VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 28.04.2023 - 2 K 822/20 Me - asyl.net: M31666
https://www.asyl.net/rsdb/m31666
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz wegen innerstaatlich bewaffneten Konflikts im Jemen:

1. Im Jemen herrscht aufgrund des dortigen innerstaatlich bewaffneten Konflikts eine derartige Gefahrverdichtung, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG einer ernsthaften und individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt ist.

2. Ein Ende des Jemen-Konflikts ist nicht absehbar, Friedensverhandlungen sind gescheitert und das Waffenstillstandsabkommen wurde nicht verlängert.

3. Der innerstaatlich bewaffnete Konflikt weist im gesamten Staatsgebiet die erforderliche Gefahrendichte auf, so dass interner Schutz gemäß § 3e AsylG im Jemen nicht zu erlangen ist.

(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht: VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 13.04.2023 - 9 A 106/22 - asyl.net: M31575; so auch: VG Saarland, Urteil vom 16.03.2023 - 3 K 801/21 - asyl.net: M31574; VG München, Urteil vom 17.08.2022 - M 17 K 22.30700 - asyl.net: M31441; siehe zum Vorliegen von Abschiebungsverboten: VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 05.04.2023 - 1 K 52/21 A - asyl.net: M31611)

Schlagwörter: Jemen, subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Krieg, ernsthafter Schaden, erhebliche individuelle Gefahr, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Huthi, Bürgerkrieg
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, AsylG § 3e Abs. 1
Auszüge:

[...]

2. Dem Kläger ist jedoch der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen. [...]

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist von einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bei einer Rückkehr in den Jemen auszugehen.

aa) Es ist eine derartige Gefahrverdichtung für alle Zivilpersonen für das gesamte Staatsgebiet des Jemen anzunehmen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist [...].

Ein Ende des Jemen-Konflikts ist nicht absehbar [...]. Am 09.04.2023 haben zwar Friedensverhandlungen zwischen den Huthis und Vertretern Saudi-Arabiens unter Vermittlung Omans in Sanaa begonnen. Ziele der Verhandlungen sind u.a. die Erneuerung des im Oktober 2022 ausgelaufenen Waffenstillstandes, eine Aufhebung der saudischen Luft- und Seeblockade sowie das Ende der Besatzung von Taizz durch Huthi-Streitkräfte. Die Verhandlungen endeten aber am 14.04.2023 ohne konkrete Ergebnisse (vgl. BAMF Briefing Notes v. 17.04.2023). Der Waffenstillstand war immer ein fragiles Arrangement, und als die Frist auslief, war die Lage zu instabil geworden, um ihn zu verlängern. [...]

bb) Der Kläger muss sich auch nicht auf eine interne Fluchtalternative nach §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e AsylG verweisen lassen. [...]

Da nach oben Dargestelltem von einem innerstaatlich bewaffneten Konflikt mit der erforderlichen Gefahrendichte im gesamten Staatsgebiet des Jemen auszugehen ist, ist eine interne Fluchtalternative nicht gegeben. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen geht angesichts der Volatilität der Situation, der Zersplitterung der Kontrolle in Verbindung mit der Fülle bewaffneter Gruppen, der massiven Zerstörung und Beschädigung von Häusern, kritischer Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen sowie der schlimmen humanitären Bedingungen davon aus, dass die Anforderungen an eine angemessene interne Fluchtalternative wahrscheinlich nicht erfüllt werden. [...]