VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2023 - A 4 S 2666/22 - asyl.net: M31553
https://www.asyl.net/rsdb/m31553
Leitsatz:

In Kroatien droht im Dublin-Verfahren zurückkehrenden Personen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung:

In Kroatien besteht grundsätzlich weder für nicht vulnerable, noch für vulnerable Dublin-Rückkehrende die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, auch nicht im Hinblick auf Push-Backs oder Kettenabschiebungen.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22.02.2023 - 10 LA 12/23 - asyl.net: M31345; anderer Ansicht: VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 - 2 A 26/22 (Asylmagazin 10-11/2022, S. 369 f.) - asyl.net: M30975)

Schlagwörter: Kroatien, Dublinverfahren, Zurückschiebung, Refoulement, Push-Back, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, GFK Art. 33
Auszüge:

[...]

Dem Senat ist durchaus bewusst, dass es in einigen Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen nach zahlreichen Berichten immer wieder zu Push-Backs kommen soll, gerade auch in Kroatien
[...], und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Praxis bereits als menschenrechtswidrig beanstandet hat [...].

Die Problematik von Push-Backs an den EU-Außengrenzen ist allerdings als solche nicht entscheidungserheblich. Vielmehr steht im vorliegenden Verfahren im Zentrum die Frage, ob rechtswidrige Push-Backs oder Kettenabschiebungen bzw. Verstöße gegen den Non-Refoulement-Grundsatz auch von Dublin-Rückkehrern nach Rückführung oder freiwilliger Rückkehr nach Kroatien zu erwarten sind. Hierfür fehlen nach Überzeugung des Senats tragfähige Erkenntnismittel, weshalb entsprechende Unzuständigkeitsentscheidungen bzw. Abschiebungsanordnungen auch nicht an Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO scheitern. [...]

4. Solche systemischen Schwachstellen vermag der Senat hinsichtlich Kroatiens, das im Übrigen nach EU-Evaluierung zum 01.01.2023 auch in den Schengen-Raum aufgenommen wurde, d.h. unionsrechtliche Standards bei Grenzkontrollen einhalten muss, im Rahmen des Dublin-III-Systems derzeit nicht zu erkennen, auch nicht im Hinblick auf Push-Backs und Kettenabschiebungen in Drittstaaten. Insbesondere die vom Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24.05.2022 - 2 A 26/22 - (Juris) und im Anschluss daran vom Verwaltungsgericht Freiburg aufgeführten Erkenntnismittel widerlegen die aus dem unionsrechtlichen Mutual-Trust-Grundsatz folgende Vermutung einer ordnungsgemäßen Behandlung von Asylantragstellern nicht.

a. Es ist davon auszugehen, dass Personen, die auf der Grundlage der Dublin III-Verordnung nach Kroatien zurückkehren, nach der kroatischen Rechtslage ungehinderten Zugang zum Asylsystem haben, d.h. zunächst wieder in das nationale Asylverfahren integriert werden [...], und hierbei keine Push-Backs oder Kettenabschiebungen erleiden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass etwa nach Zagreb Abgeschobene durch Sicherheitskräfte vom Flughafen aus an die EU-Außengrenze und dort weiter in Drittstaaten gebracht werden, gibt es keine [...].

bb. Auch den Erkenntnismitteln über Kettenabschiebungen aus Österreich oder Italien über Slowenien und schließlich Kroatien nach Bosnien-Herzegowina [...] lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass von diesen mehrfach belegten Rechtsverletzungen auch Dublin-Rückkehrer betroffen waren.

Vielmehr deuten alle Quellen darauf hin, dass es sich bei den Kettenabschiebungen um informelle Rückübernahmen zwischen diesen Ländern und insbesondere solche auf Grundlage eines bilateralen "readmission agreements" zwischen Slowenien und Kroatien von 2006 handelt [...].

cc. Insbesondere auch diejenigen Erkenntnismittel, die ausdrücklich Kettenabschiebungen nach Rückübernahmen aus Slowenien und anderen EU-Mitgliedstaaten beschreiben [...], beziehen sich mit Blick auf die von diesen ihrerseits zitierten Quellen ebenfalls auf Rückübernahmen im Rahmen dieses "readmission agreement" und also gerade nicht auf Dublin-Rückkehrer. [...]

Nur zwei der vom Verwaltungsgericht Braunschweig zitierten Urteile beziehen sich auf Fälle von Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Asylsystems, ohne dabei jedoch Push-Backs von Dublin-Rückkehrern zu belegen. [...]

Mithin gilt die nicht widerlegte Vermutung, dass Kroatien im Rahmen des Dublin-Systems rückkehrende Asylbewerber in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK behandelt. [...]

Dies gilt hier im Besonderen, weil sich die Situation von Rücküberstellten im Rahmen des Dublin-Systems maßgeblich von derjenigen anderer Asylbewerber unterscheidet, welche unmittelbar aus Drittstaaten oder im Wege informeller Rücküberstellungen nach Kroatien gelangen. Denn Dublin-Rückkehrer sind bereits im kroatischen Asylsystem registriert und die dortigen Behörden haben sich regelmäßig ausdrücklich zu deren Wiederaufnahme bereit erklärt. Aktuellen Berichten zufolge werden sie nach ihrer Rücküberstellung vom Ministerium des Inneren am Flughafen in Zagreb in Empfang genommen und in ein Asylzentrum gebracht, wo sie einen Asylantrag stellen bzw. ihr unterbrochenes Asylverfahren fortsetzen können [...].