VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 06.04.2023 - RN 11 K 20.31903 - asyl.net: M31586
https://www.asyl.net/rsdb/m31586
Leitsatz:

Kein Schutz für Person aus Myanmar:

1. Zwar geht das Militär in Myanmar ein äußerst repressiv und brutal gegen jegliche Kritik vor. Es ist grundsätzlich auch nicht auszuschließen, dass eine Asylantragstellung unter Bezugnahme auf den Militärputsch bei Rückkehr zu Verfolgung führen würde. Der Kläger ist jedoch vor der Machtergreifung und legal ausgereist.

2. Bei der Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist es relevant, ob exilpolitisiche Aktivitäten asyltaktisch motiviert sind. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Militärregierung von den Aktivitäten des Klägers (Facebook-Einträge, Fotos und Besuch von Demonstrationen) Kenntnis erlangt hat oder dass diese nach Löschung weiterhin im Internet zu finden sind. Daher ist es dem Kläger zuzumuten, vor Rückkehr den Facebook-Account zu löschen.

3. Subsidiärer Schutz ist nicht zu gewähren, da die Region Mon, aus der der Kläger stammt, weniger schwer von Auseinandersetzungen zwischen Militär und Widerstandsgruppen betroffen ist als die Regionen Rakhine, Kayin oder Chin.

(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht wohl: VG Aachen, Urteil vom 20.01.2023 - 5 K 1321/20.A - asyl.net: M31452, VG Düsseldorf, Urteil vom 10.11.2022 - 8 K 7060/20.A - asyl.net: M31093)

Schlagwörter: Myanmar, politische Verfolgung, Exilpolitik, Asylantrag, Demonstration, Internet
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AsylG § 28, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. [...]

Aufgrund der aufgezeigten Widersprüche glaubt das Gericht dem Kläger seine Fluchtgeschichte nicht. [...]

a) Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung, weil er im Ausland einen Asylantrag gestellt hat.

Es liegen keine konkreten Erkenntnisse vor, ob angesichts der zwischenzeitlichen politischen Verhältnisse und Rechtslage in Myanmar allein die illegale Ausreise oder die Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr nach Myanmar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer politischen Verfolgung führt (vgl. VG Frankfurt a.M., U.v. 30.9.2022 - 2 K 3682/21.F.A - nicht veröffentlicht; VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 - 8 K 44/21.A - juris, zweifelnd: VG München, B.v.25.3.2021 - M 7 S 21.30273 - juris, und VG München, B.v. 13.3.2023 - M 7 E 22.32447). Nach Auskünften bzw. Einschätzungen des Auswärtigen Amtes vom 16.8.2021 (an das Bundesamt) und vom 17.8.2021 (an das VG Gelsenkirchen) gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dass eine vor dem 1.2.2021 im Ausland erfolgte Asylantragstellung einen pauschalen Straftatbestand nach jetzigem Recht darstellt. Es ist danach aber nicht auszuschließen, dass Personen, die nach dem Militärputsch ausgereist sind und anschließend einen Asylantrag gestellt haben, in dem sie sich auf diesen beziehen, nach einer Rückkehr nach Myanmar verfolgt werden. Auch bereits vor der Machtergreifung des Militärs im Jahr 2021 konnte eine illegale Ausreise und/oder Wiedereinreise nach illegalem Auslandsaufenthalt eine Straftat nach myanmarischem Recht darstellen (Bundesamt, Briefing Notes, S. 27 m.w.N.), so dass es angesichts des zwischenzeitlich wieder bestehenden repressiven und brutalen Überwachungsstaates [es] wahrscheinlich scheint, dass eine intensive Überprüfung von Rückkehrern bei der Wiedereinreise erfolgt und Verfolgungsmaßnahmen allein wegen formaler Aspekte jedenfalls nicht fernliegend sind. Da der Kläger vor der Machtergreifung und mit einem Visum legal ausgereist ist, dürfte im Falle einer Rückkehr allerdings konkret eher kein Verdacht allein wegen der Ausreise und Wiedereinreise auf ihn fallen. Die Asylantragstellung erfolgte ebenfalls bereits weit vor dem 1.2.2021, so dass auch dies allein - falls die Antragstellung überhaupt bekannt geworden ist - keinen konkreten Verdacht erregen dürfte, politischer Gegenspieler zu sein. [...]

Die aktuelle Lage stellt sich in Myanmar nach den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen (insbesondere Auswärtiges Amt, Sicherheitshinweise Myanmar, Stand 12.10.2022, Amnesty International, Myanmar 2021 vom 29.3.2022, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes Zusammenfassung, Myanmar Januar bis Juni 2022 und Bundesamt, Länderreport Myanmar, Stand 11/2021) derzeit, d.h. nach dem Militärputsch vom 1.2.2021 wie folgt dar:

Seit dem Militärputsch vom 1.2.2021 wurden landesweit hochrangige Mitglieder der zuvor, d.h. seit 2015 regierenden Zivilregierung und der Zivilgesellschaft durch das Militär festgenommen. Das Militär hat unter Anordnung eines Ausnahmezustandes die Macht zurückerobert und teilweise das Kriegsrecht verhängt. Es ist zu Massenprotesten im ganzen Land gekommen. Die vormalige Regierung der Nationalen Einheit gründete daraufhin die Volksverteidigungskräfte und erklärte am 7.9.2021 den "Volksverteidigungskrieg". Seitdem kommt es nahezu landesweit zu immer gewalttätigeren Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und bewaffneten Milizen. Durch die Militärregierung kam und kommt es zur gewaltsamen Tötung, Verhaftungen mit langen Haftstrafen in sehr hoher Zahl und unter unzureichenden Haftbedingungen, zu großen Fluchtbewegungen im Land, Brandschatzungen, Hinrichtungen und anderen erheblichen Menschenrechtsverletzungen, darunter auch an Unbeteiligten. Die Kritik an den Machthaber wird grundsätzlich verfolgt. Politische Betätigung einschließlich Äußerungen in sozialen Medien sind verboten. Humanitäre Hilfeleistungen werden von den Militärbehörden teilweise blockiert. Bis ca. März/April 2022 wird von etwa 12.000 getöteten Zivilpersonen ausgegangen, von über 550.000 Binnenflüchtlingen und über 10.000 politischen Gefangenen (Bundesamt Briefing Notes, S. 8 und 9). Es herrscht in Myanmar seit 2021 (wie zuvor bis 2011) wieder ein äußert repressives und brutal vorgehendes System durch das Militär, ohne Meinungsfreiheit und unabhängige Justiz, mit erheblicher Überwachung durch einen Staatssicherheitsdienst unter Zuhilfenahme moderner technischer Mittel (so auch VG Leipzig, U.v. 16.2.2022 - 8 K 1429/20.A - juris, VG Minden, U.v. 11.3.2022 - 4 K 2492/19.A - juris). Eine Strafgesetzänderung vom 14.2.2021 kriminalisiert jegliche Kritik am Militär, der Militärregierung und dem Militärputsch. Wenn prodemokratische Aktivitäten, auch z. B. Posts über Facebook-Accounts festgestellt werden, ist mit Festnahmen und erheblichen Konsequenzen zu rechnen (Human Rights Watch, Myanmar: Death of Activists in Custody vom 13.9.2022).

Aufgrund des Überwachens von politischen Kritikern und des wohl auch zielgerichteten Suchens nach solchen und des strikten Unterbindens jeglicher politischer Meinungsäußerung und Betätigung und des gegebenenfalls erheblich repressiven Vorgehens gegenüber Verdächtigen durch das zwischenzeitlich, nach zwei Jahren (wieder) etablierte Militärregime, ist davon auszugehen, dass kleinste Verdachtsmomente im Hinblick auf eine abweichende politische Meinung und Betätigung eine Verfolgung durch das Militärregimes i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nach sich ziehen. Aufgrund der aktuellen Erkenntnismittellage ist nicht davon auszugehen, dass das Militärregime zu einer relativierenden Bewertung exilpolitischer Tätigkeiten willens und in der Lage ist. Die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (z.B. VG Minden, U.v. 11.3.2022 - 4 K 2492/19.A - juris Rn. 68; VG Frankfurt a.M., U.v. 30.9.2022 - 2 K 3682/21.F.A - nicht veröffentlicht; VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 - 8 K 44/21.A - juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 31.3.2022 - 2a K 2117/19.A - juris; VG Ansbach, U.v. 18.10.2022 - AN 17 K 20.30763 - juris; VG Aachen, U.v. 20.1.2023 - 5 K 1321/20.A - juris; anders: etwa VG Augsburg, U.v. 22.6.2022 - Au 6 K 20.31360 juris) geht deshalb überwiegend davon aus, dass bereits niederschwellige exilpolitische Aktivitäten (in Verbindung mit einer Asylantragstellung im Ausland) im Fall einer Rückkehr regelmäßig asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen können. Dieser Beurteilung schließt sich die erkennende Einzelrichterin grundsätzlich an.

Die Umstände im vorliegenden Fall führen jedoch nicht dazu, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Der Kläger trug hierzu in der mündlichen Verhandlung vor, dass er an Demonstrationen in Deutschland gegen die Militärregierung teilgenommen und regierungskritische Beiträge auf Facebook geteilt habe. Jedoch ist das Gericht vorliegend davon überzeugt, dass dieses Verhalten des Klägers lediglich durch asyltaktische Gründe motiviert ist. [...]

Grundsätzlich ist im Hinblick auf die Systematik und den Wortlaut des § 28 AsylG durchaus zweifelhaft, ob ein rein asyltaktisches Vorgehen nach § 28 Abs. 1a AsylG einen Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft in solchen Fällen bewirken kann. [...]

Zwar hat der Kläger vorliegend - mutmaßlich aus asyltaktischen Gründen - regimekritische Beiträge öffentlich unter seinem Klarnamen auf Facebook geteilt. Jedoch hat er es selbst in der Hand, diese exilpolitischen Aktivitäten nicht nur zu beenden, sondern auch aus dem Internet zu löschen. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit verstreichen ließ, die erkennende Einzelrichterin von der Ernsthaftigkeit seiner politischen Meinung zu überzeugen und aufgrund der Umstände des Einzelfalls von einem rein asyltaktischen Vorgehen auszugehen ist, ist dem Kläger auch zumutbar, seinen Facebook-Account vor einer Rückführung zu löschen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Militärregierung bisher von seinen Tätigkeiten Kenntnis erlangt hat. Da er bisher auch lediglich wenige Fotos in Facebook veröffentlicht und wenige Beiträge geteilt bzw. gepostet hat, ist auch nicht davon auszugehen, dass diese trotz Löschung weiterhin über das Internet zu finden sind bzw. diese mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden können. [...]

III. Der Kläger hat aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach Myanmar ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. [...]

Der Kläger hielt sich bis zuletzt mit seiner Familie in der Region Mon auf. Dabei handelt es sich um eine der Regionen, die im Vergleich zu anderen Regionen wie Rakhine, Kayin oder Chin nicht so sehr von den Auseinandersetzungen zwischen Militär und Widerstandsgruppen betroffen ist. Er hat diesbezüglich auch nicht substantiiert vorgetragen, dass er fürchte, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden. [...]