LG Stuttgart

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Zitieren als:
LG Stuttgart, Beschluss vom 15.11.2022 - 19 T 297/22 - asyl.net: M31091
https://www.asyl.net/rsdb/m31091
Leitsatz:

Dauer der Abschiebehaft bei bevorstehender freiwilliger Ausreise unverhältnismäßig:

Gibt eine betroffene Person plausibel an, zeitnah freiwillig auszureisen, ist die Dauer der Haft auf den Zeitraum zu beschränken, der nötig ist, um festzustellen, ob sie die Bundesrepublik tatsächlich zeitnah verlässt. Je nach den Umständen und einer nachgewiesenen Flugbuchung hätte die Haft entbehrlich sein oder auf wenige Tage beschränkt werden können.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.12.2019 - 2-29 T 142/19 - asyl.net: M27913)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, freiwillige Ausreise, Haftdauer, Flugbuchung, Verhältnismäßigkeit,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 62 Abs. 4 S. 1, GG Art. 104 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil die in dem Antrag genannte Entscheidung die Betroffene in ihrem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt hat; der Haftanordnung des Amtsgerichts vom 19.10.2022 fehlt eine den Anforderungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG genügenden Prognose.

a) Die Anordnung von Abschiebungshaft unterliegt als Maßnahme der Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 2 GG strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [...]. Gem. § 62 Abs. 1 S. 2 AufenthG ist die Inhaftnahme daher auf die kürzestmögliche Dauer zu beschränken [...]. Sofern der Betroffene angibt, zeitnah freiwillig auszureisen, hat dies der Haftrichter bei seiner Prognose und bei Bemessung der maximalen Haftdauer zu berücksichtigen und - sofern die Angaben belastbar sind - die Haftdauer auf den Zeitraum zu begrenzen, der zur freiwilligen Ausreise bzw. zur Abklärung der Belastbarkeit der Angaben des Betroffenen notwendig ist (vgl. hierzu: LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 02. Dezember 2019 - 2-29 T 142/19; LG Kassel, Beschluss vom 25. August 2021 - 3 T 264/21).

b) Die am 19.10.2022 angeordnete Haft bis längstens 12.12.2022 war - ausgehend von obigen Grundsätzen - deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Betroffene bereits im Rahmen der Anhörung angegeben hat, dass sie freiwillig zu ihrer Familie nach Spanien - ihrem Ehemann und Kind - ausreisen will und ihre Familie ihr unverzüglich ein Ticket kaufen werde. Dies war angesichts der - auch von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogenen - familiären Verhältnisse sowie dem Umstand, dass die Betroffene bereits einmal in der Vergangenheit freiwillig ausgereist war, plausibel. Da die Betroffene - dies ergibt sich bereits aus dem Antrag - aufgrund ihrer Ehe über einen bis 25.11.2023 gültigen spanischen Aufenthaltstitel verfügte und angab, dass sie unverzüglich nach Spanien ausreisen werde, hätte das Amtsgericht die Haftdauer - zunächst - auf den Zeitraum beschränken müssen, der notwendig ist, um festzustellen, ob die Betroffene - wie von dieser an gegeben - die Bundesrepublik zeitnah freiwillig verlässt. [...] Je nach den Umständen und einer nachgewiesenen Flugbuchung hätte die Haft entbehrlich oder auf wenige Tage beschränkt werden können. [...]