BlueSky

VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 30.05.2022 - 6 L 456/22 - asyl.net: M30730
https://www.asyl.net/rsdb/m30730
Leitsatz:

Einstweiliger Rechtsschutz wegen Anspruchs auf Aufenthaltserlaubnis zum Eheleutenachzug:

1. Ist eine Person gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, weil sie einen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ist die Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar und wird ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und hiergegen Widerspruch erhoben, ist einstweiliger Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO und nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu erlangen. Denn die Ausreisepflicht besteht unabhängig von der Ablehnung des Aufenthaltstitels, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen diese Ablehnung keinen rechtlichen Vorteil vermitteln würde.

2. Eine Person ist abweichend von der Visumspflicht gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, einen Aufenthaltstitel vom Bundesgebiet aus zu beantragen, wenn ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aus den dort genannten familiären Gründen besteht und die Person gemäß § 60a AufenthG geduldet wird, wobei die Duldung aus einem anderen Grund als dem, der den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stützt, erteilt worden sein muss (hier: Unmöglichkeit der Ausreise wegen Covid-19 Pandemie).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Visumsverfahren, Corona-Virus, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Suspensiveffekt, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Visumspflicht, Ehegattennachzug, Eheleutenachzug
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 AufenthG § 50 Abs. 1, AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, VwGO § 123 Abs. 1 S. 1, VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, AufenthV § 39 Nr. 5, AufenthG § 60a, VwGO § 88, AufenthG § 81 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Der von dem Antragsteller ausdrücklich gestellte Antrag, […] ist unbeschadet der anwaltlichen Vertretung des Antragstellers bei sachgerechtem Verständnis seines Rechtsschutzziels entsprechend § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel begehrt, dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, ihm gegenüber aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen.

Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO würde dem Antragsteller keinen rechtlichen Vorteil vermitteln. Der Antragsteller hält sich nämlich ungeachtet der Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland auf, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein, und ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig.

Das Schengen-Visum im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, mit dem der Antragsteller 2020 in die Bundesrepublik eingereist ist, ist inzwischen abgelaufen. Es gilt auch nicht fiktiv im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG fort. […]

Seine Ausreisepflicht ist auch gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar. […]

Der in dieser Konstellation allein gemäß § 123 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag […] hat auch in der Sache Erfolg.

Es liegt der erforderliche Anordnungsgrund vor. […]

Der Antragsteller hat zudem auch dargetan, dass ihm ein zu sichernder Anordnungsanspruch zur Seite steht. [...]

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG muss der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist sein (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht haben (Nr. 2). […]

Die Visumspflicht kommt im Falle des Antragstellers jedoch nicht zum Tragen. Er ist nach (§ 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m.) § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, den Aufenthaltstitel vom Bundesgebiet aus zu beantragen.

Die Vorschrift setzt dafür – soweit hier relevant – voraus, dass die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. […]

Dies ist vorliegend der Fall; § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vermittelt einen strikten Rechtsanspruch und der Antragsteller erfüllt nach dem Gesagten aller Voraussicht nach dessen Voraussetzungen.

Zudem war der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt geduldet im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV. Dabei ist zu beachten, dass mit Blick auf die Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte, eine Einschränkung dergestalt gilt, dass ein anderes Abschiebungshindernis als das, das einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stützen soll, vorliegen muss. Andernfalls würde die Eheschließung gewissermaßen "doppelt" berücksichtigt, zum einen im Rahmen der Feststellung der Abschiebungsaussetzung und zum anderen zur Begründung eines Aufenthaltsrechts. Damit entfiele jedoch die eigenständige rechtliche Bedeutung der Duldung. Privilegiert werden sollen nur Ausländer, die sich im Inland mit einer Duldung aufhalten und bei denen sodann der in § 39 Nr. 5 AufenthV genannte Fall eintritt, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur aus diesen Gründen erteilt wird.

Dies zugrunde gelegt, kann sich der Antragsteller mit Erfolg auf § 39 Nr. 5 AufenthV berufen. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Eheschließung 2022 – also zum Zeitpunkt des Eintretens der für den Anspruchserwerb maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen – war der Antragsteller im Besitz einer Duldung, die nicht ausschließlich den Zweck hatte, seine Eheschließung zu ermöglichen, sondern die über mehrere Monate vor allem vor dem Hintergrund ausgestellt worden war, dass coronabedingt eine Ausreise nicht möglich war. [...]