VG Gera

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Zitieren als:
VG Gera, Urteil vom 23.08.2021 - 2 K 738/21 Ge - asyl.net: M30238
https://www.asyl.net/rsdb/m30238
Leitsatz:

Familienschutz für minderjähriges Kind trotz abweichender Staatsangehörigkeit der stammberechtigten Person:

Ein Anspruch auf Familienasyl für minderjährige Kinder setzt nicht voraus, dass der stammberechtigte Elternteil mit dem Kind die Staatsangehörigkeit teilt, die Familie bereits im Verfolgerstaat bestand und die familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet besteht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienschutz, Kind, Staatsangehörigkeit, internationaler Schutz, familiäre Lebensgemeinschaft,
Normen: AsylG § 26 Abs. 2, AsylG § 26 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Der Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt aus § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 26 Abs. 2 und 5 Satz 1 AsylG. Nach § 26 Abs. 2 AsylG wird ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Gemäß § 26 Abs. 5 S. 1 AsylG sind die Absätze 1 bis 3 des § 26 AsylG auf Familienangehörige von international Schutzberechtigten entsprechend anzuwenden, wobei gemäß § 26 Abs. 5 S. 2 AsylG an die Stelle der Asylberechtigung die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz tritt. Die Voraussetzung des § 26 Abs. 2 AsylG, die folglich auch für Kinder einer Person gelten, der nur die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, liegen vor. Dem Vater des Klägers wurde als irakischem Staatsbürger unstreitig mit unanfechtbaren Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2017 die Fl0chtlingseigenschaft zuerkannt. Es besteht ferner keinerlei Anhalt dafür, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nicht maßgeblich, dass der Vater und der Kläger unterschiedliche Staatsangehörigkeiten besitzen bzw. im Herkunftsland des Vaters keine "Verfolgungsgemeinschaft" bestand, da die Eltern des Klägers sich erst nach Ausreise aus ihren jeweiligen Herkunftsländern in Europa kennenlernten und heirateten. Hierfür spricht der Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylG als auch die Systematik der Vorschrift. Der Wortlaut des Abs. 2 der Bestimmung enthält im Gegensatz zu anderen Erfordernissen für das Familienasyl bzw. für den Familienschutz eines minderjährigen Kindes keine weiteren einschränkenden Voraussetzungen, wie sie etwa in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG Niederschlag gefunden haben. Folglich ist es für den Anspruch auf Familienasyl bzw. Familienschutz für minderjährige ledige Kinder nach deutschem Recht unerheblich, ob das Kind in Deutschland geboren wurde, eine familiäre Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat bestand bzw. in Deutschland besteht und das Kind und die stammberechtigte Personen dieselbe Staatsangehörigkeit haben oder nicht (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 18. Dezember 2019 - 1 C 2/19 - juris Rn. 14; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Dezember 2020 - 6 Bf 240/20.AZ, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - OVG 3 N 189/20 -; jeweils zitiert nach juris; Epple in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, § 26, Rdnr. 51 ff.). Auf etwaig einschränkende Voraussetzungen der europäischen Qualifikationsrichtlinie kommt es nicht an, da es den Nationalstaaten freisteht, über dortige Vorgaben hinaus migrationsgünstigere Regelungen zu treffen. [...]