VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2022 - 1 S 1265/21 (Asylmagazin 7-8/2022, S. 260 ff.) - asyl.net: M30606
https://www.asyl.net/rsdb/m30606
Leitsatz:

Zum Betreten und Durchsuchen von Zimmern in Aufnahmeeinrichtung bei Abschiebung:

1. Das einer Person in einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesene Zimmer ist in der Regel "Wohnung" i.S.v. Art. 13 GG.

2. Ob eine dem Richtervorbehalt unterliegende Durchsuchung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 GG vorliegt, hängt nicht davon ab, ob die Behörde im Voraus betrachtet eine Durchsuchung durchführen wollte, sondern ob sie im Nachhinein betrachtet eine Durchsuchung durchgeführt hat.

3. Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung genießen auf der Ebene des Art. 13 Abs. 7 GG, wonach Eingriffe nur zu besonderen Zwecken erfolgen dürfen, nur einen eingeschränkten Schutz. Das Betreten eines Zimmers in der Landeserstaufnahmeeinrichtung stellt wie das Betreten von Geschäftsräumen deshalb keinen Eingriff im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG dar, sofern die vom Bundesverfassungsgericht für Geschäftsräume aufgestellten Anforderungen an die gesetzliche Grundlage und Durchführung des Betretens erfüllt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54).

(Leitsätze der Redaktion; entgegen OVG Hamburg, Urteil vom 18.08.2020 - 4 Bf 160/19 (Asylmagazin 10-11/2020, S. 383 f.) - asyl.net: M28735; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.03.2021 - OVG 3 M 143/20, OVG 3 M 144/20 (Asylmagazin 6/2021, S. 236 f.) - asyl.net: M29459)

Anmerkung:

Es erscheint fraglich, ob die für Geschäfts- und Betriebsräume entwickelte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54) auf Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu übertragen ist (vgl. LS. 3). Das Bundesverfassungsgericht führt nämlich aus, "daß ein Betretungs- und Besichtigungsrecht der hier geregelten Art bei Wohnräumen ausgeschlossen ist."

Siehe auch:

  • Beitrag von David Werdermann und Benjamin Scholz in Asylmagazin 7-8/2022
Schlagwörter: Abschiebung, Aufnahmeeinrichtung, Wohnung, Durchsuchung, Wohnungsdurchsuchung, Betretenserlaubnis, betreten, Richtervorbehalt, Unverletzlichkeit der Wohnung,
Normen: GG Art. 13 Abs. 1, GG Art. 13 Abs. 2, GG Art. 13 Abs. 7, LVwVG § 6 Abs. 2, LVwVG § 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1. Das dem Kläger in der LEA bis zum 20.06.2018 zugewiesene Zimmer war eine "Wohnung" im Sinne von § 6 Abs. 2 LVwVG.

Mit den Vorschriften in § 6 Abs. 2 LVwVG wollte der Landesgesetzgeber Art. 13 Abs. 1 GG, wonach die Wohnung unverletzlich ist, und Art. 13 Abs. 2 GG, wonach Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden dürfen, Rechnung tragen (vgl. den Gesetzentwurf der Landesregierung vom 20.07.1973 für ein Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz, LT-Drs. 6/2990, S. 19; Senat, Beschl. v. 01.06.2005 - 1 S 499/05 - VBlBW 2005, 386, und v. 04.03.1991 - 1 S 429/91 - VBlBW 1991, 591; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.04.2021 - 6 S 4129/20 - juris, und v. 26.01.2021 - 3 S 4271/20 - juris). Der Begriff der "Wohnung" in § 6 Abs. 2 LVwVG entspricht daher demjenigen aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.

Ausgehend von dem personellen (a) und sachlichen (b) Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG und unter Berücksichtigung der Schrankenregelung des Art. 13 Abs. 2 bis 7 GG (c) sowie der gesetzlichen Vorgaben für die Erstaufnahme von Asylbewerbern (d), ist die aktuell umstrittene Frage, ob Unterkünfte der Flüchtlingsunterbringung in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG fallen, in Bezug auf das dem Kläger 2018 in der LEA Ellwangen zugewiesenen Zimmer dahin zu beantworten, dass dieses Zimmer eine "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG darstellte (e).

a) Wer Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist, entscheidet sich nicht danach wer Eigentümer, sondern grundsätzlich danach, wer Nutzungsberechtigter der im jeweiligen Einzelfall betroffenen Wohnung ist (BVerfG, Beschl. v. 27.06.2018 - 2 BvR 1562/17 - NJW 2018, 2395, m.w.N.; s. auch BGH, Urt. v. 24.07.1998, a.a.O.). Vom personellen Schutzbereich erfasst ist daher jeder berechtigte Bewohner, unabhängig davon, auf welchem Rechtsverhältnis die Nutzung der Wohnung beruht (vgl. Papier, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. Erg.-Lfg., Art. 13 Rn. 12; Jarass, in: dems./Kment, GG, 16. Aufl., Art. 13 Rn. 6; Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 13 Rn. 27).

b) Der Begriff der "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG ist mit Blick auf Entstehungsgeschichte und Schutzzweck der Norm weit auszulegen und geht über das umgangssprachliche Begriffsverständnis hinaus (vgl. BVerfG, Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279; Urt. v. 17.02.1998 - 1 BvF 1/91 - BVerfGE 97, 228; Beschl. v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54; BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 - 6 C 26.03 - BVerwGE 121, 345; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.1992 - NVwZ 1993, 388; BGH, Urt. v. 10.08.2005 - 1 StR 140/05 - BGHSt 50, 206). Art. 13 Abs. 1 GG verbürgt dem Einzelnen mit Blick auf die Menschenwürde sowie im Interesse der Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum, in den nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 bis 7 GG eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE, Beschl. v. 16.06.2015 - 2 BvR 2718/10 u.a. - BVerfGE 139, 245; Urt. v. 27.02.2008, a.a.O.; Beschl. v. 26.05.1993 - 1 BvR 208/93 - BVerfGE 89, 1). Die Unverletzlichkeit der Wohnung hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und steht zugleich im nahen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private, "höchstpersönliche" Entfaltung (vgl. BVerfG, Urt. v. 03.03.2004, a.a.O.). Sinn der Garantie ist die Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht. In diese sollen der Staat oder von ihm ermächtigte Dritte grundsätzlich nicht gegen den Willen der Bewohner eindringen dürfen (BVerfG, Urt. v. 17.02.1998, a.a.O.). Schutzgut ist demnach die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet (BVerfGE, - 24 - Urt. v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07 u.a. - BVerfGE 120, 274). Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, in den geschützten Räumen "in Ruhe gelassen zu werden" (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.03.2019 - 2 BvR 675/14 - BVerfGE 151, 67; Urt. v. 03.03.2004, a.a.O.; Beschl. v. 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142; Jarass, a.a.O., Art. 13 Rn. 1, m.w.N.).

Der Begriff der Wohnung im Sinne des Art. 13 GG umfasst davon ausgehend neben der Wohnung im engeren, umgangssprachlichen Sinn jeden Raum, den ein Mensch der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und - auch nur vorübergehend - zur Stätte seines Lebens und Wirkens bestimmt (vgl. Papier, a.a.O., Art. 13 Rn. 10; Jarass, a.a.O., Art. 13 Rn. 1; jeweils m.w.N.). Dabei sind an die Zweckbestimmung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Sie kann durch Mauern oder Zäune oder sonstige Zeichen, die das private, d.h. nicht allgemein Zugängliche deutlich machen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.1992 - NVwZ 1993, 388; ähnl. BGH, Urt. v. 24.07.1998 - 3 StR 78/98 - BGHSt 44, 138, m.w.N.), oder durch sonstiges Verhalten konkludent kundgetan werden (vgl. Gornig, a.a.O., Art. 13 Rn. 14 f.: zum Beispiel durch Schilder). Maßgeblich ist die nach außen erkennbare Zweckbestimmung des Nutzungsberechtigten (BGH, Urt. v. 24.07.1998, a.a.O.). [...]

Ebenfalls in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG fallen Krankenzimmer, selbst wenn diese Räumlichkeiten nur zu bestimmten Zwecken der Unterbringung und nur vorübergehend überlassen werden. Zwar mag bei Krankenzimmern wie bei Geschäftsräumen nicht der volle Schutz des Art. 13 GG zugunsten der Wahrung der räumlichen Privatsphäre gelten wie bei der Wohnung im engeren Sinne, weil den Krankenhausärzten und dem übrigen Krankenhauspersonal aufgrund ihres Heil- und Betreuungsauftrages Betretungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnisse zustehen. Diese Rechte heben jedoch den Privatcharakter des Krankenzimmers nicht auf (BGH, Urt. v. 10.08.2005 - 1 StR 140/05 - BGHSt 50, 206, m.w.N.; Wolff, a.a.O., Art. 13 Rn. 5; Kluckert, in: Epping/Hillgruber, BeckOK, GG, 49. Ed., Art. 13 Rn. 2; Gornig, a.a.O., Art. 13 Rn. 18; vgl. zu dem abgestuften Schutz von Art. 13 GG bei Geschäftsräumen und dergleichen grdl. BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, a.a.O., und näher noch sogleich). Auch Zimmer in Studentenwohnheimen oder Altersheimen fallen in den Schutzbereich (Jarass, a.a.O., Art. 13 Rn. 4 m.w.N.). Das Gleiche gilt für zur Behebung von Obdachlosigkeit zugewiesene Notunterkünfte (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 08.02.1989 - 6 S 150/88 - NVwZ-RR 1990, 194) jedenfalls dann, wenn es sich dabei um zur alleinigen Nutzung zugewiesene Räumlichkeiten handelt (vgl. HessVGH, Beschl. v. 26.10.1990 - 4 TH 1480/90 - ESVGH 41, 314).

Nicht vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst sind dagegen zum Beispiel im Rahmen des Üblichen zur Fortbewegung genutzte Personenkraftwagen (vgl. BGH, Urt. v. 10.08.2005, a.a.O., und v. 24.07.1998, a.a.O., m.w.N.), Strandkörbe und Telefonzellen (Gornig, a.a.O., Art. 13 Rn. 20). Gleiches gilt für Hafträume einer Justizvollzugsanstalt, weil Anstaltsmitarbeiter Hafträume jederzeit unabhängig vom Einverständnis der dort untergebrachten Gefangenen zu betreten befugt sind (vgl. BVerfGE Beschl. v. 30.05.1996 - 2 BvR 727/94 u.a. - NJW 1996, 2643). Ebenfalls nicht erfasst sind Besucherräume in einer Untersuchungshaftvollzugsanstalt. [...] Umstritten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist, ob Unterkunftsräume von Soldaten oder Polizeibeamten als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG anzusehen sind (offen gelassen von BVerwG, Beschl. v. 10.03.2009 - 2 WBD 3.08 - BVerwGE 133, 231, m.w.N. zum Meinungsstand; abl. BGH, Urt. v. 24.07.1998, a.a.O.; Wolff, a.a.O., Art. 13 Rn. 5; Papier, a.a.O., Art. 13 Rn. 10). [...]

Nach Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. [...]

Nach Art. 13 Abs. 7 GG dürfen Eingriffe und Beschränkungen im Übrigen - d.h. außerhalb der Anwendungsbereiche der Absätze 2 bis 6 (näher zum Verhältnis der Absätze 2 bis 7 Kluckert, a.a.O., Art. 13 Rn. 24 ff.; krit. und teils a.A. Kühne, a.a.O., Art. 13 Rn. 25 ff.) - nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Die Weite des Wohnungsbegriffs hat zur Folge, dass an die Zulässigkeit von Eingriffen und Beschränkungen im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG je nach der Nähe der Örtlichkeiten zur räumlichen Privatsphäre unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt werden. Während bei Räumen, in denen sich das Privatleben im engeren Sinn abspielt, das Schutzbedürfnis am größten ist und der Schutzzweck des Grundrechts daher in vollem Umfang durchgreift, wird das Schutzbedürfnis beispielsweise bei reinen Betriebs-, Geschäfts- oder Arbeitsräumen durch den Zweck gemindert, den sie nach dem Willen des Inhabers besitzen. Je größer ihre Offenheit nach außen ist und je mehr sie zur Aufnahme sozialer Kontakte für Dritte bestimmt sind, desto schwächer wird der grundrechtliche Schutz. Nach diesen Grundsätzen stellen zum Beispiel Rechte zum Betreten von Betriebsräumen keine "Eingriffe und Beschränkungen" im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG dar und verstoßen nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.02.1998 - 1 BvF 1/91 - BVerfGE 97, 228, und Beschl. v. 13.10.1971, a.a.O.; Papier, a.a.O., Art. 13 Rn. 15 ff., 20; Jarass, a.a.O., Art. 13 Rn. 10a; Gornig, a.a.O., Art. 13 Rn. 26; Hofmann, a.a.O., Art. 13 Rn. 8; zum Gesetzesvorbehalt für Betretensrechte auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.1992, a.a.O. <Rechtswidrigkeit von allein satzungsrechtlich normierten Betretungsrechten eines kommunalen "Müllbeauftragten">; jeweils m.w.N.).

d) Für die Entscheidung, ob ausgehend von den vorstehenden Maßstäben Räume der Flüchtlingsunterbringung als "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG einzuordnen sind und welchen Schutz ihnen Art. 13 Abs. 2 und 7 GG konkret vermittelt, ist der unions-, bundes- und landesgesetzliche Rahmen zu berücksichtigen, innerhalb dessen die Flüchtlingsunterbringung erfolgt.

Unionsrechtliche Maßgaben enthält die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU. [...]

Der Umsetzung der vorgenannten Richtlinie dient auf der Ebene des Bundesrechts insbesondere das Asylgesetz (vgl. den Verweis in der Präambel dieses Gesetzes auf die Vorgänger-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 <ABl. EU Nr. L 31 S. 18>). [...]

Der Landesgesetzgeber hat nähere Bestimmungen zur Aufnahme von Asylbewerbern im Gesetz über die Aufnahme von Flüchtlingen getroffen (Flüchtlingsaufnahmegesetz - FlüAG <GBl. 2013, S. 493, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2021, GBl. 2022, S. 1>), das während der Unterbringung des Klägers in der LEA Ellwangen in der Fassung vom 11.03.2017 galt (im Folgenden: FlüAG a.F.). Dieses Gesetz ist "getragen vom Grundsatz eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen" (§ 1 Abs. 1 Satz 1 FlüAG).[...]

e) An den eingangs genannten Maßstäben für den Begriff der "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG gemessen, ist unter Berücksichtigung des oben skizzierten gesetzlichen Rahmens der Flüchtlingsunterbringung das dem Kläger in der LEA Ellwangen im Jahr 2018 zugewiesene Zimmer als "Wohnung" einzuordnen (aa), die den Schutz von Art. 13 Abs. 2 GG, auf der Ebene von Art. 13 Abs. 7 GG allerdings nur einen eingeschränkten Schutz genießt, wie er ähnlich für Betriebs- und Geschäftsräume gilt (bb). [...]

Ausgehend von der gebotenen Einzelfallbetrachtung (1) ist für den Regelfall anzunehmen, dass die Bewohner eines LEA-Zimmers als "Nutzungsberechtigte" (2) den - auch rechtlich beachtlichen - Willen haben, dieses Zimmer als "Wohnung" zu widmen (3). Wenn diese Zweckbestimmung, wie ebenfalls in der Regel, für Dritte erkennbar geäußert wird (4), liegt eine Wohnung vor, wenn der Zweck auch faktisch erreicht werden kann (5), wenn es also im Rahmen der tatsächlich vorhandenen Räumlichkeit und der sonstigen Gegebenheiten im jeweiligen Einzelfall möglich ist, in dem Zimmer ein Mindestmaß an Privatsphäre zu leben, wie dies etwa in einem Krankenzimmer, aber nicht mehr in einem Haftraum der Fall sein kann.[...]

Ausgehend von den oben skizzierten Voraussetzungen für das Vorliegen einer "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG ist mithin entscheidungserheblich und anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob der Nutzungsberechtigte den fraglichen Raum ausdrücklich oder konkludent zum Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung in dem Sinne gemacht hat, dass er dort - wie etwa in einem Krankenzimmer oder einem Geschäftsraum und anders als in einem Haftraum - wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre in Anspruch nehmen und von staatlichen Eingriffen grundsätzlich "in Ruhe gelassen" werden kann. Da es insoweit, wie gezeigt (oben b)), in erster Linie auf die Zweckbestimmung des "Nutzungsberechtigten" ankommt, erfüllt ein Zimmer einer Erstaufnahmeeinrichtung - vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände - in der Regel die Voraussetzungen für eine "Wohnung" (im Ergebnis ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.02.2022 - 12 S 4089/20 - juris). [...]

Das Zimmer bot dem Kläger auch trotz der bestehenden Einschränkungen eine - im Wesentlichen die einzige - Möglichkeit, sich aus den umfänglichen Gemeinschaftsbereichen der LEA zurückzuziehen und an diesem Rückzugsort, an dem auch seine Habseligkeiten untergebracht waren, bis in die Intimsphäre reichende Grundbedürfnisse nach Schlaf und Ruhe zu befriedigen. Das Zimmer verschaffte ihm ungeachtet der bestehenden Einschränkungen eine Möglichkeit, in einem beachtlichen Umfang "in Ruhe gelassen zu werden" (im Ergebnis ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.02.2022, a.a.O., für Zimmer in der LEA Freiburg). Hiervon gingen erkennbar auch die übrigen Bewohner der LEA Ellwangen jeweils für ihre Zimmer aus, die auf verschiedene Weisen als Rückzugs- und Ruhebereich gekennzeichnet wurden. So hatten die Bewohner nach Aktenlage etwa "Verschlussersatzmöglichkeiten" für die Nachtzeit, wie etwa vor die Türe geschobene Stühle, entwickelt.

Die dem Kläger in dem Zimmer verbleibende - eingeschränkte, aber etwa einem Krankenzimmer ähnliche und bei dem verfassungsrechtlich gebotenen weiten Verständnis des Begriffs der "Wohnung" ausreichende - Möglichkeit, das Zimmer zum Rückzugsort für die Ausübung seiner "unveräußerlichen Privatsphäre" (vgl. oben zu Art. 7 Abs. 1 AufnRL) zu machen, wurde auch nicht durch die Hausordnung der LEA vom 10.08.2015 beseitigt (in diese Richtung aber für sämtliche flüchtlingsrechtliche Sammelunterbringungen sowohl der Erstaufnahme als auch der Anschlussunterbringung Zeitler, a.a.O., § 58 AufenthG / Abs. 5 bis 10, Stand 28.04.2021, Rn. 13 ff.; abl. und im Ergebnis wie hier für die Anschlussunterbringung OVG Bln.-Brbg., Beschl. v. 18.03.2021, a.a.O.). Die rechtliche Befugnis des Klägers, das Zimmer in diesem Sinne zu widmen, konnte die Hausordnung bereits aus den oben genannten, in höherrangigem Recht wurzelnden Gründen nicht einschränken. Die Umsetzung der Hausordnung hat die tatsächlichen Umstände in der LEA auch nicht faktisch so gestaltet, dass dem Kläger keine beachtliche Privatsphäre mehr verblieben wäre. [...]

Soweit die Hausordnung darüber hinaus eine Pflicht der Bewohner zur Duldung von Zimmerbetretungen "bei Gefahr in Verzug und auf Anforderung des Personals von xxx" normierte (vgl. § 5 lit. n HausO), steht diese Vorschrift der Einordnung des Zimmers des Klägers als "Wohnung" im weiten Sinn des Art. 13 Abs. 1 GG bereits deshalb nicht entgegenstehen, weil diese Vorschrift unwirksam war. [...]

Der Einordnung des Zimmers in der LEA als Wohnung im weiten Sinn des Art. 13 Abs. 1 GG kann auch nicht der Einwand entgegengesetzt werden, die Wohnungseigenschaft der Unterkunft eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ende unabhängig von der konkreten Form der Unterbringung jedenfalls dann, wenn seine Abschiebung beginne, weil ein von Art. 13 Abs. 1 GG gegebenenfalls zuvor geschütztes Wohnverhältnis in diesem Moment dauerhaft beendet werde (so aber VG Neustadt a.d.W., Beschl. v. 28.06.2002 - 7 N 1804/02 NW - juris [Ls.]). Dieser Einwand trägt bereits in zeitlicher Hinsicht nicht. Der Umstand, dass ausreisepflichtige Asylbewerber im Zuge der Abschiebung ihre Unterkunft räumen müssen und deshalb dort anschließend - nach erfolgter Abschiebung - nicht mehr ihr Privatleben entfalten können, vermag den Räumlichkeiten bis zum Verlassen derselben nicht die - falls bis dahin vorhanden - Eigenschaft als räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet, zu nehmen (ebenso HambOVG, Urt. v. 18.08.2020, a.a.O.; OVG Bremen, Beschl. v. 30.09.2019, a.a.O.; VG Hamburg, Urt. v. 15.02.2019, a.a.O.).

bb) Die Einordnung des dem Kläger in der LEA Ellwangen im Jahr 2018 zugewiesenen Zimmers als "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG hat zur Folge, dass es den Schutz von Art. 13 Abs. 2 GG (Richtervorbehalt für Durchsuchungen) genoss. Auf der Ebene von Art. 13 Abs. 7 GG kommt einem Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung allerdings bei einer tatsächlichen Ausgestaltung, wie sie für den vorliegenden Fall im Jahr 2018 zu verzeichnen war, nur der eingeschränkte Schutz zu, wie er ähnlich für Betriebs- und Geschäftsräume gilt (vgl. näher dazu oben c)). Denn ein Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung kann, wie gezeigt, ungeachtet der Einordnung als "Wohnung" im weiteren Sinn aufgrund der Besonderheiten der Erstaufnahme und der dazu verwendeten Räumlichkeiten in der Regel - und so auch hier - nur in einem eingeschränkten Umfang Raum für eine Privatsphäre bieten. [...] Die Weite des Wohnungsbegriffs hat vor dem Hintergrund, dass die Zimmer in einer LEA deshalb notwendigerweise eine größere "Offenheit nach außen" aufweisen (vgl. erneut BVerfG, Urt. v. 03.03.2004, a.a.O., und v. 17.02.1998, a.a.O.) als etwa eine Privatwohnung und sie außerdem auch zur Aufnahme sozialer Kontakte für Dritte bestimmt sind, zur Folge, dass der Schutz der "Wohnung" auf der Ebene von Art. 13 Abs. 7 GG eingeschränkt ist (vgl. für Betriebs- und Geschäftsräume näher dazu oben [unter c)]; für Zimmer in einer LEA ebenfalls offen gelassen, aber dahin tendierend VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.02.2022, a.a.O., und Beschl. v. 28.06.2021, a.a.O.; ebenfalls dahin tendierend für Krankenhauszimmer BGH, Urt. v. 10.08.2005, a.a.O.). Betretungen von solchen Zimmer stellen daher wie bei Betriebsräumen keine "Eingriffe und Beschränkungen" im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG dar und verstoßen nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die Nutzung zur Verfügung stehen (s. dazu näher oben c)).

2. Handelt es sich bei dem dem Kläger 2018 zugewiesenen Zimmer nach alledem um eine "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, durfte der Polizeivollzugsdienst des Beklagten diese gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG gegen den Willen des Klägers nur auf Anordnung des Verwaltungsgerichts durchsuchen. Eine verwaltungsgerichtliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Einen Rechtsfehler begründete dies jedoch nicht. Denn die Beamten des Polizeivollzugsdienstes haben das Zimmer des Klägers am 20.06.2018 nicht im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG und Art. 13 Abs. 2 GG "durchsucht" (a). Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Voraussetzungen für das stattdessen nur stattgehabte "Betreten" des Zimmers lagen vor (b).

a) Eine "Durchsuchung" im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG und Art. 13 Abs. 2 GG fand bei der Abschiebung des Klägers am 20.06.2018 nicht statt und der Richtervorbehalt aus diesen Vorschriften wurde auch nicht aus anderen Gründen verletzt. [...]

aa) Unter einer Durchsuchung ist "das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung nicht von sich aus offen legen oder herausgeben will", zu verstehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.06.2020 - 2 BvE 2/19 - BVerfGE 154, 354, und v. 03.04.1979 - 1 BvR 994/76 - BVerfGE 51, 97, 106 ff; BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 - 6 C 26.03 - BVerwGE 121, 345, und v. 06.09.1974 - BVerwG I C 17.73 - BVerwGE 47, 31; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.09.2021 - 6 S 124/19 - juris; vgl. ferner Papier, a.a.O., Art. 13 Rn. 22 f.; Wolff, a.a.O., Art. 13 Rn. 9; krit. zu dieser Begriffsbestimmung Kühne, a.a.O., Art. 13 Rn. 27 ff.; jeweils m.w.N.). Die Durchsuchung erschöpft sich nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen (BVerfG, Beschl. v. 16.06.1987 - 1 BvR 1202/84 - BVerfGE 76, 83, 89). [...]

Nach diesen Grundsätzen ist beispielsweise das bauaufsichtliche Betreten und Besichtigen einer Wohnung keine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, weil die Befugnis zum Betreten und Besichtigen einer Wohnung, die den Bauaufsichtsbehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe eingeräumt wird, die Nutzung baulicher Anlagen daraufhin zu überwachen, ob sie die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften einhalten, nicht den Zweck verfolgt, in der Wohnung verborgene Dinge oder Sachverhalte "aufzuspüren" (BVerwG, Beschl. v. 07.06.2006 - 4 B 36.06 - NJW 2006, 2504; ebenso zu gewerberechtlichen Betretungen und Besichtigungen Papier, a.a.O., Art. 13 Rn. 24; zu anderen gefahrenabwehrrechtlichen Kontrollrechten Kluckert, a.a.O., Art. 13 Rn. 12). [...]

Um eine Durchsuchung handelt es sich hingegen zum Beispiel dann, wenn Vollstreckungsorgane eine Wohnung betreten, um dort dem Inhaber der Wohnung ein Kind wegzunehmen, das dieser von sich aus nicht übergeben will, denn in einem solchen Fall suchen staatliche Organe ziel- und zweckgerichtet in der Wohnung nach einer Person, die der Inhaber von sich aus nicht herausgeben möchte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.1999 - 1 BvR 2017/97 - NJW 2000, 953, m.w.N.).

bb) Nicht einheitlich beurteilt wird aktuell, ob ausgehend von den vorstehenden Maßstäben das Betreten einer Wohnung durch staatliche Stellen zum Zwecke des Ergreifens einer Person stets eine Durchsuchung darstellt und/oder den Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG auslöst.

Im Anwendungsbereich von § 102 StPO ("Durchsuchung bei dem Beschuldigten"), der auch die sog. Ergreifungsdurchsuchung umfasst, wird die Auffassung vertreten, dass keine Durchsuchung, sondern eine bloße "Nachschau" vorliege, "wenn sichere Kenntnis darüber besteht, dass sich der Gesuchte in einer bestimmten Wohnung aufhält" (Hauschild, MüKo-ZPO, 2014, § 102 Rn. 6), oder jedenfalls, wenn die Polizeibeamten beim Betreten bemerken, dass sich der Beschuldigte in seiner Wohnung zwar aufhält, aber nicht verbirgt (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 19.02.2000 - (5) 1 Ss 363/09 (6/99) - juris; krit. Gercke, in: dems./Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 102 Rn. 11, m.w.N.). Bei dieser Betrachtungsweise kommt es für die Frage, ob eine Durchsuchung vorliegt, mithin maßgeblich nicht auf das von den Beamten ex ante verfolgte Ziel, sondern ex post und objektiv betrachtet auf die konkrete Situation an, welche die Beamten beim Betreten des Raumes vorgefunden haben, insbesondere auf dessen Größe und Überschaubarkeit sowie auf den Umstand, ob "auf einen Blick" erkennbar ist, ob und gegebenenfalls wo sich die Person dort befindet, sowie auf die von den Beamten tatsächlich vorgenommenen Handlungen. [...]

Hiervon abweichend wird unter anderem in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teils die Auffassung vertreten, dass es für das Bestehen des Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG maßgeblich auf eine (hier sog.) subjektive ex ante-Betrachtung ankomme (vgl. in diesem Sinne OVG Bln.-Brbg., Beschl. v. 18.03.2021 - OVG 3 M 143/20 u.a. - juris, dort auch zum mit Art. 13 Abs. 2 GG übereinstimmenden Begriff der Durchsuchung i.S.v. § 58 Abs. 6 AufenthG; HambOVG, Urt. v. 18.08.2020 - 4 Bf 160/19 - NVwZ-RR 2021, 322). Der Zweck des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle des Eingriffs in den privaten Lebensbereich der Wohnung auf seine Rechtmäßigkeit und insbesondere Verhältnismäßigkeit durch eine unabhängige und neutrale Instanz und somit einen präventiven Grundrechtsschutz durch Verfahren zu gewährleisten, spreche dafür, dass es für die Abgrenzung und das Erfordernis einer Einholung der richterlichen Durchsuchungsanordnung auf die ex ante-Sicht der Behördenmitarbeiter ankomme. Daraus folge, dass (bereits) dann, wenn die die Abschiebung durchführende Behörde bei der Vorbereitung der Maßnahme von der Notwendigkeit, Suchhandlungen vorzunehmen, ausgehen müsse oder zumindest mit solchen ernstlich zu rechnen sei, weil nicht absehbar sei, ob und - wenn ja - wo genau sich der aufzugreifende Ausländer in der Wohnung befinde, die Maßnahme auf eine Durchsuchung abziele, für die der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG greife (vgl. OVG Bln.-Brbg., Beschl. v. 18.03.2021 a.a.O.; HambOVG, Urt. v. 18.08.2020, a.a.O.; VG Hamburg, Urt. v. 15.02.2019 - 9 K 1669/18 - InfAuslR 2019, 257; ähnl. Franke/Kerkemeyer, NVwZ 2020, 760 ff., m.w.N. zum Meinungsstand; für § 102 StPO auch Gercke, a.a.O., § 112 Rn. 11, m.w.N.). [...]

Gegen diese Sichtweise spricht der Wortlaut von § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG und Art. 13 Abs. 2 GG. § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG regelt, wie gezeigt, dass der Vollstreckungsbeamte Wohnungen gegen den Willen des Pflichtigen nur auf Anordnung des Verwaltungsgerichts "durchsuchen kann". Art. 13 Abs. 2 GG gibt vor, dass Durchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form "durchgeführt werden" dürfen. Beide Vorschriften stellen damit die Durchführung einer Durchsuchung unter den Vorbehalt einer vorherigen richterlichen Durchsuchungsanordnung. Dem Wortlaut der Vorschriften ist aber nicht zu entnehmen, dass der Richtervorbehalt bereits dann verletzt ist, wenn die Behörde vor dem Beginn einer Maßnahme eine Durchsuchung zwar möglicherweise beabsichtigt oder zumindest in Betracht gezogen, im Ergebnis aber tatsächlich keine Durchsuchung vorgenommen hat, weil sie vor Ort nichts "Verborgenes" suchen musste oder konnte.

Der Telos des Art. 13 Abs. 2 GG zwingt zu keiner vom Wortlaut abweichenden Auslegung. [...]

Kommt es aber im Ergebnis zu keiner Durchsuchung, weil die Beamten vor Ort tatsächlich nichts suchen konnten oder mussten, und findet damit objektiv kein Grundrechtseingriff im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG statt, ist es auch nicht schädlich, dass keine vorbeugende Kontrolle für einen solchen Eingriff stattfand.

Zutreffend ist zwar der Einwand, dass es im Einzelfall von Zufällen abhängen kann, ob die Behörde Suchmaßnahmen durchführen muss oder nicht, um eine Person oder einen Gegenstand wahrzunehmen. Das rechtfertigt aber keine über den Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 GG und § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG hinausgehende Auslegung. [...]

dd) Ausgehend von den deshalb auch für Abschiebungen maßgeblichen allgemeinen Maßstäben für das Vorliegen einer Durchsuchung (vgl. oben aa)) begründete es keinen Rechtsfehler, dass der Polizeivollzugsdienst des Beklagten die Abschiebung des Klägers am 20.06.2018 ohne richterliche Durchsuchungsanordnung gemäß § 6 Abs. 2 LVwVG durchführte. [...]

(1) Nach der Beweiserhebung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass am 20.06.2018 mehrere Polizeivollzugsbeamte das Gebäude der LEA Ellwangen mit der Absicht betraten, den Vollstreckungsauftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26.04.2018 zu erfüllen und zu diesem Zwecke zu dem Zimmer des Klägers zu gehen, ihn dort erforderlichenfalls zu ergreifen sowie, wie im Vollstreckungsauftrag erbeten, "darauf zu achten, dass die Person (…) alle vorhandenen Dokumente einschließlich Personenstandsurkunden und Zeugnisse mitnimmt (...)" (S. 2 des Vollstreckungsauftrags). [...]

Es kann dahinstehen, ob die Beamten bei dem ersten Versuch, den Kläger in seinem Zimmer anzutreffen, dieses Zimmer überhaupt betraten. Selbst wenn es dazu gekommen ist, dass der Zeuge PHK Wxxxxxxxx, wie er nicht ausschließen wollte, "einen Schritt ins Zimmer reingemacht" hat, fanden dort jedenfalls keine weiteren relevanten Handlungen, insbesondere keine Suchvorgänge statt. Letzteres gilt auch für den zweiten Kontakt zu dem Zimmer. Zu einer "Durchsuchung" wurde das Geschehen insbesondere nicht, wie der Kläger wohl meint, dadurch, dass die Beamten in dem Zimmer anhand der ihnen übergebenen Dokumente und des selbst mitgebrachten Lichtbilds die Identität des Klägers überprüften. Der von Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz des Inhabers einer räumlichen Privatsphäre gegen das Eindringen staatlicher Stellen in diesen Raum (vgl. näher dazu oben III.1.)) wird durch eine Personenfeststellung nicht tangiert. Dasselbe gilt für eine Durchsuchung der Person, weshalb es nicht darauf ankommt, ob der Kläger - wie er in der mündlichen Verhandlung, allerdings nicht zur Überzeugung des Senats (vgl. oben (1)), sinngemäß vorgetragen hat - bereits in dem Zimmer abgetastet wurde. [...]

Im Rahmen der Schrankenregelungen des Art. 13 GG stellen Rechte zum Betreten von Zimmer in einer LEA, wie oben gezeigt (vgl. 1.c)), ähnlich wie bei Betriebs- und Geschäftsräumen sowie Krankenzimmern keine "Eingriffe und Beschränkungen" im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG dar und verstoßen nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen. [...]

IV. Das am 20.06.2018 erfolgte Betreten des dem Kläger damals in der LEA Ellwangen zugewiesenen Zimmers wurde auch im Übrigen rechtsfehlerfrei durchgeführt. Die übrigen (besonderen) Vollstreckungsvoraussetzungen lagen vor. [...]

Die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 LVwVG für eine Vollstreckung zur Nachtzeit erforderliche schriftliche Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde lag mit dem Vollstreckungsauftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26.04.2018 vor. Die Vollstreckung während der Nachtzeit war auch im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 LVwVG gemessen an dem von dem Beklagten verfolgten, damals legitimen Ziel der Abschiebung des seinerzeit ausreisepflichtigen Klägers "erforderlich" (verhältnismäßig). Das hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil mit eingehender, das besondere Gewicht des mit einem nächtlichen Betreten verbundenen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; zu nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen BVerfG, Beschl. v. 12.03.2019 - 2 BvR 675/14 - BVerfGE 151, 67) berücksichtigender und insgesamt zutreffender Begründung entschieden (vgl. Bl. 34 f. i.V.m. §§ 30 f. d. UA.). […]

3. Rechtliche Bedenken gegen das am 20.06.2018 erfolgte Betreten des Zimmers des Klägers ergeben sich schließlich auch nicht daraus, dass - wie er in der mündlichen Verhandlung des Senats sinngemäß geltend gemacht hat - in dem Zimmer ein weiterer Bewohner anwesend gewesen sei und dieser nicht ausdrücklich in das Betreten des Zimmers eingewilligt habe. Ein solches Einwilligungserfordernis bestand nicht. Der Landesgesetzgeber hat für den Fall von Durchsuchungen Einwilligungsvorbehalte und Duldungspflichten geregelt (vgl. § 6 Abs. 3 LVwVG und zur Gesetzesbegründung LT-Drs. 13/3201, S. 290), für das bloße Betreten von Wohnungen hingegen wegen der erheblich geringeren Eingriffsintensität einer solchen Maßnahme nicht. § 6 Abs. 1 Satz 1 LVwVG bietet eine - auch insoweit den oben genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende - Rechtsgrundlage deshalb für ein Betreten des Besitztums des Vollstreckungsschuldners ("Pflichtigen") auch dann, wenn Dritte an diesem Besitztum Mitbesitz haben. [...]