VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 04.11.2021 - 3 K 425.18 A - asyl.net: M30270
https://www.asyl.net/rsdb/m30270
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für exilpolitisch aktive Person aus dem Iran:

Allein die Teilnahme an Demonstrationen in Berlin gegen die iranische Regierung, bei der Betroffene nicht namentlich oder anderweitig herausragend in Erscheinung treten, führt nicht zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Identifizierung durch das iranische Regime bei einer Rückkehr.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Khuzestan, Ahwaz, Araber, Exilpolitik, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

2. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei Rückkehr in den Iran aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche Verfolgung droht. Maßgeblich ist dabei darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die den Betreffenden nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen oder umgekehrt. Dabei ist bekannt und kann unterstellt werden, dass der iranische Auslandsgeheimdienst die Aktivitäten exiliranischer Oppositioneller verfolgt, "bewertet" und sogar - wie jüngere Presseberichte über die Aktivitäten iranischer Agenten in mehreren europäischen Staaten belegen - ohne Skrupel zum Anlass für extralegale und exterritoriale Hinrichtungen nimmt. Die beachtliche Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten ist danach anzunehmen, wenn ein iranischer Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran einwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (ständige und zutreffende Rechtsprechung, vgl. statt vieler etwa OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2017 - 13 A 1793/16.A, juris, m.w.N.). Erforderlich ist im Regelfall ein exponiertes exilpolitisches Engagement, das den Betreffenden aus dem Kreis der exilpolitisch Aktiven heraushebt und im iranischen Staat als ernsthaften Regimegegner erscheinen lässt, so dass wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse seitens des iranischen Staates besteht.

Nach diesem Maßstab ist im Falle des Klägers nicht von einer asylrelevanten exllpolitischen Aktivität auszugehen. Es bestehen zwar keine durchgreifenden Zweifel an seiner inneren Ablehnung der Islamischen Republik und Sympathie für die arabischen Interessen in Khuzestan/Ahwaz. Dass diese Einstellung nach außen für das iranische Regime sichtbar werden könnte, ist aber nicht dargetan. Der Kläger hat zwar glaubhaft - insbesondere frei von Übertreibungen - geschildert, dass er Demonstrationen insbesondere vor der iranischen Botschaft und am Brandenburger Tor teilgenommen hat. Dabei ist er allerdings nicht herausragend, insbesondere namentlich, nach außen in Erscheinung getreten. Er ist vielmehr nur einer von mehreren ungenannten Teilnehmern. Es erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er allein aufgrund der Teilnahme an einzelnen Protestkundgebungen bei einer Rückkehr in den Iran vom Regime identifiziert werden könnte. Und selbst wenn er erkannt würde, erscheint es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die bloße Teilnahme ihn in den Augen des iranischen Regimes zu einem relevanten Oppositionellen machen würde. Es fehlt an Belegen oder Informationen darüber, dass diese Kundgebungen im Iran wahrgenommen werden und - ggf. auch nur im Wege der Zuschreibung - einen Verfolgungswillen auslösen könnten. Das Gericht ist auch nicht im erforderlichen Maße davon überzeugt, dass das Regime ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus anderen Gründen eine Relevanz als Oppositioneller zuschreiben könnte, insbesondere wegen der behaupteten Probleme seines Bruders mit den Sicherheitsbehörden. Denn auch diese erreichen nicht das asylerhebliche Maß. Hierzu kann auf die Entscheidung im Verfahren des Bruders (VG 3 K 195.18 A) Bezug genommen werden. Sein Vorbringen schließlich, Sicherheitskräfte hätten sich bei seinen Eltern nach ihm erkundigt, ist nicht näher substantiiert und wirkt gesteigert, nachdem er dies ohne überzeugende Begründung erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht und weder beim Bundesamt noch während des laufenden Gerichtsverfahrens zuvor erwähnt hat. Vorladungen oder andere Dokumente der Polizei- bzw. Justizbehörden sind ihm zudem nach eigenem Vorbringen nicht zugestellt worden. Dabei wäre ein solches Vorgehen der Behörden bei ernstlichem Verfolgungswillen zu erwarten. [...]