Erfolgreiche Untätigkeitsklage einer in Griechenland anerkannten afghanischen Familie:
1. Auch wenn die betroffenen Personen durch das BAMF bereits angehört wurden, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine auf Bescheidung des Asylantrags gerichtete Verpflichtungsklage in Gestalt der Untätigkeitsklage.
2. Eine Nachfristsetzung im Sinne von § 75 VwGO kommt nicht in Betracht, wenn die Entscheidungsfrist von sechs Monaten ab Asylantragstellung bereits abgelaufen ist und das BAMF keine konkreten Gründe für die weitere Verzögerung darlegt.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Klage hat Erfolg.
Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG, zulässig und begründet.
Sie ist als Verpflichtungsklage in Gestalt der Untätigkeitsklage, § 75 VwGO, zulässig. Sie ist nach Ablauf der Dreimonatsfrist des $ 75 Satz 2 VwGO wirksam erhoben worden; selbst wenn man den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung (16. Januar 2020), sondern auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils im Verfahren 6 K 1619/20.TR, den 6. Oktober 2020, festsetzen würde. Das Verfahren war nicht nach § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen und der Beklagten eine Frist zur Sachentscheidung zu setzen, weil es an einem zureichenden Grund für die bisher ausgebliebene Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag fehlt.
Die Beklagte hat sich zum Vorliegen eines Grundes für die verzögerte Bearbeitung und Entscheidung im Klageverfahren nicht hinreichend substantiert geäußert. Es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass das Bundesamt bei Personen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland an einer Lösung arbeite und zu gegebener Zeit eine Information übermittele. [...]
Auch in der vorliegenden Konstellation, in der die Asylantragsteller zwar angehört worden sind, das Bundesamt aber danach nicht weiter tätig geworden ist, folgt ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Bescheidungsantrag aus den Besonderheiten des behördlichen Asylverfahrens und seinen spezifischen Verfahrensgarantien. Zwar hat das Gericht bei einer gebundenen, nicht im Ermessen stehenden Entscheidung der Verwaltung die Sache grundsätzlich nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spruchreif zu machen und Unklarheiten und Lücken in der behördlichen Sachverhaltsermittlung zu schließen (§ 86 VwGO). Doch kann dies bei asylrechtlichen Erstverfahren angesichts der besonderen, auf Beschleunigung und Konzentration auf eine einzige Behörde gerichteten Ausgestaltung des Asylverfahrens nicht gelten. Auch wenn - wie hier - die Verpflichtung des Bundesamtes zur persönlichen und nicht öffentlichen Anhörung der Antragsteller (§ 24 Abs. 1 Satz 3, § 25 Abs. 6 Satz 1 AsylG) zur Geltung gekommen ist, ist das Bundesamt jedenfalls der Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung und zur Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG), für die - anders als im Gerichtsverfahren (§ 74 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG) – keine Präklusionsfrist vorgesehen ist, nicht abschließend nachgekommen. Auch in dieser Situation kann das gerichtliche Asylverfahren die Durchführung des behördlichen Asylverfahrens nicht gleichwertig ersetzen. Die Untätigkeit des Bundesamtes darf letztlich nicht dazu führen, dass das Verwaltungsgericht erstmals in der Sache entscheidet, ohne dass sich das Bundesamt als fachlich zuständige und kompetente Asylbehörde inhaltlich mit dem Asylbegehren auseinandergesetzt hat (vgl. Göbel-Zimmermann/Skrzypczak, Die Untätigkeitsklage im asylgerichtlichen Verfahren, ZAR 2016, 357, 363 ff.). Im Falle des sog. Durchentscheidens würde dem Betroffenen auch in der vorliegenden Konstellation die Tatsacheninstanz mit der inhaltlichen Überprüfung der Entscheidung des Bundesamtes genommen.
Ausgehend vom Gewaltenteilungsgrundsatz gehört es aber gerade zur Kernkompetenz des Verwaltungsgerichts, staatliche Entscheidungen zu überprüfen (VG Dresden, Urteil vom 23. November 2018 - 12 K 5750/17.A -, juris Rn. 12 – 14). Eine weitere Nachfristsetzung sieht das Gericht als entbehrlich an, da die Sechsmonatsfrist des § 24 Abs. 4 AsylG (e contrario) längst abgelaufen ist. Hierin kommt der erkennbare Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass eine Entscheidungsfrist von 6 Monaten nach förmlicher Antragstellung als ausreichend zu erachten ist (vgl. auch Art. 31 Abs. 3 UA 1 der Richtlinie 2013/32/EU - Asylverfahrensrichtlinie; AsylVf-RL).
Zwar sieht die Richtlinie in ihrem Art. 31 Abs. 3 UA 2 die Möglichkeit vor, die vorgenannte Sechsmonatsfrist um höchstens weitere neun Monate zu verlängern, wenn sich etwa in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben (lit. a); weder aus dem beigezogenen Verwaltungsvorgang, noch aus der Klageerwiderungsschrift vom 30.07.2019 ergeben sich jedoch hinreichende Anhaltspunkte für einen solch atypischen Fall. Die. Beklagte wäre hier jedenfalls gehalten gewesen, dem Gericht gegenüber mitzuteilen, woraus genau sich die fallspezifische Komplexität ergibt. [...]
Auch Art. 31 Abs. 2 AsylVf-RL, der eine möglichst rasche Entscheidung über den Asylantrag normiert, gewährt den Klägern subjektiv öffentliche Rechte, die durch die Untätigkeit der Beklagten verletzt werden.
Die Sache ist zudem spruchreif im Sinne des § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Eine Aussetzung gemäß § 75 S. 3 VwGO kam aus den Gründen der Entscheidung nicht in Betracht.
Das Gericht hält eine Frist für die Entscheidung über den Asylantrag der Kläger von 3 Monaten ab Rechtskraft des Urteils für angemessen. Dabei hat es sich an der Vorschrift des § 75 VwGO orientiert und berücksichtigt, dass bereits eine persönliche Anhörung der Kläger erfolgt ist und die durch Art. 31 Abs. 3 maximal zulässige Entscheidungsfrist bereits abgelaufen ist. Der Fristablauf nach Rechtskraft des Urteils trägt dem Umstand Rechnung, dass eine vorläufige Vollstreckung bei Verpflichtungsklagen nur hinsichtlich der Kosten möglich ist (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO). [...]