VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Beschluss vom 04.06.2021 - 6 L 32/21 - asyl.net: M29802
https://www.asyl.net/rsdb/m29802
Leitsatz:

Kein Erlöschen des Aufenthaltstitels bei fehlendem Hinweis durch die Behörden:

1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn die betroffene Person ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten wieder einreist. Hierbei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die nicht rechtzeitige Rückkehr auf einer freiwilligen Entscheidung der Person beruht oder auf Gründen, die von ihrem Willen unabhängig sind.

2. Eine Ausnahme muss nur dann erwogen werden, wenn die Person nicht in der Lage war, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen.

3. Die deutschen Behörden müssen zudem die betroffene Person ordnungsgemäß über die Rechtslage informieren. Wendet sich die Person innerhalb der Wiedereinreisefrist zwecks Rückkehr an die deutschen Behörden (hier die Auslandsvertretung) und wird diese durch die Mitarbeitenden nicht auf das drohende Erlöschen des Aufenthaltstitels hingewiesen, so ist die Person so zu stellen, als habe sie nach sachgerechter Information rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung gestellt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltstitel, Niederlassungserlaubnis, Erlöschen, Sechs-Monats-Frist, Corona-Virus, Beratungspfllicht, Belehrung, Hinweispflicht,
Normen: § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG,
Auszüge:

M29802, VG Chemnitz, Beschluss vom 04.06.2021 - 6 L 32/21

Kein Erlöschen des Aufenthaltstitels bei fehlendem Hinweis durch die Behörden:

1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn die betroffene Person ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten wieder einreist. Hierbei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die nicht rechtzeitige Rückkehr auf einer freiwilligen Entscheidung der Person beruht oder auf Gründen, die von ihrem Willen unabhängig sind.

2. Eine Ausnahme muss nur dann erwogen werden, wenn die Person nicht in der Lage war, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen.

3. Die deutschen Behörden müssen zudem die betroffene Person ordnungsgemäß über die Rechtslage informieren. Wendet sich die Person innerhalb der Wiedereinreisefrist zwecks Rückkehr an die deutschen Behörden (hier die Auslandsvertretung) und wird diese durch die Mitarbeitenden nicht auf das drohende Erlöschen des Aufenthaltstitels hingewiesen, so ist die Person so zu stellen, als habe sie nach sachgerechter Information rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung gestellt.

(Leitsätze der Redaktion)
Schlagwörter: Aufenthaltstitel, Niederlassungserlaubnis, Erlöschen, Sechs-Monats-Frist, Corona-Virus, Beratungspfllicht, Belehrung, Hinweispflicht,
Normen: § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG,

[...]

(1) Gemäß dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, vorliegend die dem Antragsteller mit Datum vom 29.03.2017 erteilte Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. [...]

(2) Eine Ausnahme muss allenfalls dann erwogen werden, wenn ein Ausländer nicht in der Lage war. fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.09.2018, Az. 3 B 120/18, juris Rn. 8; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.04.2009, Az. 11 ME 484/08, juris Rn. 4; vergl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.01.2020. Az. 4 MB 98/19, juris Rn. 6 f. und Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 10.01.2007, Az. 24 SV 03.722, juris Rn. 43).

Anhaltspunkte dahingehend, dass der Antragsteller objektiv gehindert gewesen wäre, etwa über die Deutsche Botschaft, rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen, ergeben sich indes auch nach dem Vortrag des Antragstellers nicht. [...]

(3) Allerdings sprechen nach Auffassung der Kammer gewichtige Argumente für die Sichtweise, dass der Antragsteller aufgrund eines von Seiten der deutschen Behörden, hier namentlich der Deutschen Botschaft in Hanoi, pflichtwidrig unterbliebenen Hinweises auf die voranstehend dargelegte Rechtslage so zu stellen ist, wie er bei ordnungsgemäßer Information durch die Deutsche Botschaft gestanden hätte. Er ist so zu behandeln, als hätte er nach sachgerechter Information rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist gestellt. [...]

Gemäß den vom Antragssteller eingereichten eidesstattlichen Versicherungen vom 22.01.2021 hat sich der Antragsteller bereits im März 2020 und mithin vor Ablauf der Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ohne vorherige Terminabstimmung an die Deutsche Botschaft in Hanoi gewandt und sich unter Vorlage seines Reisepasses und seiner Niederlassungserlaubnis nach finanziellen Hilfen und einer Rückholaktion erkundigt. Die vietnamesische Mitarbeiterin der Botschaft, mit der er gesprochen habe, habe ihn jedoch nur auf ihre fehlende Zuständigkeit und den Umstand, dass der Antragsteller kein deutscher Staatsangehöriger sei, verwiesen. [...]

In Anbetracht der Vorlage der Niederlassungserlaubnis und des dargelegten Willens des Antragstellers, in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, hätte es für die Deutsche Botschaft in Hanoi nahe liegen müssen, den Antragsteller auf das drohende Erlöschen seiner Niederlassungserlaubnis hinzuweisen. Diesbezüglich ist es aus Sicht der Kammer unerheblich, inwieweit die konkrete Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Hanoi die erforderlichen Kenntnisse hatte, ob sie überhaupt befugt und kompetent war, an dieser Stelle Auskünfte zu geben. Es obliegt der Organisation der Auslandsvertretung, dafür Sorge zu tragen, dass nur entsprechend autorisierte Auskunftspersonen gegenüber den Betroffenen Auskünfte erteilen. Die Mitarbeiterin hätte den Antragsteller schlicht auf die Notwendigkeit einer vorherigen Terminsabsprache hinweisen müssen und hätte ansonsten keine Auskünfte erteilen dürfen. Ausgehend von den glaubhaften Darlegungen des Antragstellers bestanden diesbezüglich jedenfalls im vorliegenden Fall Defizite, die der Antragssteller weder erkennen konnte, noch zu vertreten hatte.

Hätte der Antragsteller bei sachgerechter lnformation durch die Deutsche Botschaft in Hanoi rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG gestellt, so wäre dem Antrag in Anbetracht der pandemiebedingten Einschränkungen des Luftverkehrs unstreitig stattzugeben gewesen. Der Antragsteller war aufgrund höherer Gewalt an einer rechtzeitigen Rückkehr nach Deutschland gehindert. [...]