentiert, dass diese Regelung keinen Sinn ergäbe, wenn für § 60a Abs. 2d AufenthG Umstände jenseits der allein den abzuschiebenden Ausländer in den Blick nehmenden Transport- oder Übergabefähigkeit, etwa in Form einer Gefährdung dritter Personen, maßgeblich wären. Anderenfalls würden - so die weitere Argumentation - beispielsweise Gefahren allein deshalb hingenommen werden, weil der abzuschiebende Ausländer sich nicht untersuchen lasse. Diese Argumentation übersieht, dass nach herrschender Meinung (vgl. etwa Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 60a Rn. 57 mwN.; OVG Bautzen, Beschluss vom 05.07.2018 - 3 B 246/17 - BeckRS 2018, 31843) im Zusammenhang mit der Regelung in § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG auch die Regelung in § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG zwingend zu beachten ist. Danach ist zu berücksichtigen, ob anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vorliegen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern. Daraus wird ersichtlich, dass die Frage, ob eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, auch im Zusammenhang mit der Regelung des § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG Beachtung findet. Soweit die Behörde vorgetragene Krankheiten unberücksichtigt lassen darf, folgt daraus umgekehrt nicht, dass sie - bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte - keine weiteren Maßnahmen ergreifen darf. Solche besonderen Anhaltspunkte bestehen aufgrund der derzeit herrschenden SARS-CoV-2-Pandemie. Eine Ansteckung Dritter soll durch die hier angeordnete Untersuchung auf eine potentiell lebensbedrohende Krankheit wie SARS-CoV-2 ausgeschlossen werden. Nach Auffassung der Kammer kann die Regelung in § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG nicht dahingehend isoliert betrachtet werden, dass aus ihr eine Beschränkung des Begriffs der Reisefähigkeit auf Krankheiten, die ausschließlich für den Ausländer, dessen Abschiebung auf dem Luftweg unzumutbar erscheinen lassen, abzuleiten wäre. Schließlich beschränkt sich § 60a Abs. 2d AufenthG auf die Regelung der vom Ausländer glaubhaft zu machenden Tatsachen. Schon nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift kann daraus keine Einschränkung des Begriffs der von der Behörde zu prüfenden Reisefähigkeit für die Regelung in § 82 Abs. 4 AufenthG abgeleitet werden. [...]