Zu Zimmern in Gemeinschaftsunterkunft als Wohnraum und zur Abgrenzung zwischen Betreten und Durchsuchen:
1. Es erscheint nicht fernliegend, dass das Zimmer einer Person in einer Gemeinschaftsunterkunft als Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG anzusehen ist (unter Bezug auf OVG Hamburg, Urteil vom 18.08.2020 - 4 Bf 160/19 (Asylmagazin 10-11/2020, S. 383 f.) - asyl.net: M28735).
2. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung des OVG Hamburg (siehe oben) zum dortigen Verwaltungsvollstreckungsgesetz auf § 58 AufenthG übertragbar ist. Demnach spricht es für eine Durchsuchung (und nicht bloß ein Betreten), wenn im Voraus mit Suchhandlungen zu rechnen ist.
(Leitsätze der Redaktion; Prozesskostenhilfe für erstinstanzliche Gerichtsverfahren im Anschluss an gewaltsames polizeiliches Betreten einer Gemeinschaftsunterkunft zum Zwecke der Abschiebung)
Siehe auch:
[...]
1 Die Beschwerden des Klägers und Antragstellers sind begründet. Er hat nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff., § 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts sowohl für das beabsichtigte erstinstanzliche Klageverfahren, mit dem er die Feststellung begehrt, dass der Beklagte weder berechtigt war, am 10. September 2019 sein Zimmer im Übergangswohnheim zu betreten und zu durchsuchen, noch sein Mobiltelefon, die Kopfhörer und das Portemonnaie sicherzustellen, als auch für das Eilrechtsschutzbegehren, dem Antragsgegner einstweilig zu untersagen, sein Zimmer zum Zweck der Durchführung einer Abschiebung erneut ohne Durchsuchungsbeschluss zu betreten und zu durchsuchen und die genannten Gegenstände erneut sicherzustellen. [...]
2 Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 1999 - 6 B 121.98 - juris Rn. 8; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. November 2006 - 11 S 1918/06 - juris Rn. 7; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 166 Rn. 8). [...]
3 Gemessen daran durfte das Verwaltungsgericht die Erfolgsaussichten der Klage und des Eilantrages nicht verneinen. Vielmehr ist der Ausgang der Verfahren als offen zu bewerten.
4 1. Dies folgt hinsichtlich des Klageverfahrens schon daraus, dass sich bezogen auf das Eindringen der Polizeibeamten in das Zimmer des Klägers in der Gemeinschaftsunterkunft und weiterer Handlungen Rechts- und Tatsachenfragen stellen, die sich einer Beantwortung im Prozesskostenhilfeverfahren entziehen. [...]
11 Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob ein Betreten von Wohnungen zum Ergreifen einer konkreten, abzuschiebenden Person als Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG oder als sonstiger Eingriff im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG zu qualifizieren ist.
12 Dass das von einem Ausländer genutzte Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft als Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG anzusehen ist, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 30. September 2019 - 2 S 262/19 - juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 - 4 Bf 160/19 - juris Rn. 31 f.; a.A. Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 1. Februar 2021, AufenthG § 58 Rn. 13 ff.).
13 Das OVG Hamburg hat das Betreten einer Wohnung durch Behördenmitarbeiter, um dort Personen zum Zwecke der Abschiebung aufzufinden und zu ergreifen, als eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG eingeordnet. Es hat hierfür maßgeblich darauf abgestellt, dass es in diesem Fall - im Unterschied zu den "klassischen" Betretungsrechten des Bau-, Handwerks- oder Lebensmittelrechts - nicht nur darum geht, die Wohnung des Ausländers zu betreten und zu besichtigen - etwa um deren baulichen Zustand zu kontrollieren -, sondern gezielt darum, diesen aufzufinden. Damit wird regelmäßig in einer für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Ausländers und die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eingegriffen, denn der Gegenstand der Ermittlung sind der private Lebensbereich des Ausländers und die dort wohnenden Personen. Die Feststellung, dass sich der Ausländer in der Wohnung befindet, geschah nicht nur gelegentlich des anderen Zwecken dienenden behördlichen Besichtigungs- und Betretungsrechts, sondern ist das unmittelbare und einzige Ziel der Maßnahme (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 - 4 Bf 160/19 - juris Rn. 34; in diesem Sinne auch Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 1. Februar 2021, AufenthG § 58 Rn. 33 f.; Herrmann, ZAR 2017, 201, 204; Franke/Kerkemeyer, NVwZ 2020, 760, 763 f.).
14 Es erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Rechtsprechung, auch wenn sie zu einer auf die Bestimmungen des hamburgischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes gestützten Maßnahme erging, angesichts der aus Art. 13 GG abgeleiteten Maßgaben auf die hier relevante Regelung des § 58 Abs. 5 und 6 AufenthG übertragbar ist. Hierfür sprechen insbesondere sowohl die Überlegung, dass sich eine Durchsuchung nicht in einem Betreten der Wohnung erschöpft, sondern als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen umfasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1987 - 1 BvR 1202/84 - juris Rn. 26), als auch das Merkmal der Zweckgerichtetheit einer Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG, das auch das Bundesverwaltungsgericht wiederholt zur Abgrenzung des Durchsuchungsbegriffs betont hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. September 1974 - 1 C 17.73 - juris Rn. 18; Urteil vom 25. August 2004 - 6 C 26.03 - juris Rn. 24 f.: "Verfolgung eines Zwecks, wie er der Durchsuchung eigen ist"). Eine verfassungsgerichtliche oder höchstrichterliche Klärung hierzu liegt nicht vor (vgl. die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages WD 3 - 3000 - 206/19 S. 6 f.). [...]